Sonnencreme ist krebserregend und Sonnenbrillen erhöhen das Sonnenbrandrisiko? Mythen oder gar Fake-News wie diese rund um Sonnenschutz verbreiten sich aktuell in den sozialen Medien. Warum sie nicht nur oft falsch, sondern auch brandgefährlich sind, erklären zwei Experten.

Ein Faktencheck

Werden Gesundheitsinformationen verzerrt oder ungeprüft verbreitet, kann das gefährliche Folgen haben. Aktuell kursieren etwa in den sozialen Medien Videos über angeblich gesundheitsschädigende UV-Schutzmaßnahmen. Sonnencremes sollen demnach krebserregend sein und Sonnenbrillen das Sonnenbrandrisiko erhöhen und biologische Prozesse wie die Vitamin-D-Synthese verhindern. In einem der Videos wird Sonnenbrand als etwas "absolut Geiles" für die Gesundheit bezeichnet. Zunächst klingen viele der Aussagen stimmig und enthalten in Teilen auch zutreffende Informationen. Die Kernaussagen sind jedoch falsch – und brandgefährlich.

Zwei Experten ordnen die Sonnenschutz-Mythen für uns ein: Dirk Schadendorf ist international renommierter Krebsforscher und Direktor der Klinik für Dermatologie und Experte der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG). Vinodh Kakkassery ist Chefarzt der Klinik für Augenheilkunde am Klinikum Chemnitz und Delegierter der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) und des Bundesverbands der Augenärzte Deutschlands (BVA) im UV-Schutz-Bündnis.

Mythos 1: Sonnenbrand ist eine gesunde Reaktion

In einem Instagram-Video wird Sonnenbrand als "geil" bezeichnet, weil geschädigte Zellen "kollektiven Selbstmord" begingen und Platz für "das Leben" machen würden. Dass sich stark geschädigte Zellen bei einem Sonnenbrand quasi selbst eliminieren, um keine Krebszellen entstehen zu lassen, stimmt – allerdings fehlt die wichtigste Information.

"Das Auftreffen des UV-Lichts auf die oberflächlichen Hautzellen führt dazu, dass in dieser Intensität die Erbsubstanz so schwer geschädigt wird, dass die getroffene Zelle in einen sogenannten programmierten Zelltod übergeht – ein Selbstmordprogramm der Zelle", sagt Dirk Schadendorf. Dabei kommt es zu einer Entzündungsreaktion. Sind viele oberflächliche Hautzellen betroffen, ist die Entzündung als Sonnenbrand sicht- und spürbar.

"Das Problem ist, dass eben nicht alle Zellen so schwer geschädigt sind, dass sie sofort in den programmierten Zelltod übergehen, sondern eben auch Schäden an der Erbsubstanz zurückbleiben, die dann Grundlage für die Hautkrebsentwicklung in späteren Jahren werden können", so Hautkrebs-Experte Schadendorf. Außerdem habe UV-Bestrahlung jeglicher Intensität das Potenzial, Hautkrebs auszulösen – wenn auch nicht sofort.

  • Fazit: Sonnenbrand ist nicht "geil" und schützt nicht vor Hautkrebs.

Mythos 2: Sonnenbrillen verursachen Sonnenbrand

Es mag schlüssig klingen: Sonnenbrillen sollen angeblich den Eigenschutz der Haut vor UV-Strahlung aushebeln, da kein Tageslicht über die Augen in die Hypophyse im Gehirn gelange. So könne das Gehirn nicht das Signal an die pigmentbildenden Melanozyten in der Haut senden, bräunendes Melanin zu bilden, um sich selbst zu schützen.

Vinodh Kakkassery sagt dazu: "Wir wissen, warum es wichtig ist, eine Sonnenbrille zu tragen. Weil UV wirklich ein Faktor ist, der zu Schädigungen an den Augen führen kann – von Krebserkrankungen über eine degenerative Erkrankung auf der Augenoberfläche bis zur Kataraktbildung (grauer Star; Anm.d.Red.). Bei Krebserkrankungen finden wir im Tumorgewebe UV-Signaturen. Das heißt, da ist nachweislich eine Veränderung, die typisch für UV-Schäden ist."

Epidemiologisch zeige sich, dass Regionen mit hoher UV-Strahlung auch höhere Zahlen von Augenkrebs und anderen Augenveränderungen aufwiesen. Der Sorge einiger, Sonnenbrillen könnten sich negativ auf die Melaninproduktion auswirken, begegnet Kakkassery mit Verständnis – und mit Fakten.

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"Melanin ist ein Schutzfaktor der Haut. Es wird gebildet, wenn Licht auf die Haut trifft. Deswegen wird die Haut auch braun. Ein Mensch, der erblindet ist – der also wirklich gar nichts sieht, aus welchen Gründen auch immer –, produziert trotzdem Melanin und wird als Zeichen dessen auch diese Bräune bekommen." Dass Licht über die Hypophyse erforderlich ist, damit Melanin in der Haut produziert wird, ist mit diesem anschaulichen Beispiel gut widerlegt.

Zudem würden durch die meisten Sonnenbrillen trotz UV-Filter noch Sonnenstrahlen gelangen. Außerdem werden Sonnenbrillen nicht rund um die Uhr getragen. Kakkassery rät, den Schutz der Augen tagesaktuell dem UV-Index anzupassen und ab UV-Index 3 eine Sonnenbrille mit CE-Siegel, bei hoher UV-Belastung ein Modell mit der Bezeichnung UV400 zu tragen. Die Sonnenbrille sollte nicht zu klein sein und nah an den Augen sitzen.

  • Fazit: Die Behauptung, dass Sonnenbrillen die Melaninproduktion hemmen und das Sonnenbrandrisiko erhöhen, ist nicht haltbar. Ebensowenig die Behauptung, bestimmte Nahrungsergänzungsmittel und Antioxidantien würden eine Sonnenbrille überflüssig machen.

Mythos 3: Mehr Sonnencreme, mehr Krebsfälle

Tatsächlich gibt es eine Studie, die höhere Hautkrebszahlen in Regionen Kanadas untersucht, in denen die Bewohner häufig Sonnencreme verwenden. Der Grund für das sogenannte Sonnencreme-Paradoxon ist aber nicht die Sonnencreme an sich, sondern dass die Menschen zu lange in der Sonne sind, weil sie sich eingecremt sicher fühlen. Richtig eingecremt sind allerdings die wenigsten und weder Nachcremen noch ein hoher Lichtschutzfaktor (LSF) bieten den ganzen Tag lang Schutz vor UV-Schäden.

Der Lichtschutzfaktor gibt an, wie lange der Eigenschutz der Haut vor Sonnenbrand verlängert wird: Wer ohne Sonnencreme zehn Minuten ohne Sonnenbrand in der Sonne verbringen kann, ist mit LSF 50 theoretisch bis zu 500 Minuten geschützt – also nicht den ganzen Tag. Dirk Schadendorf benennt ein weiteres Problem: "Hinzu kommt, dass die Allerwenigsten sich so intensiv eincremen, dass sie tatsächlich, wenn wir bei Lichtschutzfaktor 50 bleiben, 50-fach geschützt sind."

Wie lange wirkt der Lichtschutzfaktor bei Sonnencremes?
Wie lange wirkt der Lichtschutzfaktor bei Sonnencremes? © 1&1 Mail und Media

Häufig werde der UV-Schutz zu dünn und ungleichmäßig aufgetragen. Schwer erreichbare Partien wie die Schulterblätter oder oft vergessene Stellen wie die Ohren sind besonders viel UV-Strahlung ausgesetzt. Als Faustregel gilt: Zwei Milligramm Sonnenschutzmittel pro Quadratzentimeter Haut auftragen und regelmäßig auffrischen – vor allem nach dem Baden oder Schwitzen.

Dirk Schadendorf rät, die angegebene Schutzzeit nicht auszureizen und die Haut am besten mit UV-undurchlässiger Kleidung vor der Sonne zu schützen, denn: "Wir wissen, dass die Vermeidung von Sonnenbrand insbesondere gegen den weißen Hautkrebs schützt. Möglicherweise reichen auch Entzündungen, die wir nicht so stark sehen oder gar nicht fühlen, um schwarzen Hautkrebs zu produzieren." Noch sei diese Diskussion aber nicht abgeschlossen.

  • Fazit: Sonnencreme bietet keinen Rundumschutz, ist aber nicht die Ursache für Hautkrebs.

Mythos 4: Sonnenbrillen und Sonnencremes hemmen die Vitamin-D-Produktion

Die Fehlinformation, Sonnenbrillen und Sonnencremes würden die Vitamin-D-Synthese verhindern, hält sich hartnäckig. Richtig ist, dass der Körper für die natürliche Vitamin-D-Bildung Sonnenlicht braucht – insbesondere über die Haut. Weil Sonnenschutzprodukte keinen vollständigen UV-Schutz bieten und wenige Minuten Sonne auf Gesicht und Armen genügen – laut Dirk Schadendorf geht das auch mit Sonnencreme – ist die Befürchtung nicht begründet.

Bei Sorge um den Vitamin-D-Status oder einem tatsächlichen Mangel könne es einfach durch ein Nahrungsergänzungsmittel ergänzt werden. Auch Vinodh Kakkassery gibt Entwarnung: "Bei Vitamin D ist es so, dass es genügend andere Wege gibt, es aufzunehmen. Selbst wenn man eine Sonnenbrille länger trägt, ist das kein relevanter Faktor."

  • Fazit: Sonnenschutz und Vitamin-D-Synthese schließen sich nicht aus. Weder Sonnenbrillen noch Sonnencremes verhindern, dass der Körper Vitamin D bilden kann.

Mythos 5: Chemische UV-Filter sind krebserregend

Zutreffend ist, dass einige chemische UV-Filter im Verdacht stehen, hormonell aktiv zu sein und Meeresorganismen zu schädigen. Die EU-Kosmetikverordnung regelt, welche Inhaltsstoffe in der EU für Kosmetikprodukte zugelassen sind. Bei neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen wird die Verordnung angepasst: Vor einigen Jahren wurden neue Grenzwerte für die UV-Filter Oxybenzon und Octocrylen festgelegt.

Durch falsche oder zu lange Aufbewahrung kann sich aus Octocrylen der möglicherweise krebserregend eingestufte Stoff Benzophenon bilden. Viele Hersteller verzichten mittlerweile auf Octocrylen. Einige Stellen wie die Verbraucherzentrale raten, Kosmetikprodukte mit Octocrylen vorsichtshalber zu meiden. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) stuft in der EU zugelassene UV-Filter bei sachgemäßer Anwendung und Lagerung als sicher ein.

Wer chemische Filter ablehnt, kann mineralische UV-Filter wie Zinkoxid verwenden, die das Sonnenlicht physikalisch reflektieren. Sie gelten als zuverlässig und gut verträglich, hinterlassen aber oft einen weißlichen Film auf der Haut. Dirk Schadendorf rät bei Unsicherheit gegenüber Inhaltsstoffen zu textilem Schutz: "Es gibt besonders lichtundurchlässige Stoffe, teilweise eben auch mit UV-Siegeln – und Kappen mit Nackenschutz."

  • Fazit: Obwohl bestimmte Komponenten in Sonnencremes zum Teil zu Recht kritisch betrachtet oder aus persönlichen Gründen abgelehnt werden, gibt es in der EU strenge Regelungen für Kosmetikprodukte – und es gibt alternative Schutzmaßnahmen.

Mythos 6: Die gesunde Bräune

Fakt ist: Der Körper benötigt für viele Prozesse Sonnenlicht – in geringen Dosen. Fakt ist leider auch, dass die Hautkrebszahlen in Deutschland steigen. Diejenigen, die im Sonnenlicht nur das Gesundheitselixier sehen und UV-Schutz ablehnen, stützen sich oft auf die steigenden Hautkrebsfälle. Hängen diese tatsächlich mit UV-Filtern zusammen?

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Dirk Schadendorf sagt: "Früher war Bräune ein Schönheitsideal. Sonnencremes gibt es erst seit den 1980er-Jahren, suffiziente Sonnenschutzmittel mit höherem Lichtschutzfaktor erst seit 25 Jahren. Die steigenden Hautkrebszahlen, die wir im Moment sehen und über die nächsten Jahre noch sehen werden, sind auf das Verhalten der letzten vier Jahrzehnte zurückzuführen – exzessives Sonnenbaden, Solariumbesuche und unzureichender Schutz bei Reisen in sonnenreiche Regionen." Auch das steigende Alter der Bevölkerung spiele eine Rolle.

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Hautkrebs mit der ABCDE-Regel erkennen © 1&1 Mail und Media

"Die Haut vergisst nichts", sagt Schadendorf. "Sie zahlen quasi in ihr Sonnenkonto ein. Und das ist auch nicht wieder rückgängig zu machen." Die vielen älteren Hautkrebspatienten zeigen, dass das "Sonnenkonto" oft erst viele Jahre später ausgezahlt wird. Weil intensive UV-Strahlung das Immunsystem und die Fresszellen schwächt, die geschädigte Zellen entfernen sollen, können UV-Schäden auch andere Krebsformen begünstigen.

  • Fazit: Weil die UV-Belastung durch den Klimawandel steigt, ist der Schutz der Augen und der Haut umso wichtiger. Die beste Schutzmaßnahme ist laut Kakkassery und Schadendorf vor allem eins: Prävention.

Über die Gesprächspartner

  • Prof. Dr. med. Dirk Schadendorf ist Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten. Er ist Direktor der Klinik für Dermatologie am Universitätsklinikum Essen und des Westdeutschen Tumorzentrums. Der Experte der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG) zählt zu den meistzitierten Krebsforschern weltweit.
  • Prof. Dr. med. Vinodh Kakkassery ist Chefarzt der Klinik für Augenheilkunde am Klinikum Chemnitz und einer der führenden deutschen Experten für Augenheilkunde und Augentumore. Er vertritt die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) und den Berufsverband der Augenärzte Deutschlands (BVA) im deutschen UV-Schutz-Bündnis.

Verwendete Quellen