Manche Viren kommen und gehen wieder, manche bleiben für lange Zeit, einige für immer. Welche Umstände einem Virus das Überleben schwermachen und was wir in dieser Hinsicht von SARS-CoV-2 zu erwarten haben, erklärt der Virologe Wolfram Brune vom Heinrich-Pette-Institut, Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie im Interview.

Ein Interview

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Herr Brune, es wird viel über Kontaktbeschränkungen, die das Coronavirus eindämmen sollen, und deren Lockerungen diskutiert. Daran, dass schnell wieder Normalität herrschen wird, glauben nur wenige. Einige sprechen sogar davon, dass man sich an eine "neue Normalität" wird gewöhnen müssen. Ist es aus Ihrer Sicht möglich, dass SARS-CoV-2 wieder komplett verschwindet?

Wolfram Brune: Möglich ist es schon, aber wie wahrscheinlich es ist, wird man sehen. Das erste SARS-Virus ist nach dem Ende des Ausbruchs 2002/2003 in der menschlichen Bevölkerung nicht wieder aufgetaucht. SARS-CoV-2 hat jedoch andere Eigenschaften. So ist es zum Beispiel bereits ansteckend, wenn ein Infizierter noch keine Symptome hat. Infizierte verbreiten es also weiter, ohne zu wissen, dass sie das Virus in sich tragen. Das und die Tatsache, dass ein Großteil der Menschen noch nie mit dem Erreger in Kontakt war, bedeutet wahrscheinlich, dass das Virus noch für Monate oder Jahre in der Bevölkerung bleiben wird, möglicherweise für immer.

Brune: "SARS-CoV-2 ist nicht menschenspezifisch"

Unter welchen Umständen verschwinden Viren überhaupt wieder?

Wenn "Verschwinden" im Sinne von "Ausrotten" gemeint ist, geht das eigentlich nur, wenn das Virus nicht auch ein tierisches Reservoir hat. Wenn es also nur in Menschen vorkommt, wie zum Beispiel die Pocken oder die Masern. SARS-Cov-2 ist nicht menschenspezifisch. Man muss also versuchen, dass es zumindest aus der menschlichen Bevölkerung wieder verschwindet. Da gibt es vor allem einen Ansatzpunkt: die Herdenimmunität. Sie ist erreicht, wenn ein bestimmter Prozentsatz der Bevölkerung erkrankt war oder geimpft wurde, also Antikörper gegen das Virus hat. Wie hoch der Prozentsatz sein muss, hängt davon ab, wie ansteckend das Virus ist. Es gibt auch Viren, die mit ziemlicher Sicherheit nicht mehr verschwinden - nämlich solche, die eine chronische Infektion hervorrufen, wie HIV, Hepatitis B und C und Herpesviren.

Welche Rolle spielt die Herdenimmunität bei einem Virus wie SARS-CoV-2?

SARS-CoV-2 ist ein RNA-Virus. Bei dieser Art Virus muss man davon ausgehen, dass es sich verändert. Eine lebenslange Immunität ist dann ausgeschlossen, das mutierte Virus kann auch Menschen infizieren, die Antikörper gegen die Ursprungsform gebildet haben. Wäre das Virus stabil, würde wahrscheinlich allein die Herdenimmunität ausreichen, um die Infektionen komplett zu stoppen. Wie gesagt, ist das bei SARS-CoV-2 aber vermutlich nicht so. Trotzdem hat die Immunität immer ihr Gutes: Bei verwandten Viren verläuft eine neuerliche Infektion meistens nicht so schwer wie die erste.

Gibt es Beispiele von Viren, die komplett wieder verschwunden sind?

Die Pocken sind ein gutes Beispiel. Nach einer Impfkampagne in den 1970ern gelten sie seit vielen Jahren als ausgerottet. Auch die erwähnte SARS-Epidemie von 2002/2003 und die MERS-Ausbrüche seit 2012 konnten beendet werden. Diese Viren sind seitdem nicht mehr in der menschlichen Bevölkerung vorhanden. Im Unterschied zu den Pocken sind sie aber noch in Tieren vorhanden. Wenn es also zu einer erneuten Tier-Mensch-Übertragung käme, könnte es auch wieder eine Epidemie geben oder sogar eine Pandemie, wie wir sie gerade jetzt mit SARS-CoV-2 erleben.

Über den Experten: Professor Wolfram Brune ist Virologe und Leiter der Abteilung "Virus-Wirt-Interaktion" am Heinrich-Pette-Institut, Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie, in Hamburg. Er beschäftigt sich vor allem mit der Frage, wie Viren es schaffen, die Abwehrmechanismen einer Zelle außer Kraft zu setzen und sie als Wirt zu nutzen. Sein Spezialgebiet sind Herpesviren.
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