Ein Jahr nach dem Tod ihrer Tochter erschießt Marianne Bachmeier den mutmaßlichen Mörder im Gerichtssaal – ein Akt der Selbstjustiz, der Geschichte schrieb.

Einer der bekanntesten Fälle von Selbstjustiz in Deutschland ereignete sich am 6. März 1981. Es war der dritte Prozesstag im Mordfall eines jungen Mädchens am Lübecker Landgericht. Marianne Bachmeier, damals 29 Jahre alt, betrat den Saal. Die Mutter des Mädchens war als Zeugin geladen. Hinter ihr kam der mutmaßliche Mörder: Klaus Grabowski.

Der Angeklagte saß mit dem Rücken zu Bachmeier und bekam nicht mit, was sich hinter ihm abspielte: Marianne Bachmeier zog eine Pistole vom Typ Beretta 70s aus ihrer Manteltasche und richtete sie auf Grabowski. Sie drückte achtmal ab, sieben Schüsse fanden ihr Ziel: einer in den Arm, sechs in den Rücken. Grabowski starb noch am Tatort. Die Tat machte bundesweit Schlagzeilen.

Marianne Bachmeiers Tochter kehrt von Spaziergang nicht zurück

Die Tragödie nahm nicht ganz ein Jahr vorher ihren Anfang. Die damals siebenjährige Anna, ein fröhliches und aufgeschlossenes Mädchen, verschlief am Morgen des 5. Mai 1980. Anstatt in die Schule zu gehen, machte sie in Lübeck, dem Wohnort der Bachmeiers, alleine einen Spaziergang.

Auf diesem begegnete sie Klaus Grabowski, einem bekannten Metzger aus der Nachbarschaft. Unter dem Vorwand, ihr seine Katzen zu zeigen, lockte er sie zu sich nach Hause. Anna ging mit – und kehrte nie zurück. Der Mann hielt sie gefangen und erdrosselte das Mädchen mit einer Strumpfhose. Ob er das Mädchen vor ihrem Tod missbrauchte, ist ungeklärt.

Seiner Verlobten vertraute Grabowski die Tat anschließend an. Womit er wohl nicht gerechnet hatte: Sie wandte sich sofort an die Polizei. So wurde er noch am selben Tag festgenommen und gestand, das Mädchen getötet zu haben. Die Leiche des Kindes wurde nahe einer Schleuse in einer Kiste aufgefunden. Für Marianne Bachmeier brach eine Welt zusammen.

Bachmeiers Schüsse auf Grabowski: Racheakt oder Affekthandlung?

Waren die Schüsse auf Grabowski ein Racheakt oder handelte Bachmeier tatsächlich im Affekt, wie sie selbst aussagte? Die Umstände werfen Fragen auf: Die Mutter traf gezielt, ihre Waffe war geladen und sie hatte sie aus einem Versteck – dem Grab ihrer Tochter – ins Gericht mitgebracht. Alles schien auf eine geplante Tat hinzudeuten.

Der Prozess gegen Marianne Bachmeier begann am 2. November 1982 in Lübeck. Zunächst wurde sie wegen Mordes angeklagt. Nach 15 Monaten stand das Urteil fest: sechs Jahre Haft wegen Totschlags und unerlaubtem Waffenbesitz. Der Mordvorwurf wurde abgewiesen – trotz deutlicher Hinweise auf Rache. Die Begründung für das Urteil war die von Bachmeier erklärte spontane Handlung. Wozu sie dann die geladene Waffe mit ins Gericht gebracht hatte? Das bleibt ein Rätsel.

Der Fall und ihre Verurteilung wegen Todschlags, nicht wegen Mordes, machten Marianne Bachmeier und ihren Fall deutschlandweit bekannt. In den Medien trat sie stets selbstbewusst auf, konnte sich gut ausrücken und wirkte souverän. Viele sahen in ihr eine Heldin, vor allem Mütter, die ihren Schmerz nachvollziehen konnten und sich dadurch mit ihr verbunden fühlten.

Andere sahen sie aber auch als Mörderin: Nicht sie, sondern die Justiz hätte über Grabowskis Schicksal entscheiden müssen.

Das sagt Marianne Bachmeier zu den Gründen für die Tat

Die Frage, warum sie zur Waffe griff, blieb offen. Zunächst. Viel später erklärte Bachmeier, sie habe es nicht länger ertragen können, wie das Ansehen ihrer ermordeten Tochter beschmutzt wurde. Grabowski behauptete, Anna habe ihn erpressen wollen, wenn er ihr kein Geld gibt. Hätte er Reue gezeigt und keine Lügen verbreitet, so sagte Bachmeier später in einem Interview mit Sandra Maischberger, hätte sie vielleicht nicht geschossen.

Auch die Justiz geriet in die Kritik. Grabowski war bereits wegen mehrerer Sexualdelikte bekannt – auch an Kindern. Nachdem er sich deswegen freiwillig hatte kastrieren lassen, genehmigte ein Gericht eine Hormonbehandlung, die den ärztlichen Eingriff rückgängig machte – trotz der Vorgeschichte des Mannes.

Bachmeier nach der Haft

1983 trat sie ihre Haftstrafe an, während der sie mehrere Suizidversuche unternahm. Nach zwei Jahren wurde sie vorzeitig entlassen. Es folgte ein Leben in Nigeria und eine gescheiterte Ehe. Schließlich zog sie nach Italien, wo sie ein Buch über ihre Tochter schrieb und als Sterbebegleiterin arbeitete.

1996 erkrankte Bachmeier an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Noch im selben Jahr kehrte sie nach Deutschland zurück, wo sie wenig später starb. Sie wurde im Grab ihrer Tochter beigesetzt.

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Marianne Bachmeiers Name bleibt auch auf den Tag genau 29 Jahre nach ihrem Tod mit einem der aufsehenerregendsten Fälle von Selbstjustiz in Deutschland verbunden. Und einen bleibenden Einfluss auf die Gerichte hatte die Tat auch: Seither wurden die Sicherheitsvorkehrungen deutlich verschärft.

Verwendete Quellen