An Mariä Himmelfahrt erreicht der neue Papst die Wegmarke, an der in der Politik erstmals Bilanz gezogen wird. Das neue Oberhaupt der Katholiken denkt allerdings in langen Linien. Sehr langen.
Einhundert Tage ist
Das neue Oberhaupt von weltweit 1,4 Milliarden Katholiken wird den Tag in seiner Sommerresidenz Castel Gandolfo verbringen, eine halbe Autostunde entfernt von Rom. Morgens wird er in der Thomaskirche des 9.000-Seelen-Städtchens die Heilige Messe feiern. Anschließend spricht er auf dem Dorfplatz das Angelus-Gebet. So viele Gläubige und Schaulustige wie sonst auf dem Petersplatz werden es mit Sicherheit nicht.
Papst Leo XIV. lässt es ruhig angehen
Das passt: Der erste US-Amerikaner auf dem Stuhl Petri, bürgerlicher Name
In der Kurie, dem Machtapparat der Kirche, hatte sich zuletzt einiges an Unmut über Vorgänger Franziskus aufgestaut. Viele wünschen sich mehr Ruhe. Außerdem blieb während Franziskus' Krankheit bis zu dessen Tod am Ostermontag einiges liegen. Darum kümmert er sich.
Franziskus rund um den Petersplatz noch überall präsent
Wenn nicht gerade Mittwoch oder Sonntag ist - die Tage, an denen sich der Papst der Öffentlichkeit zeigt - und man es nicht besser wüsste, könnte man sogar auf den Gedanken kommen, der Vorgänger sei noch im Amt. In den Geschäften rund um den Petersplatz findet sich von Leo bislang so gut wie nichts. Dafür hängen überall noch die Franziskus-Souvenirs. Wer eine Postkarte mit dem Neuen will, muss sich im Vatikan-Postamt in die Schlange stellen.
In seinen Reden und Predigten hat Leo noch keine großen anderen Akzente gesetzt. Wie Franziskus geißelt er die "Barbarei des Krieges" und mahnt zu Frieden und Versöhnung - aktuell insbesondere mit Blick auf den Nahen Osten und auf Russlands Krieg gegen die Ukraine. Das Angebot, den Vatikan als Verhandlungsort für Friedensgespräche zur Verfügung zu stellen, gilt. Auch die Appelle, Rücksicht auf Arme und Schwächere zu nehmen, klingen vertraut.
Keine konkreten Reisepläne bekannt
Ein größeres Interview gibt es von Leo noch nicht. Nur dem italienischen Sender Rai beantwortete er kürzlich im Stehen einige Fragen. Der wichtigste Satz auch hier: "Es sterben so viele Unschuldige, und wir müssen uns immer für den Frieden einsetzen." Zu Aufforderungen, selbst in die Ukraine oder in den Gazastreifen zu fahren - zuletzt von US-Sängerin Madonna -, sagte er bei anderer Gelegenheit nur, es gebe viele Regionen, wo er hinreisen wolle.
Im Ausland war Leo in seinen ersten 100 Tagen überhaupt noch nicht. Spekuliert wird darüber, dass er gegen Ende des Jahres in die Türkei fliegen könnte. Außerdem ist die Rede davon, dass er seine beiden Heimatstaaten besuchen könnte: neben den USA auch Peru. Aus seiner Zeit als Bischof hat er einen peruanischen Pass. Offiziell verlautet aus dem Vatikan dazu nichts. Dort denkt man, wie in der katholischen Kirche ohnehin, in längeren Zeiträumen.
Unterschiede in Äußerlichkeiten
Die Unterschiede zu Franziskus lassen sich vor allem in Äußerlichkeiten festmachen: So wie er jetzt eben die Ferien in Castel Gandolfo verbringt. Der Argentinier war in seiner demonstrativen Bescheidenheit stets auch den Sommer über im Vatikan geblieben. Außerdem trägt Leo häufiger Ornat, fährt größere Autos und will wie die früheren Päpste in den Apostolischen Palast ziehen.
Seiner Beliebtheit hat das zurückhaltende Auftreten bislang nicht geschadet. Bei einem großen Jugendtreffen zum derzeit laufenden Heiligen Jahr Anfang des Monats in Rom wurde der neue Pontifex von mehr als einer Million Leuten gefeiert. Ihnen rief er zu: "Ihr seid das Zeichen dafür, dass eine andere Welt möglich ist: eine Welt der Brüderlichkeit und Freundschaft, in der Konflikte nicht mit Waffen, sondern mit Dialog gelöst werden."
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Papst arbeitet an grundsätzlichem Dokument
Viele Experten rechnen damit, dass Leo nach den Sommerferien konkreter wird. Dann werden auch Personalentscheidungen erwartet. Zudem ist aus dem Vatikan zu hören, dass der Papst an seiner ersten Enzyklika arbeitet, wie die Lehrschreiben in der katholischen Kirche heißen, auch während der Tage in Castel Gandolfo. Seit seinem Namensvetter Leo XIII., dessen Pontifikat von 1878 bis 1903 dauerte, hat eigentlich jeder Pontifex so eine Art Regierungserklärung von sich gegeben.
Bei solchen Gelegenheiten wird dann gern auch darauf verwiesen, dass der jetzige Papst mit 69 Jahren verhältnismäßig jung ist und gut bei Gesundheit scheint. Auch Tennis spielt er noch. Bliebe Leo XIV. solange im Amt wie Leo XIII., der zu Beginn seines Pontifikats fast gleichaltrig war, wäre man im Jahr 2050. Was sind da schon 100 Tage. (dpa/bearbeitet von ari)