Die psychische Krise unter Österreichs Jugendlichen spitzt sich zu – Hilfsangebote bleiben lückenhaft. SOS-Kinderdorf warnt vor wachsendem Druck durch Schule und globale Krisen.
Den Jugendlichen in Österreich soll es nicht gut gehen. Obwohl das bereits seit Jahren ein Thema sei, "setzen wir uns viel zu wenig mit den Ursachen für diese Gesundheitskrise im psychischen Bereich auseinander", kritisiert die Kinderrechtsexpertin von SOS-Kinderdorf, Birgit Schatz. Der Ausbau der psychischen Versorgung reiche bei weitem nicht aus. Angesetzt werden müsse auch im Schulsystem, das massiv belastend für Jugendliche sei. Von einem Social-Media-Verbot hält sie wenig.
Bei dem von SOS-Kinderdorf betriebenen psychosozialen Notdienst Rat auf Draht nehme die Zahl der Anrufe von Jugendlichen mit sehr schweren Belastungen und Suizidgedanken zu, berichtet die Kinderrechtsbeauftragte im APA-Gespräch anlässlich des Tags der Jugend. Die medizinische und therapeutische Versorgung für Jugendliche sei trotz der Bemühungen zum Ausbau nach wie vor schlecht, nicht flächendeckend und nicht ausreichend kassenfinanziert. "Es braucht zusätzliche Mittel und einen zusätzlichen Ausbau, weil wir sonst kein Licht am Ende des Tunnels sehen", so Schatz.
Bedürfnisse junger Menschen mehr in Mittelpunkt stellen
Zudem gehe es darum, dass die jungen Menschen mit ihren Bedürfnissen in der Gesellschaft stärker in den Mittelpunkt gerückt würden. Die Jugendlichen seien heutzutage zusätzlich zu den Herausforderungen der Transformationsphase der Pubertät von außen mit einem "ziemlichen Rucksack" an Belastungen - globale Krisen wie Kriege, Klimawandel und soziale Unsicherheiten - konfrontiert.
Dazu käme, dass junge Leute immer mehr den Eindruck hätten, dass sie kaum Einfluss auf ihre Zukunft nehmen können. "Sie erleben, dass über ihren Kopf hinweg entschieden wird", so Schatz. Ein drastisches Beispiel sei der Umgang mit der Klimabewegung gewesen, wo den Jugendlichen vor Augen geführt worden sei: "Es ist komplett wurscht, was ihr wollt, was für euch wichtig ist."
Fehlende Reformen in der Bildung
Auch im Bildungssystem tue sich seit Jahrzehnten nichts, "obwohl wir von Studien wissen, dass sich Kinder und Jugendliche dort überhaupt nicht gut fühlen", meint die Kinderrechtsexpertin. Um die Probleme an der Wurzel zu packen, müssten junge Menschen Selbstwirksamkeit erleben, um aus dem Ohnmachtsgefühl zu kommen, dass sie keine Gestaltungsspielräume für eine positive Zukunft hätten. Vor allem in der Schule, wo die Jugendlichen außer Haus die meiste Zeit verbringen, müsse die Beteiligung erhöht werden. Bisher hänge es nach wie vor vom Engagement einzelner Lehrpersonen ab, ob es demokratische Entscheidungsprozesse gebe.
SOS-Kinderdorf bemüht sich daher, ein international erprobtes Tool namens Aula in Österreich zu etablieren, wo demokratische Themen diskutiert und Entscheidungen getroffen werden. Diese würden letztlich auch umgesetzt, weil sich die Schule im Vorfeld dazu verpflichtet, diese Entscheidungen zu akzeptieren.
Beteiligungskonzepte brauche es auch im Gesundheitsbereich, fordert SOS-Kinderdorf. Jugendliche würden sich oft beim Kinderarzt nicht mehr gut aufgehoben fühlen, klassische Erwachsenenärzte würden aber auch nicht spezifisch auf ihre Lebenssituation eingehen. Vereinzelt würden Kinderärzte Jugendsprechstunden anbieten, "in diese Richtung muss es gehen".
"Jugend-Check dringend überarbeiten"
Dringend überarbeitet werden müsse außerdem der Jugend-Check für neue Gesetze. Das aktuelle Prüfverfahren ist laut SOS-Kinderdorf "total wirkungs- und zahnlos". Die Wirkungsfolgeabschätzung dürfe nicht mehr vom Ministerium selbst gemacht werden, sondern müsse unabhängig gemacht werden, fordert Schatz.
Vom aktuell diskutierten Verbot für Soziale Medien bis zu einer gewissen Altersgrenze hält sie wenig. Es sei "bedenklich, auf Herausforderungen immer öfter mit Verboten und Beschränkungen zu reagieren". Durch Datenschutzgrundverordnung und Digital Service Act seien bereits Normen da, meint Schatz.
Empfehlungen der Redaktion
Das Problem sei eher die Umsetzung, wobei Österreichs Spielräume gegenüber großen Plattformen nicht sehr groß seien. Es sei Aufgabe der Erwachsenen, die jungen Menschen in der digitalen Welt nicht allein zu lassen sondern ebenso wie in der realen zu begleiten und zu unterstützen. (APA/bearbeitet von dad)