Aserbaidschan hat in dieser Woche nach einer Blitzoffensive die volle Kontrolle über Bergkarabach wiedergewonnen. International steigt die Sorge um das Schicksal der rund 120.000 armenischen Bewohner der bergigen Region.

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Empfang durch armenische Polizisten, Registrierung im Ankunftszentrum und dann Weiterfahrt mit Bussen: Am Sonntag sind die ersten Flüchtlinge aus Bergkarabach am armenischen Checkpoint in Kornidsor angekommen, wo Menschen seit Tagen auf Familien und Freunde aus der umstrittenen Kaukasus-Region warten. Es wird damit gerechnet, dass nach der jüngsten erfolgreichen aserbaidschanischen Großoffensive in Bergkarabach womöglich zehntausende armenische Bewohner der Region nach Armenien flüchten werden.

Aserbaidschan hat in dieser Woche nach einer Blitzoffensive die volle Kontrolle über die vom Weinanbau dominierte, bergige Region Bergkarabach wiedergewonnen. Seitdem steigt auch international die Sorge um das Schicksal der rund 120.000 armenischen Bewohner Bergkarabachs. Viele von ihnen haben dort offensichtlich ihre Handys ausgeschaltet, um angesichts der zusammengebrochenen Stromversorgung den Akku zu schonen.

Mangel an Grundversorgungsmitteln

Diejenigen, die hin und wieder aus Bergkarabach anrufen oder Nachrichten schreiben, berichten auch von Mangel an Treibstoff und Grundversorgungsmitteln. Es herrscht ein Gefühl der Angst vor den heranrückenden Streitkräften aus Aserbaidschan.

Umgeben von Schäfern und ihren Herden haben die armenischen Soldaten in der winzigen Grenzstadt Kornidsor zuletzt höchstens Platz für russische Hilfskonvois gemacht, die seit vergangener Woche in unregelmäßigen Abständen ankommen. Die einzige armenische Straße nach Bergkarabach, der sogenannten Latschin-Korridor, ist seit einer Blockade durch Aserbaidschan im Dezember geschlossen. Die Bewohner Bergkarabachs sind de facto eingesperrt.

Am Samstag passierte ein erster Hilfskonvoi des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) den Grenzposten Kornidsor. Er brachte über den Latschin-Korridor Lebensmittel und humanitäre Güter nach Bergkarabach.

Einer der Männer, die am Grenzposten warten, hat sich ein Fernglas von einem Soldaten geliehen. Er sucht nach Anzeichen für das Ausmaß der Zerstörung in einem kleinen Dorf am anderen Ende des Tals. "Da war eine Kirche. Ich kann den Glockenturm nicht mehr sehen. Sie wurde zerstört", murmelt er und läuft wütend davon.

Bewohner finden Schutz nahe russischem Militärlager

Der 28-jährige Garik Sakarjan lebte bis Dezember in dem kleinen Dorf in Bergkarabach, wie er sagt. Er habe die Gefahr kommen sehen und sei mit seiner Familie abgehauen - drei Tage, bevor der Latschin-Korridor geschlossen wurde. Am Dienstag wurde sein Heimatdorf bombardiert. Niemand wurde getötet, die rund 150 Einwohner fanden Schutz nahe einem russischen Militärlager. "Ich bin seit drei Tagen und Nächten hier", sagt Sakarjan. Er habe keine große Hoffnung, seine Freunde bald wiederzusehen, "aber ich konnte nicht einfach nichts tun".

Die zwischen den beiden Ex-Sowjetrepubliken Armenien und Aserbaidschan seit langem umkämpfte Kaukasus-Enklave Bergkarabach gehört zwar völkerrechtlich zum überwiegend muslimischen Aserbaidschan, wird aber mehrheitlich von christlichen Armeniern bewohnt. 1991 hatte sich Bergkarabach nach einem international nicht anerkannten und von der aserbaidschanischen Minderheit boykottierten Referendum für unabhängig erklärt. Mit der jüngsten Großoffensive hat Aserbaidschan nun de facto wieder die Kontrolle über das Gebiet übernommen.

Die Menschen, die jetzt von Bergkarabach nach Armenien kommen, sehen als erstes das vom armenischen Außenministerium und einer örtlichen Nichtregierungsorganisation aufgebautes Ankunftszentrum sehen. Geleitet wird dies von der 29-jährigen Jana Awanesjan. Die Jura-Dozentin an der Universität in der Gebietshauptstadt Stepanakert hatte im August 2022 ein einjähriges Stipendium für die USA erhalten. Bei ihrer Rückkehr war sie ausgesperrt, wegen der aserbaidschanischen Blockade konnte sie nicht zurück nach Bergkarabach kehren.

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Wie viele andere, die mit ihre Angehörigen in Bergkarabach telefonisch in Verbindung stehen, beschreibt sie die Situation in der Region als "schrecklich". Es werde nicht leicht sein, die Flüchtlinge unterzubringen, weil Armenien ein kleines Land sei. "Doch das Volk von Bergkarabach hat viele Verwandte hier und sie erwarten Hilfe von ihnen." (afp/dad)  © AFP

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