Helmut Kohl ging in die Geschichte als der Kanzler ein, der die Bundesrepublik einte. Doch viele verbinden mit Kohl auch unzählige Streitigkeiten, die oftmals über Anwälte ausgetragen wurden. Nicht in jeder Auseinandersetzung hat Kohl, der am 3. April 2020 seinen 90. Geburtstag gefeiert hätte, seinen Frieden gefunden.

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Viele Bundeskanzler fanden nach ihrer aktiven Politikerkarriere eine Aufgabe, die sie erfüllte. Konrad Adenauer etwa, der nach dem Ende seiner Kanzlerschaft immerhin schon 87 Jahre alt war, widmete sich seinem Garten im beschaulichen Rheinstädtchen Königswinter und seinen Memoiren. Helmut Schmidt entfaltete eine rege publizistische Tätigkeit und wurde Mitherausgeber der Wochenzeitung "Die Zeit". Gerhard Schröder zelebriert seine persönliche Freundschaft zu Russlands Präsident Wladimir Putin und leitet unter anderem den Aufsichtsrat des staatlichen Ölkonzerns Rosneft.

Helmut Kohl hingegen, der deutsche Kanzler mit der bislang längsten Amtszeit, steckte viel Lebensenergie in persönliche Konflikte. In Erinnerung bleiben nicht nur seine Leistung in der Vereinigung der Bundesrepublik Deutschland. Auch zahlreiche öffentlich ausgetragene Streitigkeiten sind eng verbunden mit den letzten Jahren Helmut Kohls.

Der Familienstreit der Kohls

Als Helmut Kohl am 16. Juni 2017 starb, ging ein Bild um die Welt, das sinnbildlich für die zwei Welten innerhalb der Familie Kohl stand: Verloren stand Walter Kohl, der älteste Sohn des Altkanzlers, mit seinen zwei Kindern vor dem Bungalow seines Vaters in Ludwigshafen-Oggersheim und bat um Einlass. Vergeblich. "Sie sehen einen Menschen, der sehr traurig ist", so Kohl, der über den Tod seines Vaters im Autoradio erfahren haben soll.

Die zwei Welten innerhalb der Familie Kohl – das waren der Altkanzler und seine zweite Ehefrau Meike Kohl-Richter auf der einen, und die beiden Söhne Walter und Peter Kohl auf der anderen Seite.

Einen Zeitpunkt zu definieren, an dem die Familie Kohl zerbrach, ist schwierig. War es der Selbstmord von Hannelore Kohl im Jahr 2001? Oder entzweite die zweite Ehe Kohls mit Maike Richter die Familie?

Hannelore Kohl, die erste Ehefrau, war 15 Jahre alt, als sie den späteren Bundeskanzler kennenlernte. Den Aufstieg ihres Mannes an die Regierungsspitze begleitete sie eng, aber stets mit einer kritischen Distanz zum politischen Alltag. Der Einfluss auf ihren Mann kann dabei kaum überschätzt werden. Hannelore Kohl soll unter anderem am Zehn-Punkte-Programm von Helmut Kohl, das zum Erreichen der deutschen Einheit und Selbstständigkeit führte, mitgewirkt haben.

Doch der raue Politikbetrieb war Hannelore Kohl fremd. Dass ihr Ehemann schon zu Oppositionszeiten als "Birne" tituliert wurde und sie als Dummchen und "Barbie von der Pfalz" bespottet, verkraftete Hannelore Kohl nicht. Nach der 1999 aufgedeckten CDU-Spendenaffäre musste sich die Kanzlergattin regelmäßig Beschimpfungen in der Öffentlichkeit anhören. Zudem soll sie unter einer Lichtallergie gelitten haben. Die Kanzlergattin schottete sich zunehmend ab, sie lebte unter dauernder Dunkelheit. Am 5. Juli 2001 nahm sich Hannelore Kohl mit einer Überdosis Tabletten das Leben.

Vier Jahre später begab sich Helmut Kohl in eine neue Beziehung. Maike Kohl hieß die neue, 34 Jahre jüngere Frau an der Seite des Altkanzlers. Vermutlich waren sich Kohl und die promovierte Volkswirtin in den Fluren des Bundeskanzleramtes über den Weg gelaufen, wo sie als Beamtin in der Wirtschaftsabteilung arbeitete. Bei einem Auftritt in der ZDF-Talkshow von Markus Lanz deuteten die Söhne zumindest an, dass ihr Vater bereits in den 90er Jahren eine Liaison mit Maike Richter eingegangen sei. 2008 heiratete Helmut Kohl seine zweite Frau in Heidelberg.

Woran das Verhältnis zwischen Maike Kohl-Richter und ihren beiden Stiefsöhnen Walter und Peter Kohl zerbrach, lässt sich nicht fair beurteilen. Denn Maike Kohl-Richter hat sich in den vergangenen Jahren kaum geäußert.

Das öffentliche Drama der Familie Kohl wird deshalb vor allem von den Erzählungen der beiden Söhne geprägt, die sich in den vergangenen Jahren mit vielbeachteten Interviews und Büchern in die Öffentlichkeit gewagt haben. Dabei machen sie aus ihrer Abneigung gegenüber Maike Kohl-Richter kein Geheimnis. Sie habe von Beginn an den Zugang zum Vater kontrolliert und ihn vor Familie, Öffentlichkeit und den Enkelkindern konsequent abgeschirmt. Kohl-Richter habe über den Altkanzler geradezu Besitz ergriffen.

Im Vorwort zu einer Biografie seiner Mutter schrieb Peter Kohl über einen Besuch bei seinem Vater: "Ich war in eine Art privates Helmut-Kohl-Museum geraten", vollgestellt mit Fotos von ihm und den beiden, gerahmten Briefen und anderen Reliquien. "Sie verhält sich, als sei sie die Propagandaabteilung von Helmut Kohl."

Hoffnungen, dass der Tod von Helmut Kohl die Familie versöhnen könnte, waren nicht mehr als ein frommer Wunsch. Kohl ist auf dem Friedhof des Domkapitels in Speyer beerdigt, das Grab ist kameraüberwacht. Die Söhne wollten dagegen, dass ihr Vater neben ihrer Mutter in Ludwigshafen die letzte Ruhestätte findet. Unbestätigten Gerüchten zufolge soll der Altkanzler sich dagegen gewünscht haben, im Speyerer Dom neben Kaisern, Königen und Bischöfen beerdigt zu werden.

Wie aber blickt Maike Kohl-Richter auf die Vorhaltungen? In einem ihrer seltenen Interviews äußerte sie sich zu den Vorwürfen der Kohl-Söhne. "Ich fühle mich wie Freiwild, das zum Abschuss freigegeben ist", sagte die 53-Jährige dem "Stern" - und beklagte sich über falsche Behauptungen und Beschimpfungen. In ihrer Wahrnehmung gelte für die Söhne nur sie als böse: "Mein Mann und ich werden als maximal unversöhnlich dargestellt, und ich gelte als Monster, das die armen Kinder von Vater und Großvater fernhält." Ihren Frieden hat die Familie bis heute nicht gefunden.

Der Streit um den Kohl-Nachlass

Der Tod von Helmut Kohl war gleichzeitig der Beginn einer neuen Auseinandersetzung. Rund 400 Ordner mit Akten aus seiner Zeit als aktiver Politiker soll Kohl in seinem Privathaus in Ludwig-Oggersheim gelagert haben. Das Material befand sich schon einmal in den Magazinen des Archivs für christlich-demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sankt Augustin bei Bonn. Kohl hatte die Unterlagen jedoch zurückgefordert, um seine Memoiren zu schreiben. In die technisch für die dauerhafte Aufbewahrung gedachten Archivräume gelangten sie seitdem nicht mehr.

Nach Kohls Tod entbrannte eine Debatte darüber, wer eigentlich das Recht auf Akten eines ehemaligen Bundeskanzlers habe. Ein ähnliches Gezerre gab es auch um das papierne Erbe von Willy Brandt. Seine Witwe Birgit Seebacher hatte Einfluss auf die Nutzung der Unterlagen nehmen wollen. Am Ende einigte man sich jedoch darauf, dass die Unterlagen im Archiv der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung verbleiben.

Unterlagen aus dem Geschäftsgang des Bundeskanzleramtes lagern normalerweise im Bundesarchiv. Doch längst nicht alle Akten sind offiziell. In Kohls Nachlass befanden sich beispielsweise auch private Schriftstücke, die eher familiäre Angelegenheiten sind als Korrespondenzen des Bundeskanzlers. Es ist fast unmöglich, private Papiere eines Spitzenpolitikers zu zerrupfen. Deshalb verwahren die Archive in der Regel auch persönliche Materialsammlungen als Nachlässe, unter bestimmten Bedingungen. Die Akten sind dann frühestens 30 Jahre nach ihrer Entstehung zugänglich für Wissenschaftler und die interessierte Öffentlichkeit.

Der Leiter des Bundesarchivs, Michael Hollmann, forderte deshalb von Maike Kohl-Richter auch die "Weiterleitung" des staatlichen Schriftguts. Kohl soll testamentarisch verfügt haben, dass die Witwe Kohl-Richter das alleinige Zugriffsrecht auf seinen Nachlass hat.

Bis heute ist der endgültige Verbleib von Helmut Kohls politischem Nachlass ungeklärt. Nebst dem Bundesarchiv hat auch die Konrad-Adenauer-Stiftung Anspruch auf die Dokumente angemeldet.

Der Streit um die Kohl-Memoiren

Einen beinahe kuriosen Streit leistete sich Kohl mit seinem "Ghostwriter" Heribert Schwan. Im Oktober 2014 erschien im Heyne Verlag das rund 250 Seiten lange Sachbuch "Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle". Es beruht auf 105 Interviews, die der WDR-Journalist Schwan und sein Co-Autor Tilman Jens 2001/2002 in Helmut Kohls Privatwohnung in Ludwigshafen geführt haben. Kohl äußerte sich darin teils drastisch über politische Konkurrenten.

Über den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff soll Kohl demnach gesagt haben, dieser sei ein "ganz großer Verräter. Gleichzeitig ist er auch eine Null." Über Angela Merkel wird Kohl wie folgt zitiert: "Frau Merkel konnte nicht mit Messer und Gabel essen. Sie lungerte bei den Staatsessen herum, so dass ich sie mehrfach zur Ordnung rufen musste." Und Ex-CDU-Generalsekretär Heiner Geißler, den ehemaligen Arbeitsminister Norbert Blüm und den ehemaligen Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg soll Kohl als "hinterfotzig" bezeichnet haben.

"Vermächtnis" zeichnet über viele Seiten das Bild eines Mannes, der in seinen späten Lebensjahren zunehmend verbitterte und in einen verbalen Rachefeldzug gegen seine jahrelangen Wegbegleiter zog. Von vielen Parteifreunden fühlte er sich in der CDU-Spendenaffäre mindestens im Stich gelassen, von manchen sogar betrogen. Dass die rund 630 Stunden langen Tonbandaufnahmen für die Öffentlichkeit bestimmt waren, ist mehr als zweifelhaft.

Schwan veröffentlichte die unautorisierten Zitate trotzdem. Er hatte sich schon während der Arbeiten mit Kohl und seiner Frau überworfen. Noch vor dem Erscheinen versuchten Kohls Anwälte, eine Veröffentlichung zu verhindern – ohne Erfolg. Der Rechtsstreit zog das Buch erst recht in die Öffentlichkeit und die Leserzahlen gingen durch die Decke. Allein in den ersten zweieinhalb Jahren wurde der Bestseller 200.000 Mal verkauft.

Über Jahre hinweg stritten sich Kohl und Schwan über einzelne Zitate. Es habe sich bei der Veröffentlichung um einen "historisch einzigartigen, unverfrorenen, rücksichtslosen Verrat” gehandelt, argumentierten die Anwälte. Eine "Superpersönlichkeitsverletzung” also, die schließlich eine "Superklage” erforderlich mache. Es ging um insgesamt fünf Millionen Euro Schadenersatz.

Am Ende konnte Kohl eine Rekordsumme von einer Million Euro Schmerzensgeld durchsetzen – die höchste Summe, die nach deutschem Recht für Verletzungen des Persönlichkeitsrechts zugesprochen wurde. Das Gericht hatte entschieden: Vertrauliches muss vertraulich bleiben, wenn Vertraulichkeit zugesichert war. Schwan habe mit dem Buch seine Verschwiegenheitspflicht und seine Pflicht zur Geheimhaltung verletzt.

Freilich war das ein Sieg, den Helmut Kohl nicht mehr lange genießen konnte. Wenige Wochen nach dem Urteil verstarb er - zu diesem Zeitpunkt war das Urteil noch nicht rechtkräftig.

Verwendete Quellen:

  • Die Welt: Wohin die 400 Aktenordner des Altkanzlers gehören
  • Süddeutsche Zeitung – Interview mit Helmut Kohls Söhnen: Mutterland
  • STERN – Maike Kohl-Richter im Interview
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