Ein kenianischer Langstreckenläufer wird zum unfreiwilligen Soldaten in Putins Armee - und flieht zu ukrainischen Truppen. Der Fall von Evans Kibet zeigt, wie Russland systematisch Ausländer für den Krieg rekrutiert.

Mit Tränen in den Augen fleht Evans Kibet darum, nicht nach Russland zurückgeschickt zu werden. Der junge kenianische Athlet, der in der russischen Armee im Gebiet Charkiw in der Nähe der Stadt Wowtschansk diente, wurde einem Bericht von "Kyiv Independent" zufolge von ukrainischen Soldaten gefangen genommen. "Ich werde dort sterben", sagt Kibet laut BBC in einem Video, das am Mittwoch von einer Brigade der ukrainischen Armee veröffentlicht wurde.

Evans Kibet schildert in einem Video, das von der 57. Brigade der ukrainischen Armee auf YouTube veröffentlicht wurde, seine Erlebnisse in der russischen Armee. © YouTube/57. Separate motorisierte Infanteriebrigade

Der Langstreckenläufer sagt, er sei unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zur russischen Armee gezwungen worden und wolle laut BBC unbedingt nach Hause zu seiner 16-jährigen Tochter zurückkehren. "Ich bin in Russland gelandet, ohne zu wissen, dass ich in die russische Armee eingezogen worden war. Ich hatte zuvor noch nie gedient", sagt Evans in dem Video laut "Kyiv Independent".

Kibet stammt aus Bauernfamilie und hatte finanzielle Schwierigkeiten

Kibet stammt aus einer Bauernfamilie aus der Mount-Elgon-Region in Westkenia und hatte sein Leben dem Laufsport gewidmet. Wie die BBC berichtet, trainierte der Langstreckenläufer in Iten, der berühmten Höhenstadt, die für ihre Olympiasieger und Weltmeister bekannt ist.

Doch der große Durchbruch blieb aus. Aufgrund seiner finanziellen Schwierigkeiten bat er seinen Trainingspartner Elias Kiptum, ihm zu helfen, an einem Rennen in Polen teilzunehmen, aber das Team, das dorthin fuhr, war bereits voll. "Ich schätze, so ist er dann in Russland gelandet", sagt Kiptum gegenüber der BBC.

Als ihm ein Sportagent eine Reise nach Russland anbot, um an Rennen teilzunehmen, ergriff Kibet die Gelegenheit. Angaben der Familie zufolge soll er nur einen kleinen Koffer dabei gehabt haben, da er nur zwei Wochen in Russland sein wollte.

Täuschung mit verhängnisvollen Folgen

Was dann geschah, schildert Kibet als eine Kette verhängnisvoller Ereignisse. Als sein Touristenvisum ablief, habe ihm sein Gastgeber angeboten, länger zu bleiben und ihm einen Job zu vermitteln. "Am Abend kam er mit einigen auf Russisch verfassten Papieren", erzählt Kibet laut BBC. "Er sagte mir: 'Das ist der Job, den ich dir geben möchte.' Ich wusste nicht, dass es sich um einen militärischen Auftrag handelte."

"Diese Unterschrift hat mein Leben ruiniert."

Evans Kibet

Nachdem er unterschrieben hatte, konfiszierten die Russen seinen Pass und sein Handy. "Diese Unterschrift hat mein Leben ruiniert."

Eine Woche lang erhielt er eine Grundausbildung im Umgang mit automatischen Gewehren. Keiner seiner Kommandanten sprach Englisch, daher wurden die Anweisungen durch Stöße und Gesten vermittelt. "Mir wurde gesagt: 'Entweder du gehst kämpfen oder wir töten dich'", schildert Kibet die Ereignisse laut BBC.

Flucht zur ukrainischen Seite

Auf dem Weg zu seiner ersten Mission habe er seine Ausrüstung zurückgelassen und sei geflohen. Zwei Tage lang irrte er laut BBC-Bericht durch einen Wald in der Nähe von Wowtschansk in der nordöstlichen Region Charkiw in der Ukraine. Dann näherte er sich einigen ukrainischen Soldaten.

"Ich ging mit erhobenen Händen auf sie zu und sagte: 'Ich bin Kenianer, bitte erschießt mich nicht.'"

Evans Kibet

"Ich ging mit erhobenen Händen auf sie zu und sagte: 'Ich bin Kenianer, bitte erschießt mich nicht.'" Kibets Familie ist laut BBC zwar schockiert über das Video, aber erleichtert, dass er sich in den Händen der Ukrainer befindet. "Wir haben das Gefühl, dass er [bei den Ukrainern] etwas sicherer ist als in Russland", sagt Kibets Bruder. Die ukrainischen Truppen fesselten ihn zunächst, gaben ihm dann aber Essen und Wasser.

Systematische Rekrutierung aus Afrika

Kibets Fall steht exemplarisch für ein größeres Phänomen. Laut Euronews rekrutiert Moskau gezielt Afrikaner für den Armeedienst, um den Soldatenmangel auszugleichen. Söldner im Alter von 18 bis 22 Jahren werden aus Uganda, Ruanda, Kenia, dem Südsudan, Sierra Leone und Nigeria sowie aus Sri Lanka angeworben.

Evans erklärte "Euronews" zufolge, dass in seiner Einheit russische Vertragssoldaten, Belarussen und Tadschiken gekämpft hätten. Dem Bericht nach ist er nicht der erste Afrikaner, den Russland für seinen Angriffskrieg durch Täuschung oder Geldversprechen angeworben hat. Ukrainische Soldaten nahmen in der Vergangenheit Kämpfer aus Togo, Senegal und Sierra Leone gefangen.

Selenskyj: Mehrere Tote bei massiven russischen Luftangriffen auf ukrainische Städte 

Selenskyj: Mehrere Tote bei massiven russischen Luftangriffen

Dutzende Menschen seien verletzt worden, so der ukrainische Staatspräsident. Auf russischer Seite teilte der Gouverneur der Region Samara unterdessen mit, Drohnen hätten dort Einrichtungen eines Brennstoff- und Energiekomplexes angegriffen.

Die Anwerbung ausländischer Soldaten erfolgt oft über Anzeigen in sozialen Medien, die kostenlose Flugtickets und gutes Einkommen versprechen. Statt der versprochenen Ausbildung in Gastronomie oder Hotellerie müssen die Rekruten aber dann Waffen produzieren oder Drohnen montieren.

Empfehlungen der Redaktion

Petro Yatsenko, ukrainischer Sprecher für die Behandlung von Kriegsgefangenen, bestätigt gegenüber der BBC: Bürger aus Somalia, Sierra Leone, Togo, Kuba und Sri Lanka befinden sich derzeit in ukrainischen Gefangenenlagern. "Die meisten dieser Personen kommen aus ärmeren Ländern und gelangen auf unterschiedliche Weise auf die russische Seite."

Verwendete Quellen:

Teaserbild: © YouTube/57. Separate motorisierte Infanteriebrigade