Russland überzieht die Ukraine weiter mit Angriffen aus der Luft. Derweil wirft Kiew Moskau vor, ein Atomkraftwerk für seine eigene Zwecke zu missbrauchen – und warnt vor den Risiken.

Russlands Militär hat die ukrainische Hauptstadt Kiew in der Nacht ukrainischen Angaben zufolge erneut massiv angegriffen. Nach vorläufigen Behördenangaben wurden dabei mindestens drei Menschen getötet worden. Weitere zehn wurden verletzt, wie der Chef der Militärverwaltung der Hauptstadt, Tymur Tkatschenko, bei Telegram mitteilte.

In sechs von zehn Stadtbezirken wurden der Stadtverwaltung zufolge Schäden registriert. Mehrere Brände brachen aus; Rauchwolken waren weithin über der Dreimillionenstadt zu sehen.

Angriffe auf mehrere Bezirke der Hauptstadt

Der Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko, sprach am frühen Morgen auf der Plattform Telegram von andauernden massiven Raketen- und Drohnenangriffen auf mehrere Bezirke der Hauptstadt. Ein fünfstöckiges Wohnhaus sei in Teilen zerstört worden, auch andere Gebäude und Autos seien durch herabfallende Trümmer von Drohnen in Brand geraten.

Im Kiewer Umland wurden nach Angaben der Gebietsverwaltung mindestens fünf Mitarbeiter einer Brotfabrik im Landkreis Fastiw verletzt. Ein Brand auf dem Fabrikgelände konnte gelöscht werden. In der Stadt Bila Zerkwa gab es ebenfalls Berichte von Einschlägen und Bränden.

Zudem gab es nach offiziellen Angaben mindestens 21 Verletzte in der südostukrainischen Industriestadt Saporischschja. Von Behörden veröffentlichte Bilder zeigten Schäden an Wohnhäusern und Löscharbeiten.

Kiew: Russland will Atomkraftwerk "stehlen"

Auch eine Trennung des Atomkraftwerks Saporischschja vom ukrainischen Stromnetz wirft die Ukraine Russland vor. Der Kreml wolle das Akw "stehlen" und an das russische Stromnetz anschließen, schrieb der ukrainische Außenminister Andrij Sybiha m Samstag im Onlinedienst X. Er warnte vor damit verbundenen Sicherheitsrisiken.

Das Akw war am Samstag bereits seit vier Tagen vom ukrainischen Stromnetz abgeschnitten. Es ist die bislang längste Trennung der Anlage vom externen Stromnetz seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar 2022.

Der Betreiber der Anlage, welcher der russischen Atomenergiebehörde Rosatom untersteht, hatte am Dienstag die ukrainischen Truppen für die Trennung der Anlage vom Stromnetz verantwortlich gemacht. Das Akw Saporischschja im Süden der Ukraine hat sechs Reaktoren und ist das größte Nuklearkraftwerk Europas.

Die russische Armee hatte das Akw bereits Anfang März 2022, also kurz nach Beginn ihrer Invasion in dem Nachbarland, unter ihre Kontrolle gebracht. Die weiterhin von Russland besetzte Anlage liegt nahe der Frontlinie und wurde immer wieder beschossen, wofür sich Russland und die Ukraine gegenseitig verantwortlich machten.

Die Reaktoren des Akw Saporischschja sind stillgelegt und produzieren keinen Strom. Ihre Kühlung ist aber auf eine Stromversorgung angewiesen. Der Akw-Betreiber erklärte am Samstag im Onlinedienst Telegram, dass die Stromversorgung der Anlage derzeit durch Diesel-Generatoren gesichert werde.

Russland will Strom von Saporischschja nutzen

Der ukrainische Außenminister Sybiha beschuldigte den Betreiber jedoch, "jede Rücksicht auf die nukleare Sicherheit zu ignorieren". Nach seinen Angaben hat Russland Stromleitungen von 200 Kilometer Länge gebaut, um es an das von Russland kontrollierte Stromnetz anzuschließen und wieder in Betrieb zu nehmen. Durch diese russischen Bemühungen entstünden "große Risiken".

Die Nichtregierungsorganisation Greenpeace erklärte am Samstag unter Berufung auf Satellitenbilder, dass Russland 200 Kilometer lange Hochspannungsleitungen von zwei E-Werken in den von Russland besetzten Städten Melitopol und Mariupol gebaut habe, um sie an das Netz anzuschließen.

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Der von Moskau ernannte Direktor des Kraftwerks, Juri Tschernitschuk, hatte der Nachrichtenagentur Tass Anfang des Jahres gesagt, dass die Anlage womöglich die von Russland annektierte Krim sowie die von Moskau eroberten Gebiete im Süden und Osten der Ukraine mit Strom versorgen könne.

Am 20. September sagte er der Nachrichtenagentur, dass der Prozess der Integration des Kraftwerks in Russland "in der Schlussphase" sei. (afp/dpa/bearbeitet von thp)

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