Taiwans jährliche Militärübungen sind diesmal größer als je zuvor. Das Risiko eines Angriffs durch Festlandchina sei gestiegen. Dabei ist klar, dass eine Verteidigung ohne die Hilfe von Nachbarstaaten schwer möglich wäre.

Eine Analyse
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Die Zivilbevölkerung muss im Ernstfall mitmachen: Dies ist die wohl wichtigste Botschaft, die die Han Kuang-Drills, also die jährliche Militärübung Taiwans, in diesem Jahr für die Menschen von der vor Festlandchina gelegenen Insel bereithalten. Denn in die große Kriegssimulation sind diejenigen, die mit Verteidigung erstmal wenig zu tun haben, diesmal deutlich eingebunden.

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Ab dem 9. Juli laufen die Übungen für zehn Tage und neun Nächte, doppelt so lang wie zuvor und auch nach anderen Maßen so groß wie noch nie: Eine Supermarktkette probt, wie sie im Invasionsfall humanitäre Hilfsgüter verteilen würde.

Menschen lernen, auf welche Weise man sich vor Luftangriffen in Sicherheit bringt und evakuiert. Auch neues Militärgerät wird eingespielt – Abwehrsysteme gegen Angriffe aus der Luft, aus dem Wasser und vom Boden aus. Selbst die Zahl der 22.000 Reservisten ist ein Rekord.

Gestiegenes Angriffsrisiko aus China

Als Erklärung für diese ausgedehnte Verteidigungsübung heißt es aus Kreisen des taiwanischen Militärs, dass das Risiko einer Invasion durch Festlandchina erneut zugenommen habe. Und dagegen müsse man sich schützen.

Der Taiwan-Konflikt – wie der nunmehr jahrzehntelange Streit zwischen dem von Peking aus regierten Ein-Parteienstaat Volksrepublik China und der demokratischen regierten Insel Taiwan, die offiziell Republik China heißt, oft genannt wird – spitzt sich jedenfalls seit Jahren zu.

Aus Festlandchina sind die Drohungen einer Invasion in jüngsten Jahren häufiger geworden, die Zahl der Militärmanöver hat zugenommen. Der Konflikt reicht bis ins Jahr 1949 zurück, als der Chinesische Bürgerkrieg damit endete, dass sich die unterlegenen Nationalisten auf die Insel Taiwan zurückzogen und dort ihre Republik China fortführten. Auf dem Festland etablierten die siegreichen Kommunisten die Volksrepublik China. Doch beide Staaten beteuerten jeweils, das einzige China zu sein.

Existenzielle Probleme für Taiwan

Während man sich auf der im Vergleich zum Festland viel kleineren Insel Taiwan allmählich vom Anspruch verabschiedet hat, wieder ganz China zu kontrollieren, hat der Druck aus Peking eben zugenommen. Die enorme Aufrüstung, die Pekings Kommunistische Partei über die vergangenen Jahre veranlasst hat, dient auch dem Ziel, eines Tages Taiwan zu kontrollieren. Sollte dies nämlich gelingen, hätte Pekings Marine erleichterten Zugang zum Ozean.

Und sollte China wirklich eine Invasion Taiwans starten, stünden die Chancen der Insel auf den allerersten Blick äußerst schlecht: Der taiwanischen Armee von 150.000 Personen steht ein festlandchinesisches Heer von zwei Millionen Menschen gegenüber.

Chinas starke Marine könnte die Insel zudem mit einer Seeblockade von Lieferungen aller Art abschneiden und diese Weise sprichwörtlich aushungern lassen, bis Taiwan kapitulieren müsste. Dieses Szenario wird häufig diskutiert.

Auf Angriffe folgen schnell Abnutzungskriege

Wie erfolgreich dies wäre, ist allerdings ungewiss. Dies liegt auch an Taiwan selbst. In die Han Kuang-Übung dieses Jahr sollen auch Erkenntnisse einfließen, die das Militär durch seine Beobachtung von Konflikten anderswo gewonnen hat.

Die Kriege in der Ukraine und in Nahost haben gezeigt, dass auf Angriffe schnell Abnutzungskriege folgen, also solche kriegerischen Konflikte, die Jahre andauern. Seitens Taiwans Militärs heißt es, gerade deshalb sei enge Kooperation zwischen Militär und Zivilbevölkerung wichtig.

Um die Verteidigungsfähigkeit der taiwanischen Gesellschaft zu erhöhen, wurden in den letzten Jahren mehrere Schritte gemacht. Da sind nicht nur zivile Verteidigungskurse, sondern auch Schulungen dazu, wie man Desinformationskampagnen aus dem Festland begegnet.

Klaus Bardenhagen betont in seinem Buch "Die wichtigste Insel der Welt", dass China, die USA und Taiwan die Ukraine sehr genau beobachteten und ihre Schlüsse aus dem Kriegsverlauf zögen.

Lehren aus anderen Kriegen

Wobei diese eben unterschiedlich ausfallen können: Einerseits zeigt die Ukraine, dass sich ein kleineres, angegriffenes Land durchaus verteidigen kann, wenn die ganze Gesellschaft mitwirkt. Während Taiwan als Insel weniger schnell anzugreifen wäre als die Ukraine, könnte sie dagegen schneller von Unterstützung abgeschnitten werden.

Was der Angriff Russlands allerdings auch zeigt, so Bardenhagen: Sanktionen von zuvor nicht für möglich gehaltenem Ausmaß sind möglich. Zumal Taiwan für die USA und die Weltwirtschaft eine deutlich größere Bedeutung haben als die Ukraine.

In Taiwan macht man sich auch insofern Hoffnung, als man im Fall eines Angriffs aus Festlandchina Unterstützung aus anderen Staaten erhielte. Die USA liefern bereits Waffengerät, das unter anderem während der Han Kuang-Übungen erprobt wird.

Japanischer Sicherheitsexperte: Wenn die USA Taiwan verteidigen, tun wir dies auch

Auch aus Japan heißt es, die Verteidigung Taiwans sei Teil der eigenen Sicherheitsstrategie. Narushige Michishita, einst bei Japans Selbstverteidigungskräften und heute beim Thinktank Tokioter Ycaps engagiert, sagt auf Nachfrage unserer Redaktion: "Wenn sich der US-Präsident verpflichtet fühlt, Taiwan zu verteidigen, dann sind wir dies auch."

Wobei dies ein neuer Hinkefuß in der Sache der Verteidigung Taiwans ist. Denn inwieweit sich die von Donald Trump angeführten USA zu irgendwas verpflichtet fühlen, ist unklar. Seit seinem neuerlichen Amtsantritt im Januar hat Trump bereits mehrere außenpolitische Grundzüge der USA über den Haufen geworfen. So erklärte Angela Stanzel von der Stiftung Wissenschaft und Politik beim Deutsch-Taiwanischen Symposium in Berlin im Juni: Niemand weiß, was Donald Trump denkt.

Wohl auch vor diesem Hintergrund fallen die Militärübungen in Taiwan diese Tage größer aus als je zuvor. Zumal: Sollten sich die USA auch aus Ostasien zurückziehen, dann wäre auch die japanische Bereitschaft, um Taiwan zu kämpfen, geschmälert.

Verwendete Quellen

Teaserbild: © picture alliance/ZUMAPRESS.com/Daniel Ceng Shou-Yi