Der "Morning Shed"-Trend auf TikTok verspricht Schönheit über Nacht. Die Beauty-Routine ist allerdings teuer, nervig, aufwendig - und zeigt, dass Frau nun nicht mal mehr im Schlaf ihre Ruhe hat.

Die Zeiten, in denen die Abendtoilette darin bestand, sich die Zähne zu putzen und das Gesicht einzucremen sind lange vorbei. Auch die Zeiten, in denen das Ritual zu einer Skincare-Routine mit mehreren Lagen Cremes und Seren anwuchs, waren gestern. Heutzutage geht man zusätzlich mit Lockenwickler, Seidenhaube, Gesichtsmaske, Kinnriemen und Klebestreifen über den Mund ins Bett. Geschlafen wird auf dem Rücken, damit alles an Ort und Stelle bleibt. Und am Morgen folgt das große "Shedding" - das Ablegen aller nächtlichen Beauty-Hilfsmittel, gerne auch vor laufender Kamera.

Willkommen beim Beauty-Trend "Morning Shed" - Mädchen und Frauen machen diese Prozedur tatsächlich jeden Abend vor dem Schlafengehen. Man könnte lachen. Oder man erkennt, welche absurden Ausmaße der Schönheitswahn im Streben nach Perfektion und Optimierung angenommen hat.

Schlaf als Beauty-Baustelle

Die Idee dahinter klingt erstmal verlockend: Die acht Stunden Schlaf sollen optimal genutzt werden, um schöner aufzuwachen. "Das Ziel ist, die Zeit zu nutzen, in der man schläft, indem man eine Routine anwendet, die beim Aufwachen bereits die Arbeit für einen erledigt hat", erklärt die "Vogue" den Trend.

Doch was auf den ersten Blick wie eine clevere Beauty-Optimierung aussieht, bereitet auch Dermatologen Sorgen. Das wilde Mischen von Seren und Cremes, die mehrere Stunden unter einer okklusiven Maske einwirken, sei fast immer "ein Rezept für eine Katastrophe", warnt eine Hautärztin in dem Artikel.

Besonders problematisch sehen Experten das Mundklebeband, das angeblich gegen Schnarchen helfen und das Gesicht verschmälern soll. Die Realität: Es kann zu Atembeschwerden und eingeschränktem Sauerstofffluss führen. Nicht zu vergessen die Hautirritationen durch den Klebstoff.

Die gesellschaftlichen Gründe für diesen Trend sollten allerdings noch mehr beunruhigen. Der "Morning Shed" reiht sich nahtlos in eine jahrhundertealte Tradition von zeit- und geldaufwendigen Schönheitspraktiken ein, wie Dr. Louise N. Hanson von der Durham University in ihrer Analyse aufzeigt. Immerhin ist der "Morning Shed" nicht so gefährlich wie die extremen Risiken, die Frauen früher für die Schönheit eingingen - von Arsen-Bädern in der Renaissance über Augentropfen aus Tollkirsche bis zu Bandwürmern im viktorianischen Zeitalter. Kurz gesagt: "Wer schön sein will, muss leiden." Sich nachts den Mund zuzukleben und nicht mehr auf der Seite zu schlafen, weil die Lockenwickler verrutschen könnten, klingt allerdings auch nicht entspannend.

Schön wie Hannibal Lecter

Dass das Thema nun endgültig im Mainstream angekommen ist, zeigt auch die neueste "Innovation" von Kim Kardashians Shapewear-Marke Skims: Die bietet nun erstmals einen Kinnriemen aka "Seamless Sculpt Face Wrap" für 48 Dollar an - Shapewear für das Gesicht, die über Nacht getragen werden soll. Das Produkt erinnert an Hannibal Lecter und war innerhalb weniger Stunden ausverkauft.

Die Beauty-Industrie hat damit sogar die Schlafenszeit als profitable Zielscheibe entdeckt. Was einst so einfach klang - Schönheitsschlaf - ist heute ein kompliziertes Unterfangen mit zahlreichen Schritten und teuren Werkzeugen. Und eine Never-Ending-Story. Denn man lernt auf TikTok und Instagram nie aus, immer wartet schon das nächste Schönheitsversprechen in Form einer neuen Korean-Skincare-Marke oder des nächsten Skims-Produkts um die Ecke.

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Das Ende der natürlichen Ruhepause

Was der "Morning Shed" letztendlich offenbart, ist erschreckend: Es gibt keinen Moment mehr, in dem Frauen einfach nur sein dürfen. Selbst der Schlaf, die natürlichste Form der Regeneration, wird zur Optimierungsbaustelle. Na dann, gute Nacht. (mia/spot)  © spot on news