Waldorfschulen und Montessorischulen werden immer beliebter. Gleichzeitig sind sie immer noch mit Vorurteilen behaftet. Zeit sich mit den Gründen, die für alternative Schulkonzepte sprechen, zu beschäftigen.
Kritik am gängigen Schulsystem gibt es reichlich. Darum rücken alternative Schulformen immer mehr in den Vordergrund. Doch Alternativen, wie die Montessori- und Waldorfpädagogik, sehen sind immer noch mit zahlreichen Vorurteilen und Irrglauben konfrontiert. Dabei sind die pädagogischen Konzepte dieser Institutionen den regulären Schulen mit Blick auf die Entwicklung des einzelnen Kindes in vielen Hinsichten überlegen. Hier erfährst du fünf nachhaltige Gründe, die für Waldorf- und Montessorischulen sprechen.
1. Grund: Individualität soll gefördert werden
Sowohl in der Waldorf- als auch in der Montessoripädagogik wird jedes Kind als selbstständige Persönlichkeit mit dem Drang zu wachsen und zu lernen wahrgenommen. In der praktischen Umsetzung bedeutet das laut dem Bund der Freien Waldorfschulen:
- Jedes Kind hat individuelle Bedürfnisse und Begabungen. Die Aufgabe der Lehrer:innen ist es, diese zu erkennen und zu fördern.
- Der individuelle Entwicklungsstand eines Kindes wird berücksichtigt. Statt einen festen Lehrplan durchzuboxen, werden die Kinder dort abgeholt, wo sie stehen.
- Beide Konzepte arbeiten bis zur Mittelstufe ohne ein klassisches Benotungssystem. Nach den pädagogischen Konzepten kann ein Notensystem in Zahlen die Persönlichkeit nicht vollständig erfassen. Stattdessen wird mit einem Lernbericht gearbeitet, in dem der Entwicklungsstand der Schüler:innen individuell betrachtet wird und der Fokus auf den Ressourcen und der Weiterentwicklung der Lernenden liegt. Das soll den Kindern den Leistungsdruck nehmen.
- Des Weiteren gibt es kein Sitzenbleiben. Die Schüler:innen werden mit ihren Stärken und Schwächen akzeptiert.
- Damit die Lehrer:innen sich individuell mit den Lernenden beschäftigen können, werden große Klassen in der Regel in kleinere Gruppen aufgeteilt.
2. Grund: Vielfältiger Lehrplan
Unter dem Motto "Kopf, Herz und Hand" soll der Lehrplan der Waldorfschule weit über die reine Schulung des Intellekts hinausgehen.
Künstlerische Fächer haben einen hohen Stellenwert und werden als wichtiger Ausgleich für die klassischen Hauptfächer verstanden und helfen den Kindern ihr schöpferisches Potenzial zu entfalten, so der Bund der freien Waldorfschulen.
- Handarbeiten: Schüler:innen lernen zum Beispiel zu nähen oder zu töpfern, aber auch Spielzeug oder Schmuck selber herzustellen.
- Theater spielen: Das Fach stärkt die Gemeinschaft und soll den Lernenden die Möglichkeit geben, dem Geist Ausdruck zu verleihen.
- Eurythmie: Das anthroposophische Bewegungskonzept soll Laute auf einer körperlichen Ebene erfahrbar machen. Es dient sowohl zu Vertiefung als auch zur Entspannung der Kinder.
- Gärtnern: Viele Waldorfschulen haben einen eigenen Garten, den die Schüler:innen pflegen und so lernen sollen, Verantwortung für Pflanzen und Umwelt zu übernehmen.
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Außerdem legen beide Konzepte großen Wert darauf, dass die Kinder sich selber Fähigkeiten aneignen und so vor allem das Lernen erlernen, statt Inhalte einfach zu wiederholen.
3. Grund: Besser abgestimmte Lehrmethoden
Montessori- und Waldorfschulen vertreten die Ansicht: Frontalunterricht ist für die meisten Kinder eher hinderlich. Durch die passive Rolle, die sie dabei einnehmen, werde der eigene Drang zu lernen nicht geweckt oder gar gefördert.
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Die Montessorischule verfolgt den Ansatz des freien Lernens.
- Dabei wird davon ausgegangen, dass jedes Kind das Bedürfnis hat zu lernen. So soll erreicht werden, dass die Kinder aus ihrem eigenen Bedürfnis heraus lernen, anstelle durch äußeren Zwang.
- Das Motto lautet "Hilf mir, es selbst zu tun."
- Das pädagogische Personal beobachtet die Kinder und stellt umfangreiches Material zur Verfügung.
- Der Drang zu lernen, soll dabei durch die Einrichtung und die Gestaltung des Klassenraums gefördert werden.
- Die Kinder entscheiden selbst, wann sie was mit wem lernen. So soll auch die Gemeinschaft und die Fähigkeit nach Hilfe zu fragen gefördert werden.
- Verschiedene Altersstufen lernen gemeinsam und können so untereinander Wissen weitergeben.
In Waldorfschulen wird laut dem Bund der Freien Waldorfschulen mit Epochenunterricht gearbeitet.
- Anstelle von üblichen Stundenplänen, bei denen das Unterrichtsfach stündlich wechselt, unterrichtet eine Lehrperson über mehrere Wochen immer dasselbe Thema aus verschiedenen Perspektiven.
- Dadurch sollen sich die Kinder tiefer mit einem Thema beschäftigen und sich eher darauf einlassen können.
- Die Unterrichtseinheiten dauern dabei fast zwei Stunden und der Inhalt wird auf verschiedene Weisen bearbeitet, oft mit rhythmischen oder künstlerischen Elementen verbunden.
- Durch Ganzjahresprojekte sollen die Kinder lernen, über längere Zeiträume gemeinsam an einem Projekt zu arbeiten.
4. Grund: Freies Denken in Montessori- und Waldorfpädagogik
In beiden Schulkonzepten sind Smartphones häufig gänzlich verboten. Das trifft aber mittlerweile auch auf immer mehr andere Schulformen zu und bedeutet nicht, dass Waldorf- und Montessorischulen Technisierung generell ablehnen. Das ist ein verbreiteter Irrglaube.
Stattdessen sollen die Schüler:innen im Sinne der Medienmündigkeit erzogen werden und den angemessenen Umgang mit verschiedenen Arten Medien lernen. Dazu gehören auch Computer, Smartphone und Co. Es geht nicht darum, diese Dinge zu verbieten, sondern sie richtig einzusetzen.
Auch bei der Nutzung anderer Unterrichtsmaterialien steht die freie Entwicklung und das freie Denken im Vordergrund:
- An Waldorfschulen werden kaum Lehrbücher eingesetzt. Vor allem bis zur Oberstufe gibt es meist jeweils nur ein Lesebuch zu bestimmten Themen. Das soll die eigene Fähigkeit zu gestalten fördern. Die Kinder sollen lernen, ihre Notizen übersichtlich zu machen. Sie werden dazu angeregt, sich selber einzubringen, statt fertige Konzepte ohne weiteres Hinterfragen zu übernehmen.
- Auch bei der eigenen Beurteilung werden die Kinder mit eingebunden. Sie sollen ihr Können selber einschätzen, so erlernen sie auch die Fähigkeit zur Selbstreflexion.
- Spielzeug und Unterrichtsmaterial ist überwiegend einfach konzipiert und besteht oft aus Naturmaterialien. Das Spielzeug soll zu kreativem Spielen anregen, statt geschlossene Konzepte zu vermitteln.
- In all diesen Konzepten ist es essenziell, dass die Kinder aus eigener Motivation lernen und sich selber beteiligen, statt Inhalte unreflektiert wiederzugeben.
- Unter dem Motto "mit statt für" sind Eltern und Lehrer an der Verwaltung der Schule beteiligt, anstelle einer konventionellen Schulleitung.
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5. Grund: Praktische Vorbereitung aufs Leben
Obwohl alternativen Schulkonzepten häufig vorgeworfen wird, sie seien realitätsfremd, verfolgen viele dieser Schulen nach eigener Aussage vor allem das Ziel, ihre Schüler:innen gut auf das Leben vorzubereiten. So schreibt der Bund der Freien Waldorfschulen:
- Waldorfschüler:innen absolvieren im Laufe ihrer Schulzeit einige Praktika, unter anderem ein Sozialpraktikum und ein Landwirtschaftspraktikum. Es geht darum, soziale Fähigkeiten auch außerhalb von der Schule zu erlernen und anzuwenden.
- Den Schüler:innen werden praktische Fähigkeiten zum Leben wie zu gärtnern oder gesund zu kochen beigebracht. Sie können Erfahrungen sammeln, statt sich nur theoretisch mit Themen auseinanderzusetzen.
- Durch den vielfältigen Lehrplan sollen die Kinder sich selber in unterschiedlichen Situationen kennenlernen und lernen, ihr Verhalten entsprechend zu reflektieren.
- Durch die Veranstaltung von Theaterstücken oder Handwerksmärkten organisieren Schüler:innen mit Lehrer:innen gemeinschaftliche Projekte und lernen so Teamfähigkeit.
- Die Lehrkräfte sind vielmehr Ansprechpersonen statt Autoritätspersonen. Lehrer:innen und Schüler:innen kennen sich und pflegen ein Verhältnis auf Augenhöhe. Dadurch soll es den Kindern leichter fallen, ihre Meinung zu äußern und um Hilfe zu bitten.
Kritikpunkte an Waldorfschulen und Montessorischulen
Natürlich haben alternative Schulkonzepte nicht nur Vorteile. Immer wieder stehen sie unter Kritik, die sich jedoch häufig als Vorurteile entpuppt:
- Es handelt sich um Privatschulen. Sie sind kostenpflichtig, weshalb dem Schulkonzept häufig vorgeworfen wird, nicht für alle Kinder gleichermaßen zugänglich zu sein. Für Bedürftige gibt es aber an Waldorfschulen bekannterweise Solidargemeinschaften, bei denen zum Beispiel Lehrer:innen auf Gehaltsanteile verzichten und die Elternbeiträge sich an den finanziellen Möglichkeiten der Familie orientiert. So soll der Schulbesuch allen Schüler:innen offenstehen. Dennoch muss gesagt werden, dass ein Platz an einer solchen Schule generell teurer und ein Platz für Schüler:innen aus weniger wohlhabenden Verhältnissen nicht unbedingt garantiert ist.
- Oft wird angenommen, die Schulen seien zu strikt nach ihrem Konzept aufgebaut und würden nur wenig zeitgemäße Veränderung zulassen. Auch einige politische und gesellschaftliche Ansichten des Gründers Rudolf Steiner werden oft kritisiert. Kritische Stimmen fürchten, dass die von ihm entwickelte "Geisteslehre" den Schüler:innen ein falsches Bild von Problematiken wie Antisemitismus vermitteln könnte. Eine ehemalige Waldorfschülerin erzählt im Gespräch mit dem MDR, dass sie im Unterricht zwar keine "Gehirnwäsche" in dieser Hinsicht erfahren habe, es aber auch keine kritische Auseinandersetzung mit Steiners Weltbild gegeben habe. Die Unterrichtsinhalte seien da wohl auch sehr abhängig von der Lehrkraft, so die Befragte.
- Einige befürchten, naturwissenschaftliche Fächer oder Politik könnten zu kurz kommen. So denken viele, dass die Evolutionslehre an Waldorfschulen nicht nach geltenden wissenschaftlichen Standards unterrichtet würde (was nach eigener Aussage der Institutionen heute so aber nicht mehr stimmen soll).
- Damit das Abitur dieselbe Wertigkeit wie auf einer Regelschule hat, werden die Lernenden für die abschließende Prüfung sehr gefordert, was einige Schüler:innen stark unter Druck setzen und teilweise vor Doppelbelastungen stellen kann.
An welche Schule ein Kind am besten passt, kann nur individuell entschieden werden. Alternative Schulformen können eine Bereicherung oder ein Hindernis sein, je nach Einzelfall. Denn wie bei jeder Schule sind auch hier nicht alle Institutionen gleich. Am besten lässt du dich direkt bei einer Waldorf- oder Montessorischule in der Nähe beraten oder sprichst mit Absolvent:innen oder Eltern von Schüler:innen, die aktuell diese Schule besuchen. Die endgültige Entscheidung solltest du am idealerweise mit deinem Kind zusammen treffen. Jedes Kind hat andere Bedürfnisse und sollte in die Entscheidung für eine passende Schulform eingebunden werden.
Überarbeitet von Jennifer Watzek © UTOPIA