Die humanitäre Lage im Gazastreifen wird nach Angaben von UNICEF immer dramatischer. Vor allem Kinder seien durch Mangelernährung und unhygienische Zustände gefährdet.

Wenn das Maßband am Arm rot anzeigt, so wie bei der einjährigen Asmaa, ist das ein schlechtes Zeichen. Denn dies deutet auf eine schwere Mangelernährung hin. Mit dem sogenannten Muac-Band (Mid-Upper Arm Circumference) wird der mittlere Oberarmumfang bei Kindern gemessen. Das Farbsystem grün, gelb und rot zeigt an, ob das Kind mangelernährt ist und wie besorgniserregend der Zustand ist.

Asmaas Mutter erzählt, dass ihre Tochter bis vor Kurzem nur fünf Kilogramm wog. "Ich kann meinem Baby kaum etwas zu essen geben", erzählt sie UNICEF. Nun wird Asmaa behandelt und erhält therapeutische Spezialnahrung, die ihr wieder Nährstoffe liefert. Inzwischen wiegt sie neun Kilogramm.

Eine Mitarbeiterin misst die Armlänge eines kleinen Mädchens
Bei der einjährigen Asmaa wird gleich der Oberarmumfang gemessen. Ihre Mutter brachte sie zu einem von UNICEF unterstützten Untersuchungszelt, da Asmaa immer mehr an Gewicht verlor. © UNICEF/UNI804918/El Baba

Allein im Mai haben laut UNICEF 5.119 Kinder zwischen sechs Monaten und fünf Jahren im Gazastreifen wegen akuter Mangelernährung behandelt werden müssen. Dies sei ein Anstieg um 50 Prozent im Vergleich zum Vormonat und um 150 Prozent im Vergleich zum Februar.

Kaum sauberes Wasser oder Lebensmittel verfügbar

636 Kleinkinder litten sogar unter schwerer akuter Mangelernährung – der schlimmsten Form der Mangelernährung. Sie benötigten dringend lebensrettende Hilfe, doch sauberes Wasser, medizinische Versorgung und Behandlungsmöglichkeiten seien im Gazastreifen kaum noch verfügbar, so das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen.

"Jeder einzelne dieser Fälle wäre vermeidbar. Doch Kindern wird der dringend benötigte Zugang zu Nahrung, Wasser und medizinischer Hilfe verwehrt. Es sind von Menschen getroffene Entscheidungen, die Kinderleben kosten. Israel muss dringend die uneingeschränkte und umfassende Lieferung lebensrettender Hilfsgüter über alle Grenzübergänge hinweg ermöglichen", sagt Edouard Beigbeder, UNICEF-Regionaldirektor im Nahen Osten und Nordafrika.

Sollte sich die Lage nicht ändern, so fürchtet UNICEF eine weitere Verschlechterung. Denn, so heißt es in einer Pressemitteilung, "vor 20 Monaten noch gab es keine dokumentierten Fälle schwerer Mangelernährung bei Kindern im Gazastreifen".

Chaos und Tote bei Essensverteilung

Immer wieder gibt es Berichte über chaotische und tödliche Essensverteilungen im Gazastreifen. So geriet vor allem die neu eingerichteten Ausgabestellen einer privaten Stiftung, der Gaza Humanitarian Foundation (GHF), in die Kritik. Die Stiftung wird von Israel und den USA geleitet. So sollen unter anderem im südlichen Rafah in der Nähe einer solchen Verteilstelle elf Menschen erschossen worden sein, berichtet der "Deutschlandfunk".

Der UNICEF-Sprecher James Elder war vor Ort und sprach mit Menschen, die eine solche Essensverteilung miterlebt haben. So zum Beispiel der 13-jährige Abdel Al Rahman, der in Gaza auf der Suche nach Brot war und dann in einen Menschenstrom geriet, der ihn zur einer Lebensmittelausgabestelle führte. Dort brach schnell Panik aus, Schüsse fielen und Abdel wurde vom Schrapnell einer Panzergranate getroffen. Er wird nun in einem Krankenhaus in Khan Younis behandelt.

In einem Beitrag für den "Guardian" schreibt Elder, es habe in der ersten Woche, in der die GHF aktiv war, bereits fünf Vorfälle in der Nähe von Verteilungszentren gegeben, bei denen auch Kinder getötet wurden. Es gäbe nicht genügend Hilfe und zu wenig Ausgabestellen. Viele Familien müssten aus dem nördlichen Gazastreifen in den Süden reisen, um die Standorte zu erreichen.

Ein Mann und eine Frau an einem Krankenhausbett in dem ein Kind liegt.
James Elder beim Besuch einer jungen Patientin. Das Mädchen hat schwere Verletzungen am Kopf und Bauch. Auch ihre Mutter (r.) wurde verletzt, ließ sich jedoch nicht behandeln, da sie sich um ihre Kinder und ihren Ehemann kümmern muss, der gelähmt ist. © UNICEF/UNI818088/Eleyan

Möglichkeiten der Behandlung stark eingeschränkt

Durch den Krieg sind Wasser-, Abwasser- und Gesundheitssysteme im Gazastreifen entweder komplett zerstört oder mindestens stark beschädigt. Dadurch können viele Behandlungszentren ihre Arbeit im Kampf gegen Mangelernährung nur erschwert fortführen oder mussten diese sogar einstellen.

Wenn Mangelernährung und Krankheiten zugleich auftreten, ist es für das schwache Immunsystem der Kinder noch schwieriger. "Schlecht ernährte Kinder sind anfälliger für schwere Erkrankungen wie akuten Durchfall. Umgekehrt verschlimmern akute und langanhaltende Durchfallerkrankungen den Gesundheitszustand und führen zu Mangelernährung", sagt UNICEF.

Treibstoffmangel ein weiteres Problem

Im Gazastreifen ist alles Mangelware, auch Treibstoff. Auch die UN-Organisationen bekommen diesen Mangel zu spüren. So wurde viele Hilfsorganisationen seit Ende des Waffenstillstands der Zugang zu Treibstoffbeständen verwehrt. Dadurch müssen wichtige humanitäre Dienste, wie die Aufbereitung von sauberem Trinkwasser oder auch Bereiche in der Gesundheitsversorgung, eingestellt werden. Teilweise müssen sie auf unsicheres Wasser zurückgreifen, was wiederum ein großes Risiko für Krankheiten birgt.

"Bereits jetzt lässt sich jeder vierte Krankheitsfall im Gazastreifen auf akuten wässrigen Durchfall zurückführen", heißt es bei UNICEF. "Zudem gibt es Verdachtsfälle von Hepatitis A, einer hoch ansteckenden Krankheit, die schnell tödlich verlaufen kann."

Forderungen von UNICEF

UNICEF rief erneut alle Konfliktparteien auf, die Gewalt zu beenden, die Zivilbevölkerung – insbesondere Kinder – zu schützen, das humanitäre Völkerrecht sowie die Menschenrechte zu achten, die sofortige Bereitstellung humanitärer Hilfe zu ermöglichen und alle Geiseln aus Israel freizulassen.

Auslöser des Gaza-Krieges war der Überfall der Hamas und anderer islamistischer Extremisten auf Israel am 7. Oktober 2023. Dabei waren etwa 1.200 Menschen getötet und mehr als 250 als Geiseln nach Gaza verschleppt worden. Seither kämpft Israels Militär gegen die Hamas.

Verwendete Quellen