Berlin - Es ist ja nicht so, dass wir es mit einer Revolution zu tun hätten. Eine erste vollautomatische Gangschaltung am Fahrrad debütierte schon 2011. Sie hieß wie der Schmied bei "Asterix und Obelix" und hatte nur zwei Gänge: die Sram-Nabe Automatix.

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2020 kam mit weit größerer Übersetzungsbandbreite die stufenlose Enviolo Automatiq auf den Markt. Doch dass Kettenschaltungen irgendwann den manuellen Gangwechsel überflüssig machen würden, galt lange als schwer vorstellbar.

Schließlich muss die Kette laufen, um von Ritzel zu Ritzel zu gleiten. Damit galt es, ein Problem zu lösen: Wie beispielsweise bei Bremsmanövern in einen niedrigeren Gang wechseln, wenn die Pedale ruhen? Shimano löste die Herausforderung mir der Deore XT Di2 Linkglide, die 2023 debütierte.

Und jetzt legt E-Bike-Markführer Bosch mit eShift nach, gemeinsam entwickelt mit dem Komponentenhersteller Tektro. Wir haben uns auf den Sattel des KTM Macina Kapoho Master ABS geschwungen. Es ist das erste Modell am Markt mit eShift.

  • Der Einsatzzweck: Alexander Hob, Marketing-Leiter bei KTM Fahrrad im österreichischen Mattighofen sagt, das Bike bediene eine "breite Zielgruppe - vom gemütlichen Tourenfahrer bis hin zum sportlich ambitionierten Trail-Piloten." Durch die automatische Schaltfunktion sei das Modell für Kunden, "die noch konzentrierter den Trail bespaßen" wollten. An Puristen einerseits richtet sich das KTM damit, aber auch an Fahrer und Fahrerinnen, die schlicht den Komfort einer Automatik schätzen.
  • Die Technik: Über 800 Wattstunden verfügt der ins Unterrohr des Carbonrahmens eingelassene, entnehmbare und abschließbare Antriebsakku. Auf relativ ebenem Terrain schaffen wir damit etwa 120 Kilometer, selbst bei kühlen Außentemperaturen. Komfort und Traktion erhöht das Fully dank Federgabel und Hinterbaudämpfer vom Zulieferer Fox - mit je 160 Millimetern Federweg. Als Vortriebshilfe werkelt zwischen den Knöcheln ein Performance Line CX von Bosch. Der Mittelmotor hat 85 Newtonmeter Maximaldrehmoment und einen Output von bis zu 600 Watt. Die kontinuierliche Dauerleistung von gesetzlich vorgegebenen 250 Watt übersteigt der Bosch-Motor damit nicht. Neben dem Motor zapft auch die Automatik den E-Bike-Akku an. Das Schaltwerk sei direkt über ein Kabel mit dem Bosch eBike-System verbunden, sagt Tamara Winograd, Leiterin Marketing und Kommunikation bei Bosch eBike Systems. Neigt sich der Stromvorrat und wird die Versorgung für den Antrieb gekappt, wird die Restenergie im Akku für den Betrieb Schaltung weiter genutzt. So muss man zwar ohne Unterstützung weiter radeln, kann für eine gewisse Zeit aber noch die Gänge wechseln. Hauptmerkmal aber ist das automatische Schalten: Das System analysiere "zahlreiche Sensorsignale", um vorherzusagen, wann der Fahrer oder die Fahrerin schalten möchte, sagt Winograd. Außer der Geschwindigkeit sind dabei vor allem das "Fahrerdrehmoment an der Kurbel", also wie stark in die Pedale getreten wird, sowie die Trittfrequenz, wichtig. Diese kann über Bedieneinheit und Display oder eine Bosch-App auf die individuell bevorzugten Umdrehungen voreingestellt werden.
  • Der Fahreindruck: Wir sind auf ebenem Grund ohne große Steigungen unterwegs. In unserem Fall sind 70 Umdrehungen voreingestellt. Und ja, unabhängig vom Tempo gelingt es dem Algorithmus diese Kadenz mit Abweichungen im Toleranzbereich zu halten. Im Anfahrtsgang - auch er lässt sich voreinstellen, wir haben den vierten gewählt - geht es los. Und sobald sich ein natürliches Verlangen nach einer höheren Übersetzung einstellt, agiert das eShift-System auch schon zirpend mit einem Gangwechsel. Doch auch für die Person im Sattel unerwartet agiert die Automatik bisweilen, etwa dann, wenn man mehr Druck in die Kurbel gibt und händisch selbst nicht geschaltet hätte. Ab einer gewissen Pedalkraft würden Gangwechsel zwar unterdrückt, sagt Winograd. Doch das System ist nicht so sensibel eingestellt, als dass in dynamischen Fahrsituationen die Kette der 12-Gang-Schaltung nicht doch mal krachend auf das benachbarte Zahnrad wechselt. In dynamischen Fahrsituationen könne es vorkommen, dass der Gangwechsel hör- oder spürbar ist, räumt Winograd ein. eShift sei aber "darauf optimiert, Ritzel und Kette langfristig zu schonen und deren Haltbarkeit zu verlängern." Ein geplantes Softwareupdate werde das Schaltverhalten in anspruchsvollen Situationen nochmals harmonisieren. Beeindruckend funktioniert jedenfalls die eingangs erwähnte Problemlösung: Sobald man das KTM mit einem höheren Gang ausrollen lässt, und einen Blick zwischen die ruhenden Radlerknöchel riskiert, sieht man dort wie von Zauberhand das Kettenblatt rotieren und hört das Schaltwerk der 12-Gang-TRP arbeiten, wie es je nach Tempo mehrere oder auch nur einen Gang runterschaltet. Leider aber ist der Algorithmus in seinen Fähigkeiten begrenzt. An Steigungen kommt es regelmäßig vor, dass die Automatik nicht reagiert und man in einem zu hohen Gang am Berg verzweifelt - sofern man über den Ganghebel rechts am Lenker nicht ruckzuck händisch nachsteuert - denn überstimmen lässt sich das System jederzeit. An sanfteren Hügeln, die kein blitzschnelles Schalten verlangen, bewährt sich eShift aber schon. Der Algorithmus arbeitet derzeit noch "situativ", also rein reaktiv, erläutert Winograd. Aber das System wird laufend fortentwickelt. In der Zukunft könnten unter anderem Daten zu Steigung, Untergrund und Fahrdynamik genutzt werden, um die Schaltperformance weiter anzupassen.
  • Weitere Bauteile, Zubehör, Peripherie: Mit mindestens zwei weiteren Merkmalen sticht das KTM hervor. Zum einen arbeiten die hydraulischen Scheibenbremsen von Magura mit am MTB standesgemäßen vier Kolben und großen Bremsscheiben mit einem kleinen schwarzen Kästchen an der Gabel zusammen: ein Antiblockiersystem (ABS). Das ABS funktioniert auch auf eher rutschigem Grund wie Matsch oder Schnee verlässlich. Nicht ansatzweise lässt sich selbst bei beherztem Griff in den Bremshebel für vorn das Hinterrad zum Abheben provozieren. Zumindest bremsbedingte Überschläge erscheinen unmöglich. Zudem ist ein "ConnectModule" verbaut, also GPS-Technologie mit SIM-Karte und Bewegungssensoren. In Verbindung mit einem im Anschluss an die ersten zwölf Monate kostenpflichtigen Abo kann per App der Standort des Fahrrads bestimmt und ein Diebstahlalarm genutzt werden, der dank eigener Stromversorgung auch bei entnommenem E-Bike-Akku funktioniert.
  • Der Preis: Mit 7.399 Euro ist das fett ausgestattete KTM Marina Kapo Master ABS kein Schnäppchen. Doch Bosch rechnet mit Skalierungseffekten, so dass eShift künftig auch an E-Bikes für 3.000 bis 3.500 Euro zu haben sein wird. Auch bei Trekking- und Urban-Bikes sieht Winograd "großes Potenzial". Von KTM selbst gibt es auch günstigere MTBs mit eShift, darunter das Kapo Master ohne ABS.
  • Das Fazit: Ein Mountainbike mit Automatikschaltung, die am Berg kaum reagiert? So gesehen erscheint eShift zumindest für den Anwendungsfall Bergfahrrad unausgereift und zu früh am Markt. Doch Bosch rechtfertigt den Schritt und die Entwicklung der Technik zunächst am Mountainbike: Man wolle da aktiv sein, wo die Anforderungen besonders hoch sind. "Wenn wir hier die bestmögliche Performance erreichen, profitieren auch andere Segmente davon", sagt Winograd. "Das MTB-Segment hat eine starke Strahlkraft auf weitere eBike-Kategorien." Grundlegend jedenfalls beeindruckt eShift, und man darf sich auf den Komfortgewinn freuen, den die Technik für City-E-Bikes und Co. bringen wird. Bis dahin heißt es: abwarten und selbst schalten.

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