Herborn (dpa/tmn)- "Jetzt aber mal langsam und mit Umsicht.": Wenn Jörg Ebert seine Schützlinge zum ersten Mal ans Steuer lässt, dann muss er die meisten mächtig einbremsen, selbst wenn viele von ihnen bereits seit Jahrzehnten den Führerschein haben. Denn Ebert ist Lkw-Fahrlehrer und muss den Brummi-Beginnern immer wieder klarmachen, dass sie die Verkehrswelt hinter dem Steuer eines Lastwagens mit ganz anderen Augen sehen.

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Gerne würde er das regelmäßig auch Pkw-Fahrern demonstrieren, die nicht den Job wechseln und für Preise und Gebühren um 6.000 Euro einen Führerschein der Klasse C oder CE machen wollen. "Der Perspektivwechsel könnte das Verständnis und so auch das Miteinander von Lkw und Pkw-Fahrern verbessern", ist Ebert überzeugt.

Lkw werden oft nur als Hindernis oder Ärgernis gesehen

Das tut Not. Denn auch wenn spätestens seit der Corona-Krise kaum mehr jemand an der "Systemrelevanz" der Trucker zweifelt und an ihrer Bedeutung für die Lieferketten, werden sie von vielen Pkw-Fahrern doch nur als Hindernis oder als Ärgernis wahrgenommen.

Erst recht, wenn jetzt dann die Reisewelle losrollt und die Fahrt in die Ferien ein bisschen länger dauert, weil sich Lastwagen gegenseitig überholen oder in engen Baustellen auch mal zwei Spuren benutzen.

Beim Miteinander geht es auch um Sicherheit

Und es geht in diesem Miteinander nicht nur um schlechte Stimmung, sondern auch um Sicherheit: Für 2024 meldete das Statistische Bundesamt, dass an den rund 500.000 Unfällen mit Personenschäden im letzten Jahr auch 25.000 Güterkraftfahrzeuge beteiligt waren und rund 100 Trucker bei Unfällen gestorben sind.

Display eines digitalen Außenspiegels in einem Lastwagen
Mehr sehen ohne Spiegel? Ja, zumindest ohne klassischen Spiegel, hier sollen Kameras und Displays dem Fahrer mehr vom Geschehen rund um den Lkw zeigen. © dpa / Matthias Balk/dpa/dpa-tmn

Ein bisschen Verständnis kann also nicht schaden: Das beginnt bei den Verkehrsregeln: "Die unterscheiden sich zwischen Lkw und Pkw mitunter deutlich, und anders als beim Auto kommen dann auch noch Lenk- und Ruhezeiten dazu", erläutert Fahrlehrer Ebert aus dem hessischen Herborn.

Langsame Brummis sind keine Schikane

Viele Pkw-Fahrer würden sich wahrscheinlich schon weniger ärgern, wenn sie etwa wüssten, dass Lkw über 7,5 Tonnen auf der Landstraße gar nicht schneller als 60 km/h fahren oder in der Stadt nur im Schritttempo rechts abbiegen dürfen. "Das ist keine Schikane, sondern das sind Regeln zum Schutz der anderen Verkehrsteilnehmer", sagt Ebert.

Aber das ist alles graue Theorie, die sich seine Schützlinge am Schreibtisch oder auf dem Tablet draufschaffen. "Den wahren Unterschied erlebt man in der Praxis", sagt Ebert. Dafür muss er seine Schüler nur über eine einfache Landstraße schicken.

Mit locker und lässig ist da nichts "auf dem Bock"

Wo man eben im Pkw noch locker und lässig mit einer Hand am Lenkrad unterwegs war und nebenbei entspannt mit dem Sozius geplaudert hat, starrt man jetzt gebannt auf die Fahrbahnmarkierungen, hält mit beiden Händen fast krampfhaft den riesigen Ring fest, der groß wie ein Gullydeckel vor dem Bauch liegt und versucht auf den Millimeter genau die Spur zu halten.

Schließlich ist der Laster – schon ohne die Außenspiegel - 2,55 Meter breit und bis zu 4 Meter hoch – die wird es bisweilen ganz schön eng mit Bäumen, Brücken oder dem flotten Auto im Gegenverkehr. Im Zweifel begegnet man noch anderen Trucks oder Bussen.

Den Lkw wie ein Kamel durchs Nadelöhr führen

Und als wäre das nicht genug, geht es danach noch durch eine verwinkelte Altstadt voller Kreisverkehre und 90-Grad-Kehren. Ausholen, im Spiegel den Nachlauf des Aufliegers bei einem bis zu 18,75 Meter langen Gespann kontrollieren und dabei auf den Gegenverkehr und die Fußgänger achten. Ein Kamel durch ein Nadelöhr zu führen, ist dagegen ein Kinderspiel.

Starker Verkehr auf der Autobahn A44
Friedliche Co-Existenz zwischen groß und klein: Das ist wünschenswert, kann zuweilen aber auch sehr nervenaufreibend sein. © dpa / Alex Talash/dpa/dpa-tmn

Zwar genießt man hier oben "auf dem Bock" bald zwei Meter über der Straße eine bessere Aussicht und schaut selbst über die allgegenwärtigen SUV einfach hinweg. Doch dafür kann man um den Laster herum nur sehr wenig sehen.

Um den Laster herum sieht man nur sehr wenig

"Der tote Winkel ist riesig", sagt Ebert und zeigt auf die zusammen fünf Spiegel links und rechts und über der Scheibe. Sie sollen den Truckern die Augen öffnen und so andere Verkehrsteilnehmer schützen, behindern aber zum Beispiel beim Abbiegen zugleich den Blick auf den Querverkehr.

Nicht umsonst sind im Lkw sogenannte Kameraspiegel mittlerweile viel weiter verbreitet als im Pkw, sagt MAN-Sprecher Gregor Jentzsch in München. Sie bieten ein bisweilen sogar besseres Sichtfeld, verdecken aber nicht den Blick aufs Verkehrsgeschehen – und senken obendrein noch den Luftwiderstand und so den Verbrauch.

Wenn der Beschleunigungsstreifen bedrohlich kurz wird

Und dann hat man auch noch mit anderen physikalischen Gegebenheiten zu kämpfen, erläutert Michael Wolf, der bei Daimler Truck als Entwickler arbeitet. Wo einem der Beschleunigungsstreifen der Autobahn im Pkw oft vorkomme wie die Start-Ziel-Gerade einer Rennstrecke, werde dieser im 40 Tonnen schweren Lkw bisweilen ganz schön kurz.

Deshalb ist man dankbar, wenn der Kollege im Laster nebenan schnell mal nach links zieht, um einen einfädeln zu lassen – selbst wenn dafür ein Pkw hinten kurz bremsen muss.

Apropos Bremsen: Wer einmal versucht hat, so eine Fuhre auf einer Gefällestrecke wieder einzubremsen, der lässt es bergan beim nächsten Mal von vornherein etwas langsamer angehen, predigt Ebert seinen Schülern. Selbst wenn die Autofahrer noch so sehr drängeln.

Verständnis ist wichtig - auch ohne Rollentausch

Natürlich könnte ein Rollentausch Wunder bewirken, sagt Ebert. Denn während nahezu jeder Lkw-Fahrer auch Autofahrer ist und die andere Perspektive kennt, haben die wenigsten Pkw-Fahrer schon einmal im Laster gesessen und die Welt mit den Augen eines Truckers gesehen.

Deshalb appelliert er an die Vorstellungskraft und wirbt um Verständnis. Und bemüht dafür mit einem Augenzwinkern zwei französische Comic-Helden: "Das ist wie bei Asterix und Obelix – so richtig gut klappt‘s in Gallien doch auch nur, wenn die beiden zusammen gegen die Römer ziehen."  © Deutsche Presse-Agentur