• Stress und Ängste schaden langfristig der Gesundheit.
  • Mit der Atmung haben wir ein wirksames Werkzeug, um dem entgegenzuwirken.
  • Ein Experte erklärt, wie eine bewusste Atmung dazu beitragen kann, Körper und Geist gesund zu halten.

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Langanhaltende Stresssituationen, wie sie viele Menschen etwa in der Coronakrise erleben, können die Gesundheit belasten. Angstzustände und Schlafstörungen können Folgen der ständigen Anspannung sein. Eine bewusste Atemtechnik hilft nicht nur, um in Stresssituationen zur Ruhe zu kommen. Sie kann auch die körperliche Gesundheit fördern.

Warum die Atmung einen so großen Einfluss auf unser Wohlbefinden hat, erklärt Thomas Loew, Professor für Psychosomatik und Psychotherapie an der Universität Regensburg: "Kreislaufregulation, Blutgasregulation, Sauerstoffversorgung und Abatmung von Kohlenstoff hängen ganz eng zusammen. Das ist wie bei einem Mobile. Wenn ich an einem Faden ziehe, verstellen sich alle anderen."

Und den Atem können wir – anders als etwa den Herzschlag oder die Magenbewegungen – willentlich steuern. "Er ist der einzige Zugang zum vegetativen Nervensystem, den wir bewusst wählen können", sagt Loew. Der Mediziner erforscht, wie wir uns diesen Umstand zunutze machen können, um damit positive Effekte für die Gesundheit zu erzielen.

Besonders gut ist die Wirkung einer entschleunigten Atmung auf das Herz-Kreislauf-System belegt. Andere Studien zeigen, dass sie Angst reduzieren kann. Beschwerden in den Wechseljahren können sich verringern. Bei Jugendlichen wurde auch eine Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit festgestellt.

Den Schalter auf Ruhe stellen

"Wenn ich meinen Blutdruck beeinflussen möchte, gaukle ich dem Körper vor, dass er schläft und bei einem Schlafenden ist die Atemfrequenz niedrig", erklärt Loew. Etwa zwölf Atemzüge pro Minute ist eine normale Frequenz im wachen Ruhezustand. Wenn man diese auf sechs Atemzüge reduziere, könne man den Körper in wenigen Minuten in eine Phase der Regeneration und Erholung versetzen.

"Die Hälfte der Menschen schafft das innerhalb von drei Minuten", so Loew. Spätestens nach zehn Minuten könne jeder diesen Zustand erreichen. Weil die Zahlen durch die Eselsbrücke mit dem Namen deines bekannten Duftwassers einprägsamer sind, heißt die Formel dafür "47-11":

  • Vier Sekunden lang einatmen.
  • Sieben Sekunden lang ausatmen.
  • Die Übung elf Minuten lang durchführen.

"Wenn man das zweimal macht – zehn Minuten am Morgen und zehn Minuten am Abend – senkt man den mittleren Blutdruck um etwa acht mmHg", so Loew. Patienten mit leichtem Bluthochdruck könnten allein dadurch auf Medikamente verzichten. Bei stärker erhöhtem Blutdruck seien weniger Medikamente notwendig.

Falsches Atmen gibt es nicht

Dass die kurzzeitige Verlangsamung des Atems eine therapeutische Wirkung hat, bedeutet nicht, dass Menschen im Umkehrschluss im Alltag oft falsch atmen. Diese Vorstellung hält Loew für einen Werbemythos: "Um das Thema hat sich ein Business gebildet. Atemlehrer, die das anbieten, freuen sich natürlich, wenn jemand kommt und das vermeintlich richtige Atmen lernen will."

Auch die beschleunigte Atmung in Stresssituationen sei an sich ein sinnvoller Mechanismus unseres Körpers. "Wir sind ja immer noch Steinzeitmenschen. Wir sind dafür gemacht, Mammuts zu jagen und uns körperlich mit der Welt auseinanderzusetzen." Kampf oder Flucht seien unsere natürlichen Reflexe in Stresssituationen und dafür sei eine gut durchblutete Muskulatur nützlich.

Komplizierte Techniken nicht notwendig

Um das Stressgefühl zu reduzieren und die körperliche Gesundheit zu fördern, ist es Loew zufolge ausreichend, regelmäßig für einige Minuten entschleunigt zu atmen. Komplizierte Übungen hätten außerdem den Nachteil, dass viele Patienten diese im Alltag nicht anwenden würden.

"Das entschleunigte Atmen kann ich überall machen. Ich brauche keine Yogamatte, ich muss das Licht nicht dimmen, ich brauche keine besonderen Rahmenbedingungen", so Loew. Einigen Menschen falle es jedoch scher, beim Atmen die Sekunden zu zählen. Für diese gibt es jede Menge Hilfsmittel:

  • Im Internet sind frei zugängliche Videos zu finden, bei denen beispielsweise abwechselnd ein grünes Licht die Dauer fürs Einatmen vorgibt und ein blaues Licht die fürs Ausatmen.
  • Auf der Webseite von Thomas Loew kann eine Tondatei kostenlos heruntergeladen werden. Das Geräusch eines Tropfens gibt dabei das Signal zum Einatmen und ein Meeresrauschen das zum Ausatmen.
  • Es gibt inzwischen auch Geräte, die diese Funktion integriert haben, wie beispielsweise Uhren, die ein Vibrationssignal geben oder Nachttischlampen, die in der gewünschten Frequenz leuchten.

Smartphone-Apps sind für den Zweck ebenfalls verfügbar, doch von diesen rät Loew ab. Handy-Signale würden die meisten Menschen nicht mit Entspannung verbinden: "Wenn das Smartphone brummt, denkt man nicht automatisch, ich muss jetzt ausatmen, sondern man denkt, jetzt ist eine SMS reingekommen."

Über den Experten: Thomas Loew ist Professor für Psychosomatik und Psychotherapie an der Universität Regensburg und Chefarzt der dortigen psychosomatischen Abteilung. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit liegt auf der Stressbewältigung. Zu dem Thema erschien im Jahr 2019 sein Buch "Langsamer atmen, besser leben".

Verwendete Quellen:

  • Harward Health Publishing: Stress raising your blood pressure? Take a deep breath
  • Tagesschau.de: Wie Corona den Schlaf raubt
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