Einen Tag lang gar nichts tun! Runterfahren und abschalten! Das vermeintliche Patentrezept gegen Stress wird bei der Therapie von Burnout-Patienten zum Teil auf radikale Weise umgesetzt: keine Musik, kein Handy, keine Bücher, keine sozialen Kontakte. Vergnüglich klingt das nicht. Hilft die extreme Form des Nichtstuns tatsächlich gegen Überlastung oder gelangt man durch einen "Inaktivitätstag" vielmehr an seine psychischen Grenzen? Ich habe es ausprobiert.

Autorenporträt Silke Stadler
In ihrer Kolumne "Ausprobiert" testet unsere Gesundheitsredakteurin Silke Stadler am eigenen Leib, worüber sie schreibt. © 1&1 Mail & Media GmbH
Silke Stadler, Redakteurin für Gesundheit
Eine Kolumne
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Fast jede zweite Frührente ist psychisch bedingt, wie die Bundestherapeutenkammer bekannt gibt. Stress im Beruf, aber auch zahlreiche Aktivitäten in der Freizeit lassen uns kaum Zeit zum Verschnaufen. Auch ich schaffe ich es an freien Tagen selten, nicht schon am Morgen mentale To-Do-Listen zu erstellen, die ich dann abarbeiten muss: Sport, putzen, lernen, meditieren, Rad reparieren, Bibliotheksbücher zurückbringen, Freunde treffen, telefonieren. Ich muss. Ich muss. Ich sollte. Ganz schnell werden auch Tätigkeiten zum Pflichtprogramm, die mir eigentlich Freude und Entspannung bringen sollen.

Mich stört diese permanente Unruhe. Deshalb lasse ich mich von Miriam Meckels Buch "Briefe an mein Leben" inspirieren. Die Kommunikationsexpertin beschreibt darin ihren stationären Aufenthalt in einer Burnout-Klinik. Dort empfahl man ihr, zwei sogenannte Inaktivitätstage zu absolvieren: Im Zimmer sitzen, aus dem Fenster schauen und gar nichts - also wirklich gar nichts - tun. Ich entscheide mich für ein "moderates Radikalprogramm", denn auf Bewegung will ich nicht verzichten.

Am Abend vor meinem Inaktivitätstag mache ich etwas Ungewohntes: Ich schalte mein Handy aus. Es fühlt sich an, als würde ein Band reißen. Mein Band zur Außenwelt (die ich natürlich größtenteils vorgewarnt habe). Erschreckend, welche Macht mein Smartphone mittlerweile über mein soziales Dasein hat. Doch Neugier überdeckt meine Beklemmung: Was werde ich während meiner absoluten Passivität über mich selbst herausfinden?

Manchen Experten ist das erzwungene Nichtstun allerdings zu radikal. In der Parkklinik Heiligenfeld setzt man bei der Behandlung von Burnout-Patienten zwar auf Inaktivität, aber nicht ganz so strikt. Der Chefarzt Erwin Schmitt erklärt: "Die Patienten sollen sich am Wochenende Zeit nehmen. Sie sollen nicht einfach nur nichts tun, sondern sich angenehmen Dingen verschreiben." Zum Beispiel spazieren gehen, lesen, Musik hören.

"Es knirscht, kracht und schäumt"

Mein fauler Tag beginnt um 9 Uhr. Ich wache auf und fühle mich hervorragend: Heute muss ich keine Pläne machen, keine gedanklichen Memos an mich schicken, keine imaginären grellgelben Post-its an die Innenwand meines Gehirns pappen. Ich fühle mich frei. Nicht TUN, sondern SEIN. Ich bleibe noch eine Stunde im Bett und vertrödle die Zeit mit Träumereien.

Das gute Gefühl hält beim Frühstück an. Mir fällt eine Passage aus Meckels Buch ein, die meine Situation perfekt beschreibt: "Während ich esse, finde ich mich ganz schön laut vor dieser Stille da draußen. Es knirscht, kracht und schäumt in meinem Mund, und ich bin mir selbst eine Lärmbelästigung." Normalerweise esse ich nie ohne Ablenkung. Meine Konzentration gilt ausschließlich meinem Müsli. Gut, denn Achtsamkeit wirkt laut Studien positiv auf die Psyche.

Ich esse. Ich meditiere. Liege auf der Couch. Und dann stelle ich fest: Es klappt! Meine Gedanken sind meine einzige Gesellschaft. Ich bin ganz bei mir und fühle mich wunderbar.

Doch dann werde ich unruhig. Ich habe Hummeln im Hintern. Drei Stunden ist mein Inaktivitätstag alt und mir wird klar, dass er noch eine gefühlte Ewigkeit dauern wird. Ich ziehe meinen Spaziergang vor, den ich eigentlich am späten Nachmittag machen wollte, und wandere die halbe Stunde zum Münchner Königsplatz. Es ist ein strahlend schöner Wintertag und die Treppen vor der Glyptothek sind voller Sonnenanbeter. Ich geselle mich zu ihnen und halte mein Gesicht ins warme Licht. Kein Stress, kein Druck, kein Handy, auf das ich ab und zu schauen müsste.

Zu viel Zeit zum Grübeln

Als ich nach zwei Stunden wieder nach Hause komme, liegen noch mindestens sieben Stunden Nichtstun vor mir, bis ich endlich ins Bett gehen kann. Spätestens jetzt dämmert mir, dass es nicht so recht Sinn ergibt, lediglich Zeit totzuschlagen.

Auch Chefarzt Schmitt findet meinen Inaktivitätstag bedenklich. Stattdessen praktiziert er in der Parkklinik sechsmal im Jahr einen sogenannten Tag der Stille: Einen ganzen Tag lang wird nicht gesprochen, auch die Therapien finden schweigend statt. "Wir wollen damit erreichen, dass die Patienten entschleunigen. Wir wollen ihnen aber nicht abverlangen, dass sie gar nichts tun. Manchen unserer Patienten würde das auch nicht gut bekommen", sagt Schmitt.

Ich erfahre am eigenen Leib, was er meint: Die innere Einkehr, die ich am Vormittag gespürt habe, ist einer Melancholie gewichen. Ständige Grübeleien deprimieren mich. Ich fühle mich einsam und ein bisschen nutzlos. Der Tag kommt mir verschwendet vor. Ist das eine notwendige Erfahrung, die ich durchstehen sollte? Ich für meinen Teil sage an der Stelle "Nein". Ich habe genug. Allerdings: Für Menschen, deren Alltag mit Aktivitäten vollgestopft ist, kann ein solcher Tag auch eine interessante Erfahrung sein. Letztlich ist es sicher auch Typsache.

Ich schalte schließlich um 17.12 Uhr mein Handy wieder ein. Ich schreibe eine SMS: "Habe den Inaktivitätstag vorzeitig beendet." Kurze Zeit später klingelt das Telefon. Als ich wieder auflege, freue ich mich: Auf ein Glas Wein bei gedämpften Licht, mein spannendes Buch und später vielleicht einen guten Film. Das Handy bleibt nach dem Telefonat unbeachtet, die Außenwelt kann bis morgen warten.

Lesen Sie auch den vorangegangenen Beitrag der "Ausprobiert"-Kolumne: Hungern für die Gesundheit?

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