Eine internationale Studie zeigt: Die klassische Midlife-Crisis existiert nicht mehr – doch was an ihre Stelle getreten ist, gibt Anlass zur Sorge. Denn immer mehr junge Menschen fühlen sich durch Stress und Sorgen belastet.
Die sogenannte Midlife-Crisis, jene Phase der Unzufriedenheit und des Unwohlseins in der Lebensmitte, ist nicht mehr nachweisbar. Stattdessen steigt das psychische Wohlsein mit zunehmendem Alter kontinuierlich. Zu diesem Ergebnis kommt eine umfangreiche Studie von Forschenden des Dartmouth College, die in der Fachzeitschrift "PLOS One" veröffentlicht wurde.
Der Grund für diese Veränderung ist jedoch besorgniserregend: Die psychische Gesundheit junger Menschen hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch verschlechtert – sowohl absolut als auch im Vergleich zu älteren Generationen.
Psychische Probleme junger Menschen lassen Phänomen der Midlife-Crisis verschwinden
Seit 2008 galt in der Wissenschaft als gesichert: Das Wohlbefinden der Menschen verläuft über die Lebensspanne U-förmig. Sprich: Es nimmt von der Kindheit bis zur Lebensmitte, etwa um das 50. Lebensjahr, ab und steigt danach wieder an. Entsprechend zeigte sich bei Unwohlsein, Stress und Depressionen ein umgekehrter, buckelförmiger Verlauf mit einem Höhepunkt in der Lebensmitte – die sogenannte Midlife-Crisis.
"Diese empirische Regelmäßigkeit ist nicht mehr vorhanden", erklären die Studienautoren David G. Blanchflower, Alex Bryson und Xiaowei Xu. Stattdessen beobachten sie, dass mit zunehmendem Alter das Wohlsein kontinuierlich zunimmt – ohne den charakteristischen "Buckel" in der Lebensmitte. "Dies ist eine enorme Veränderung gegenüber der Vergangenheit, als psychische Probleme im mittleren Alter ihren Höhepunkt erreichten", so das Forschungsteam
Für ihre Analyse werteten die Forschenden umfangreiche Daten aus. So werteten sie für die USA Umfragen des Centers for Disease Control (CDC) mit mehr als zehn Millionen Teilnehmenden aus den Jahren 1993 bis 2024 aus, wie "ScienceDaily" berichtet. Für Großbritannien analysierten sie Daten von 40.000 Haushalten aus den Jahren 2009 bis 2023.
Um zu prüfen, ob diese Veränderung ein globales Phänomen ist, analysierten die Wissenschaftler zusätzlich Daten des "Global Minds Project" aus 44 Ländern mit insgesamt 1,7 Millionen Teilnehmenden aus den Jahren 2020 bis 2025, darunter auch Deutschland. Das Ergebnis: In allen untersuchten Ländern nimmt das psychische Unwohlsein mit dem Alter ab – der frühere Höhepunkt in der Lebensmitte ist nirgends mehr zu finden.
Forschungsteam alarmiert über psychischen Zustand junger Menschen
Besonders besorgniserregend: Junge Menschen unter 25 Jahren sind am stärksten betroffen. In den USA verdoppelte sich der Anteil junger Männer, die angaben, verzweifelt zu sein und sich in einem Zeitraum von 30 Tagen an allen davon in schlechter psychischer Gesundheit befunden haben, von 3 Prozent auf 6,6 Prozent. Bei jungen Frauen stieg er von 5,6 Prozent auf 9,3 Prozent. Ähnliche Entwicklungen zeigten sich in Großbritannien, Deutschland und anderen Ländern.
Die Verschlechterung der psychischen Gesundheit junger Menschen hat weitreichende Folgen. In den USA ist Suizid inzwischen die vierthäufigste Todesursache bei 15- bis 29-Jährigen. Die Suizidrate bei 12- bis 17-Jährigen stieg zwischen 2008 und 2020 um 70 Prozent.
Zudem führt die schlechtere psychische Gesundheit zu mehr Krankenhauseinweisungen. In den USA etwa nahmen Besuche in der Notaufnahme mit psychischen Diagnosen bei Kindern und Jugendlichen zwischen 2016 und 2019 deutlich zu. Auch der Antidepressiva-Konsum steigt: In den USA hat sich die Verschreibung von Antidepressiva an Kinder im Alter von 12 bis 17 Jahren zwischen 2005 und 2017 verdoppelt.
Mögliche Ursachen: Von der Finanzkrise bis zu Smartphones
Die Gründe für diese Entwicklung sind nicht eindeutig geklärt. Die Forschenden diskutieren mehrere mögliche Faktoren. Unter anderem nennen sie schlechtere Arbeitsmarktchancen und Einkommensstagnation, aber auch Verzögerungen bei der Behandlung psychischer Erkrankungen, vor allem da nicht ausreichend in das Gesundheitswesen investiert werde. Zudem zeigen die Daten, dass die Covid-19-Pandemie die psychische Gesundheit junger Menschen verschlechtert hat.
Eine weitere mögliche Ursache sieht das Forschungsteam in der Nutzung neuer Technologien und den sozialen Medien. Der Anstieg des Unwohlseins fällt zeitlich mit der zunehmenden Verbreitung von Smartphones zusammen. Neuere Studien deuten auf einen kausalen Zusammenhang zwischen Social-Media-Nutzung und schlechterer psychischer Gesundheit hin.
"Die Gründe für die Veränderung sind umstritten, aber wir sind besorgt, dass es heute eine ernsthafte Krise der psychischen Gesundheit unter jungen Menschen gibt, die angegangen werden muss."
Empfehlungen der Redaktion
Die Studienautoren betonen die Dringlichkeit, dieser Entwicklung entgegenzuwirken – sei es durch bessere Finanzierung psychischer Gesundheitsversorgung, Regulierung sozialer Medien oder gezielte Unterstützungsprogramme für junge Menschen. Sie schreiben: "Die Gründe für die Veränderung sind umstritten, aber wir sind besorgt, dass es heute eine ernsthafte Krise der psychischen Gesundheit unter jungen Menschen gibt, die angegangen werden muss." (bearbeitet von sbi)