Die meisten haben es schon erlebt und sie lassen einen verwirrt zurück: Déjà-vus. Wie erklärt die Wissenschaft das Phänomen und warum sollte man sich ärztlich untersuchen lassen, wenn es häufig auftritt?

Mehr zum Thema Gesundheit

Gerade ist man mit etwas beschäftigt oder an einem fremden Ort, da kommt einem die Situation plötzlich merkwürdig vertraut vor. Als hätte man es schon einmal erlebt – obwohl das objektiv betrachtet unmöglich ist. Meist verpufft das befremdliche Gefühl nach kurzer Zeit. Als Déjà-vu wird dieses Phänomen bezeichnet. Übersetzt bedeutet das "schon gesehen".

Zwar tritt ein Déjà-vu bei gesunden Menschen nicht häufig auf, trotzdem kennen es die meisten. Und ein Phänomen der Moderne ist es auch nicht. In seinem Buch "Dichtung und Wahrheit" beschreibt Johann Wolfgang von Goethe eine Déjà-vu-Erfahrung, die er als junger Mann gemacht hat – vermutlich ohne zu wissen, dass es sich um eine solche handelte. Denn das Buch, in dem Goethe seine Memoiren aus jungen Jahren verarbeitete, entstand, bevor die Wissenschaft begann, sich mit dem Phänomen zu befassen.

Lesen Sie auch

Wissenschaftliche Thesen – dem Déjà-vu auf der Spur

Ein Déjà-vu hinterlässt nicht nur ein rätselhaftes Gefühl. Auch aus wissenschaftlicher Sicht ist vieles noch ungeklärt. Und das, obwohl Befragungen zufolge rund zwei Drittel der Menschen mindestens eine Déjà-vu-Erfahrung in ihrem Leben machen. Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen tritt das Phänomen besonders häufig auf. Auch bei Stress oder Schlafmangel und im Zusammenhang mit Angsterkrankungen scheinen Déjà-vus vermehrt vorzukommen oder werden intensiver wahrgenommen, wie Forscher der University of St. Andrews herausfanden.

Da "Erinnerungstäuschungen", wie Déjà-vus auch genannt werden, bei gesunden Menschen aber spontan und nur sporadisch auftreten, ist es kaum möglich, die Mechanismen im Gehirn mit bildgebenden Verfahren zu dokumentieren. Und doch ist heute mehr über das Phänomen bekannt, als zu Goethes Zeiten. Zwei Thesen stehen verstärkt im Fokus der Hirnforschung: Durch äußere Eindrücke und durch interne Hirnprozesse Gehirn ausgelöste Déjà-vus.

Déjà-vu ausgelöst durch unbewusste Erinnerung?

Was bekannt ist: Der Gyrus dentatus, Teil des Hippocampus im Gehirn, scheint eine zentrale Rolle bei der Entstehung zu spielen. Dieser funktioniert wie ein Zwischenspeicher. Erlebtes wird zunächst wie eine Art Karte angelegt. In Ruhephasen werden aufgenommene Eindrücke an andere Hirnregionen weitergeleitet und gespeichert – mal besser, mal weniger gut, vieles wird gelöscht oder ist fürs Bewusstsein nicht mehr abrufbar.

Neurowissenschaftler und Nobelpreisträger Susumu Tonegawa geht davon aus, dass eine kurze Fehlfunktion im Gehirn ein Déjà-vu auslösen kann: Ähneln sich eine länger zurückliegende Erfahrung und die aktuelle Situation stark, können die im Gehirn angelegten "Karten" verschmelzen. Das verwirrende Gefühl, die Situation bereits erlebt zu haben, kommt auf.

Erinnerungstäuschung durch feuernde Neuronen

Hugo Malagon-Vina vom Zentrum für Hirnforschung der Medizinischen Universität Wien vermutet, dass womöglich fehlangepasste Neuronen im präfrontalen Kortex eine entscheidende Rolle spielen. Dieser Bereich des Gehirns steuert unter anderem Aufmerksam und Motorik. "Jede Erfahrung ist für das Gehirn einzigartig, egal, wie ähnlich sie einer früheren Erfahrung ist. Die Neuronen im präfrontalen Kortex feuern jedes Mal wieder erhöht und werden aktiviert – genauso, als wäre die Erfahrung total neu", sagt Dr. Hugo Malagon-Vina.

Dass das Gehirn trotz seiner Erinnerungsgabe so auf neue Erfahrungen reagiert, ist für den Menschen ein Geschenk: Freude und Überraschung können immer wieder aufs Neue empfunden werden – obwohl wir uns in der Vergangenheit schon einmal über etwas Ähnliches gefreut haben.

Déjà-vus und Epilepsie

Abzugrenzen von sporadischen Déjà-vus sind solche, die im Rahmen von bestimmten Erkrankungen wie Epilepsie auftreten. Viele Epileptiker erleben zu Beginn eines Anfalls eine sogenannte Aura, die mit sensorischen oder psychischen Wahrnehmungen einhergeht. Neben Symptomen wie Schwindel und Halluzinationen treten in dieser frühen Phase des Anfalls auch häufiger Déja-vus auf.

Alexander Walter ist Vorsitzender der Deutschen Epilepsievereinigung im Landesverband Hessen. Aus Gesprächen mit Betroffenen und aus eigener Erfahrung kennt er das merkwürdige Gefühl: "Ein Déjà-vu tritt häufig kurz vor einem Anfall auf, wie eine Art Vorbote". Er selbst lebt seit einigen Jahren anfallsfrei. Den Weg zur Diagnose und geeigneten Therapie beschreibt er als schwierig. Im Sinne der Betroffenen wünscht er sich bessere Aufklärung und mehr Aufmerksamkeit.

Nicht selten würde bis zur Diagnose Jahre vergehen. Da es zahlreiche verschiedene Formen der Epilepsie gibt, auch ohne Krampfanfälle, bleibt die Erkrankung zuweilen unerkannt. Auch, dass häufige Déjà-vus auf eine Epilepsie-Form hinweisen können, sei vielen nicht bekannt. Er rät, in einem Epilepsie-Zentrum vorstellig zu werden und sich parallel in einer Selbsthilfe-Einrichtung beraten zu lassen. So könne der oft quälend lange Weg zur Diagnose womöglich abgekürzt und zeitnah die passende Therapie gefunden werden.

Und: "Wenn man weiß, dass es sich bei einem Déjà-vu um eine Aura handeln kann, ist man – wenn man Glück hat – in der Lage, den beginnenden Anfall hinauszuzögern, indem man das Gehirn ablenkt", sagt Alexander Walter. Ihm selbst sei dies häufig gelungen, indem er bei einem beginnenden Anfall schnell Kaffee mit Zitronensaft trank. "Ich kenne auch ein Paar, das einander anschreit, wenn sich ein Anfall ankündigt. Andere riechen an Lavendel-Öl oder piksen sich mit dem Zeigefingernagel in den Daumen". Trotzdem, so Alexander Walter, müssen verordnete Medikamente unbedingt eingenommen werden.

Ein kleines Geheimnis bleibt noch

Obwohl die Wissenschaft dem Phänomen in den vergangenen Jahren auch durch die Epilepsie-Forschung näher gerückt ist, bleiben viele Fragen offen. Doch das muss ja nicht per se negativ sein. Liegt keine Erkrankung vor, kann das Déjà-vu ja auch als ein kleines Mysterium betrachtet werden. Geheimnisvolles hat zuweilen ja auch seinen Reiz.

Verwendete Quellen

Über den Gesprächspartner

Flash Lag Illusion: Optische Täuschung zeigt, wie unser Gehirn in die Zukunft blickt

Flash Lag Illusion: Optische Täuschung zeigt, wie unser Gehirn in die Zukunft blickt

Weil wir ganze 80 Millisekunden brauchen, um das Gesehene wirklich wahrzunehmen, versucht unser Gehirn, in die Zukunft zu blicken. Wie das aussieht und was dabei passieren kann, zeigt ein visuelles Experiment.
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.