Natürliche Immunität: Die Zeckenresistenz bei manchen Menschen und Tieren könnte ein Schlüssel zur Entwicklung neuer Anti-Zecken-Impfstoffe sein. Diese könnten auch bald dringend notwendig sein - Forschende gehen davon aus, dass sich Zeckenpopulationen aufgrund des Klimawandels vergrößern und verändern werden.
Manche erwischt es nach jedem Waldspaziergang, andere können selbst in kurzen Hosen stundenlang durch kniehohes Gras laufen, ohne dass am Abend auch nur eine Zecke zugestochen hat. Einige Menschen sind sogar buchstäblich immun gegenüber Zecken - einer davon ist Richard S. Ostfeld.
Der Mann ist Wissenschaftler am Cary Institute of Ecosystem Studies in Millbrook, New York. Ostfeld erforscht, wie Artenschwund und Klimawandel die Übertragung von Infektionskrankheiten von Wildtieren auf den Menschen beeinflussen. Während seiner Forschungsaufenthalte im Freiland suchten ihn, wie er selbst beschreibt, unzählige Zecken heim. Von Borreliose oder anderen durch Zecken übertragenen Krankheiten blieb der Forscher glücklicherweise verschont.
Eines Tages fiel Ostfeld auf, dass er nach den Streifzügen durch die Natur zwar noch angeheftete Zecken auf seiner Haut fand. Diese hatten indes kein Blut gesaugt und waren tot. Stattdessen rötete sich der Hautbereich um die Zecke herum und juckte ein paar Tage lang. Als Ostfeld sich öffentlich in Artikeln und Interviews zu seiner körpereigenen Zeckenabwehr äußerte, bekam er Mails und Anrufe von Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht hatten wie er.
In der wissenschaftlichen Literatur gibt es bisher nur vereinzelte Berichte, die auf eine Zeckenimmunität beim Menschen hinweisen: Bei einigen entwickeln sich an der Stichstelle, wie Ostfeld es von sich beschreibt, Überempfindlichkeitsreaktionen. Außerdem bilden Menschen, die häufig Zecken ausgesetzt sind, Antikörper gegen deren Proteine.
Erworbene Zeckenresistenz bei Mensch und Tier
Schon lange bekannt ist, dass einige Wildtiere, etwa Rinder, Kaninchen und Meerschweinchen, nach mehrmaligem Zeckenbefall eine Resistenz gegen die lästigen Blutsauger entwickeln können. Offenbar sei die erworbene Zeckenresistenz (ATR, vom Englischen "Aquired Tick Resistance") auch bei Menschen keine Seltenheit, schreibt Ostfeld: "Vielleicht können wir das zu unserem Vorteil nutzen."
Der Forscher denkt dabei an die aktive Immunisierung als Präventionsmaßnahme: Wenn es einen Impfstoff gegen Zecken gäbe, könnten die Parasiten ihre Blutmahlzeit erst gar nicht starten und das Risiko für eine Übertragung gefährlicher Krankheitserreger würde stark sinken. Menschen, die in Hochrisikogebieten leben, könnten von einer solchen Impfung sehr profitieren.
Auf diese Idee kam der Parasitologe William Trager vom Rockefeller Institute for Medical Research in Princeton schon vor fast neunzig Jahren. Er startete erste Versuche, Meerschweinchen durch den mehrmaligen Kontakt mit Zecken immun gegen deren Stiche zu machen. Sein langfristiges Ziel: ein Impfstoff, der Menschen und Tiere vor Zecken schützt.
Die einzigen Impfstoffe, die es zurzeit gibt, richten sich gegen die subtropische Rinderzecke Rhipicephalus microplus. Sie gilt als einer der bedeutendsten Parasiten, weil sie Viehzüchtern zum Beispiel in Brasilien große wirtschaftliche Verluste bescheren. Nach der Impfung bilden die Rinder Antikörper gegen ein Darmprotein der Zecken. Diese nehmen die Antikörper während ihrer Blutmahlzeit auf, ihr Darm wird löchrig, die Zecken sterben.
Forschung an neuen Zecken-Impfstoffen
Impfstoffe gegen andere Zecken oder für andere Tiere oder den Menschen gibt es bis heute nicht. Um hier ein wirkungsvolles Präparat zu entwickeln, muss man laut Fachleuten noch besser verstehen, welche Abwehrmechanismen des Immunsystems zur ATR beitragen und welche Bestandteile der Zecken es im Einzelnen sind, die die Widerstandskraft ausmachen.
Der Infektiologe Erol Fikrig und sein Team von der Yale School of Medicine im US-amerikanischen New Haven beschäftigen sich schon seit vielen Jahren mit diesen Fragen. Mithilfe einer modernen Screening-Methode ist die Gruppe jetzt einem ganzen Katalog an Proteinstrukturen aus dem Speichel der Parasiten auf die Schliche gekommen, die eine schützende Immunantwort im befallenen Wirtsorganismus auslösen können.
Schlüsselproteine aus dem Zeckenspeichel
Der Speichel der Zecken enthält sehr viele Bestandteile, die während einer über mehrere Tage anhaltenden Blutmahlzeit zum Einsatz kommen. Es gibt gerinnungshemmende Stoffe, die das Blut fließfähig halten, schmerzstillende Substanzen und auch solche, die das Immunsystem beeinflussen, etwa Entzündungen hemmen.
Außerdem scheiden die Zecken zementähnliche Proteine aus, über die sie sich fest an die Haut ihres Wirtes anheften können. "Der Speichel von Zecken enthält Chemikalien, die es ihnen ermöglichen, sich, ohne entdeckt, entfernt oder vernichtet zu werden, manchmal eine Woche lang vom Blut eines Wirbeltieres zu ernähren", sagt Richard Ostfeld.
Wenn die Körperabwehr aber solche wichtigen Komponenten blockiert, hat die Zecke kaum eine Chance. In ihrer aktuellen Arbeit beschäftigten sich die Forschenden aus Yale mit den rund 3.000 (!) verschiedenen Proteinen der Hirschzecke (Ixodes scapularis), die bei einem Stich mit dem Wirt in Kontakt kommen. Das Ergebnis: Gegen 170 Molekülstrukturen der 3.000 kann die menschliche Immunabwehr Antikörper bilden.
Zumindest fanden sie diese Antikörper in Blutserumproben von Richard Ostfeld und anderen Menschen, die nachweislich von Zecken gestochen worden waren. Allerdings variiert die Antikörperantwort von Mensch zu Mensch. Vermutlich hat die persönliche Zeckengeschichte – die Häufigkeit, Dauer der Blutmahlzeit und Zeckenart – einen Einfluss darauf, welche Antikörper vorherrschen.
Die Antikörperantwort gegenüber Zecken sei viel breiter angelegt, als man bisher angenommen habe, fassen die Forschenden ihre Ergebnisse zusammen. Das breite Screening ermögliche es nun noch besser als bisher, Proteinkandidaten für gerichtete Impfstoffe gegen die Zecken zusammenzustellen.
Bereits vor vier Jahren hatte das Team von der Yale School of Medicine an Meerschweinchen einen mRNA-Impfstoff getestet, der sich gegen 19 verschiedene Proteine der Hirschzecke richtete. Die Impfung zeigte einen Effekt: An den geimpften Tieren hafteten nach vier Tagen nur noch 20 Prozent, an den nicht geimpften Tieren dagegen noch 80 Prozent der ursprünglich im Versuch eingesetzten Zecken an.
Daher fiel die Blutmahlzeit für die Zecken bei den geimpften Meerschweinchen deutlich dürftiger aus: Sie legten im Durchschnitt rund ein Milligramm an Gewicht zu. Die Parasiten, die sich an der Kontrollgruppe gütlich taten, nahmen dagegen 2,4 Milligramm zu. Als wichtigste Beobachtung verzeichneten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine verringerte Übertragung von Borreliose-Erregern auf geimpfte Meerschweinchen.
Neue Herausforderungen durch den Klimawandel
Die Forschenden hoffen auf der Grundlage ihrer aktuellen Arbeit, bald Anti-Zecken-Impfstoffe der nächsten Generation herstellen zu können, die auf ein breites Spektrum an Zeckenproteinen abzielen und den Immunschutz für Mensch und Tier gegenüber verschiedenen Zecken weiter verbessern können. Im Idealfall stünden sogar universell einsetzbare Zeckenimpfstoffe zur Verfügung.
Die könnten zukünftig dringend gebraucht werden: Fachleute gehen davon aus, dass sich Zeckenpopulationen durch den Klimawandel vergrößern und verändern. Zecken sind hierzulande Überträger verschiedener Krankheitserreger. Gegen das FSME-Virus (Frühsommer-Meningoenzephalitis) gibt es einen Impfstoff, gegen die Borreliose (verursacht durch Bakterien der Sorte Borrelia burgdorferi) helfen nur Antibiotika im Nachhinein. Zecken übertragen auch noch andere Krankheiten wie Rickettsiosen, Tularämie oder das Q-Fieber. Dieses Spektrum an Erregern könnte sich zukünftig durch neu hinzukommende Zeckenarten noch vergrößern.
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Verwendete Quellen
- statnews.com: I’m a tick biologist whose body seems to kill off ticks
- National Library of Medicine: Acquired Tick Resistance: The Trail is Hot
- jstor.org: The Journal of Parasitology: Acquired Immunity to Ticks
- sciencedirect.com: Rhipicephalus microplus: An overview of vaccine antigens against the cattle tick
- medicine.yale.edu: Erol Fikrig, MD
- science.org: Tick feeding or vaccination with tick antigens elicits immunity to the Ixodes scapularis exoproteome in guinea pigs and humans
- science.org: mRNA vaccination induces tick resistance and prevents transmission of the Lyme disease agent
- zepak-rki.de: ZEPAK: Der Zecken-Atlas für Deutschland.
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