Porträtfotos, Angaben zu Alter und Haarfarbe: Russische Besatzer erstellen einen Online-Katalog entführter Kinder. Experten sehen darin einen Bruch der Völkerrechtskonvention.

"Er führt einfache Anweisungen erfolgreich aus, zeigt ausgeprägtes Interesse am Lernen und eignet sich gerne neue Fähigkeiten an." Es klingt wie die Beschreibung eines Junghundes auf einer Tierhilfeseite.

Doch "angeboten" wird hier ein fünfjähriger Junge namens Zhenya. Und er ist nicht der einzige. Ein Webportal mit Porträtfotos von Kindern, Angaben zu Alter, Augenfarbe, Haarfarbe. Daneben Beschreibungen wie "ruhig", "freundlich" oder "liebt es zu malen". Ein Katalog, den russische Besatzungsbehörden im Gebiet Luhansk erstellt haben. Ein digitaler Marktplatz für entführte ukrainische Kinder.

Online-Katalog bietet ukrainische Kinder an

Der Online-Katalog umfasst über 300 Kinder. Interessierte können hier angeben, welche Augen- oder Haarfarbe ihr künftiges Kind haben, wie alt es sein soll – ihre Namen wurden russifiziert, die Herkunft verschleiert. Ein ähnliches Portal gibt es auch außerhalb der Region Luhansk, ein russisch nationaler Kinderkatalog, wenn man es so nennen will. Die offizielle Lesart: Es handele sich um Waisen aus dem Kriegsgebiet, die nun ein neues Zuhause brauchen.

Doch ukrainische Behörden und NGOs widersprechen heftig. Viele dieser Kinder hätten lebende Eltern oder Verwandte in der Ukraine. Sie würden nicht adoptiert, sondern verschleppt – oft nach Bombardierungen, bei Evakuierungen oder während der russischen Besatzung. Anschließend erhielten sie russische Papiere und wurden in das Adoptionssystem eingespeist.

Mykola Kuleba, Chef der Organisation Save Ukraine, nennt das System einen "Sklavenkatalog". Es sei echter "Kinderhandel im 21. Jahrhundert, den die Welt sofort stoppen muss", schreibt er auf Instagram. Auch der ukrainische Botschafter in Berlin, Oleksii Makeiev, verurteilte das Vorgehen scharf. In einem Interview bei "Welt TV" sagte er: "Das ist noch einmal das Bild von Russland von heute. Ein Online-Katalog für Kinder. Nicht für Autos, nicht für Lebensmittel – für Kinder!" Ihre Identität werde ausradiert, die Namen verändert. Man wisse von circa 20.000 nach Russland verschleppten Kindern, aber in den besetzten Gebieten würden Hunderttausende in russischen Schulen umerzogen. Um Russland davon zu überzeugen, die Kinder bedingungslos wieder in ihre Heimat zu bringen, sei man auf Druck des Westens angewiesen.

Russland will den Kindern ihre ukrainische Identität rauben

Was hier passiert, ist nicht nur moralisch verwerflich. Es erfüllt nach Ansicht von Völkerrechtlern auch den Tatbestand eines Kriegsverbrechens, und Russland dokumentiert dieses selbst online durch seinen Katalog. Die Zwangsüberführung von Kindern einer nationalen Gruppe in eine andere gilt laut UN-Völkermordkonvention als Element eines Genozids. Russlands Strategie ist klar: Kinder aus den besetzten Gebieten sollen nicht als Ukrainer aufwachsen. Sie werden in russische Familien gegeben, die ihnen eine neue Geschichte, eine neue Sprache und ein neues Staatsverständnis einprägen.

Laut der ukrainischen Organisation "Bring Kids Back", initiiert vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenksyj, konnten von 19.546 entführten ukrainischen Kindern bislang nur 1.509 zurückkehren. Damit die Adoption erleichtert wird, hat Russlands Präsident Wladimir Putin eigens die Gesetze geändert. Schon im März 2023 hatte der Internationale Strafgerichtshof Haftbefehl gegen Putin und seine Kinderrechtsbeauftragte Maria Lwowa-Belowa erhoben.

Der Vorwurf lautete: Völkermord – konkret durch die gewaltsame Verschleppung ukrainischer Kinder. Schon damals landeten zahlreiche Kinder in russischen Waisenhäusern oder wurden direkt zur Adoption freigegeben. Lwowa-Belowa selbst hatte öffentlich zugegeben, einen 15-jährigen Jungen aus der Ukraine adoptiert zu haben – eine Tatsache, die sie gemeinsam mit Putin damals sogar in einem Fernsehbeitrag präsentierte. Gleichzeitig arbeiten mehrere ukrainische Organisationen daran, die Kinder wieder zurückzubekommen.

Schon seit Beginn der Invasion im Februar 2022 dokumentieren Menschenrechtsgruppen, wie Kinder aus Mariupol, Cherson oder Donezk nach Russland gebracht werden. Der Katalog in Luhansk ist jedoch ein neuer, erschreckender Schritt: Die Verschleppung wird nicht mehr vertuscht – sie wird systematisiert und öffentlich vermarktet. Die russischen Adoptionsseiten inszenieren ihre Programme indes als humanitäre Maßnahme.

Dringender Aufruf an Russland – unterzeichnet von 40 Staaten

Am 5. August 2025 veröffentlichte die Internationale Koalition zur Rückführung ukrainischer Kinder eine gemeinsame Erklärung, in der sie Russland auffordert, die sofortige und bedingungslose Rückgabe aller entführten ukrainischen Kinder zu gewährleisten. Dieser Appell wurde von 40 Staaten, der Europäischen Union und dem Europarat unterstützt.

In der Mitteilung betonte die Koalition, dass die Zwangsüberführung von Kindern eine klare Verletzung des internationalen humanitären und Menschenrechts darstelle und dass alle Parteien in bewaffneten Konflikten verpflichtet seien, diese Rechte zu respektieren.

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Auch der Leiter des ukrainischen Präsidialbüros, Andriy Yermak, wird in der Erklärung zitiert. "Die Welt schaut zu", sagt er. Es gebe keine Rechtfertigung für diese Verbrechen und keinen Grund, die Rückkehr der Kinder zu verzögern. "Jeder Tag, der ohne ihre Rückkehr verstreicht, ist ein Tag anhaltender Ungerechtigkeit. Wir werden nicht aufhören, bis jedes Kind wieder dort ist, wo es hingehört: bei seiner Familie, in seiner Heimat, sicher und frei."

Verwendete Quellen