Vor 15 Jahren wurde die Bankiersgattin Maria Bögerl aus ihrem Haus in Baden-Württemberg entführt. Nur einen Monat später wird ihre Leiche aufgefunden. Der Fall zählt zu den bekanntesten und tragischsten Fällen der deutschen Kriminalgeschichte – und ist bis heute ungelöst.

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Es ist ein Mittwochmorgen, als Maria Bögerl spurlos verschwindet. Ein Mann verschafft sich Zutritt zu dem Einfamilienhaus im beschaulichen Schnaitheim, einem Ortsteil von Heidenheim.

Er fesselt die 54-Jährige mit Handschellen und zwingt sie mit vorgehaltenem Messer, in ihren in der Garage parkenden Mercedes einzusteigen – so rekonstruiert zumindest die ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY … ungelöst" später, was sich vor 15 Jahren am Morgen des 12. Mai im Haus der Familie Bögerl abgespielt hat.

Die Hausfrau und Mutter war an jenem Vormittag allein zu Hause – die beiden Kinder, ein Sohn und eine Tochter, sind längst ausgezogen und ihr Ehemann Thomas, Chef der Heidenheimer Sparkasse, ist um diese Zeit wie immer bei der Arbeit.

Der Anruf des Kidnappers von Maria Bögerl

Dort erhält Thomas Bögerl noch am Vormittag einen Anruf vom Mobiltelefon seiner Ehefrau – doch es ist nicht Maria, die sich am anderen Ende der Leitung meldet. Ein unbekannter Mann mit schwäbischem Dialekt teilt Thomas Bögerl mit, dass er dessen Ehefrau entführt habe.

Der Unbekannte fordert bis 14 Uhr desselben Tages 300.000 Euro Lösegeld. Die Summe soll in 200-Euro-Scheinen ausgezahlt werden – doch diese komplizierte Stückelung wird zum Problem.

Thomas Bögerl schaltet die Polizei ein, doch die Lösegeldsumme soll er als Sparkassenchef selbst auftreiben. 200-Euro-Scheine sind allerdings vergleichsweise selten und wenig im Umlauf – und so kostet es wertvolle Zeit, bis Bögerl die geforderte Summe beisammen hat.

Die Lösegeldübergabe scheitert

Um 15:30 Uhr – 90 Minuten nach der vereinbarten Zeit – legt Thomas Bögerl am vereinbarten Ort das in eine Plastiktüte gewickelte Geld ab. Die Geldübergabe soll auf einem Parkplatz an der A7 Richtung Würzburg stattfinden, den genauen Ort hat der Täter mit einer Deutschlandflagge markiert. Doch der Kidnapper taucht nicht auf. Die Lösegeldübergabe ist gescheitert.

Die Hoffnung, dass sich der Kidnapper erneut meldet, schwindet schon kurz darauf. Am vereinbarten Ort der Geldübergabe wird kurz darauf das Mobiltelefon der Entführten gefunden – vollkommen zerstört. Damit ist die Verbindung zum Täter abgerissen, Maria Bögerl bleibt verschwunden.

Traurige Gewissheit: Maria Bögerl ist tot

Am 15. Mai wird schließlich der Mercedes der Bankiersgattin nahe dem Kloster Neresheim entdeckt. Darin finden die Ermittlerinnen und Ermittler Hautschuppen des mutmaßlichen Täters, aber auch Blutspuren von Maria Bögerl.

Am 19. Mai richtet sich die Familie in der Sendung "Aktenzeichen XY … ungelöst" in einem emotionalen Appell an den Entführer und bittet inständig um das Leben der Mutter.

Doch nur rund zwei Wochen später werden die schlimmsten Befürchtungen wahr: Am 4. Juni findet ein Spaziergänger in einem Wald bei Niesitz eine Frauenleiche, nur zehn Kilometer vom Wohnhaus der Familie entfernt. Es ist Maria Bögerl. Sie wurde mit mehreren Messerstichen getötet.

Familie gerät ins Visier der Medien

Neben dem Verschwinden und dem Tod der Ehefrau und Mutter beginnt für die Familie ein zweites Martyrium. In den Medien wird spekuliert, ob Thomas Bögerl sowie die beiden erwachsenen Kinder in den Entführungsfall verwickelt sein könnten – zu Unrecht, wie sich herausstellt. Die Polizei findet dafür weder Hinweise noch ein Motiv.

Die öffentlichen Verdächtigungen wiegen jedoch schwer auf der Familie. Im Juli 2011, rund ein Jahr nach dem Verbrechen, begeht Thomas Bögerl Suizid. Die Spekulationen, die Schuldgefühle, die Trauer – all das hat den Mittefünfzigjährigen massiv belastet. "Wer meinen Vater vor dem 12. Mai 2010 und danach gesehen hat, der wusste: Er war gebrochen", sagt der Sohn später in einem Interview im "Stern".

Tausende Spuren - kein Ergebnis

Nachdem Maria Bögerls Mercedes gefunden wurde, wird mit der "Soko Flagge" eine 60-köpfige Sonderkommission ins Leben gerufen. Insgesamt viermal ist der Fall Thema bei "Aktenzeichen XY … ungelöst". Mehr als 10.000 Spuren werden in den folgenden Jahren ausgewertet, darunter Tausende Proben von mehreren Massengentests in der Region.

Keine der gesammelten Proben passt zur gefundenen Täter-DNA, kein Hinweis bringt die Ermittlungen entscheidend weiter. Im Gegenteil: Ein Mann führt die Polizei mit falschen Hinweisen monatelang in die Irre. Dafür kassierte er zunächst mehrere Tausend Euro Belohnung – und anschließend zwei Jahre Haft auf Bewährung.

2017 gibt es dann einen Hoffnungsschimmer: Am 6. April wird ein Tatverdächtiger festgenommen. Nach dem Mann wurde mit einem Phantombild öffentlich gefahndet, nachdem er in angetrunkenem Zustand behauptet hatte, in den Entführungsfall verwickelt zu sein. Doch auch diese Spur verläuft im Sande: Seine DNA stimmt nicht mit der sichergestellten Täter-DNA überein. Wieder eine Sackgasse.

Bögerl-Kinder äußern Kritik an Polizeiarbeit

Im 2012 erschienenen "Stern"-Interview äußern die beiden hinterbliebenen Geschwister auch schwere Vorwürfe gegen die Polizeiarbeit. Die Ermittlerinnen und Ermittler hätten ihren Vater mit der Beschaffung des Lösegelds alleingelassen, eine professionelle Übergabe unter polizeilicher Kontrolle habe es nicht gegeben. "Wir haben den Soko-Chef so verstanden: Wenn ein Sparkassenchef das nicht kann – wer dann?"

Hinzu kämen gravierende Versäumnisse bei der Spurensicherung. Erst zwölf Stunden nach der Entführung habe die Polizei damit begonnen, das Haus der Bögerls systematisch zu untersuchen. Die Garage, in der das entwendete Auto von Maria Bögerl stand, wird sogar erst vier Monate später gründlich inspiziert – trotz wiederholter Hinweise der Familie.

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Die Einstellung der Ermittlungen

Am 14. August 2023 werden die erfolglosen Ermittlungen schließlich eingestellt. Man habe "nach 13 Jahren intensivster gemeinsamer Ermittlungsarbeit" keine neuen Ermittlungsansätze, hieß es – ein Täter habe nicht ermittelt werden können.

Doch Mord verjährt nach deutschem Recht nicht, die Akte bleibt im Bestand des Ulmer Polizeipräsidiums. Bis heute ist die gefundene DNA-Spur einer der wenigen echten Anhaltspunkte in diesem Fall – und es ist nicht ausgeschlossen, dass es eines Tages doch noch einen Treffer in der Datenbank gibt.

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