Vier Kinder schlagen sich wochenlang alleine durch den Dschungel. Sie haben einen Flugzeugabsturz überlebt und sind komplett auf sich gestellt. Eine Doku erzählt nun die unglaubliche Geschichte ihres Überlebenskampfes und einer symbolträchtigen Suchaktion.

Manche nennen es das Wunder vom Amazonas. Auf jeden Fall aber ist es eine Extremsituation, die viele Menschen wohl nicht überstanden hätten: 40 Tage lang überleben vier Kinder nach einem Flugzeugabsturz im kolumbianischen Dschungel. Schließlich werden sie nach einer beispiellosen Suchaktion gerettet. Stark dehydriert und abgemagert, aber lebend.

Die aktuelle Dokumentation "Lost in the Jungle: 40 Tage Überleben" auf Disney+ erzählt die Geschichte der vier Geschwister, die im Jahr 2023 um die Welt ging und mindestens an ein Wunder grenzt.

Mutter wollte mit Kindern zum Stiefvater ziehen

Es ist der 1. Mai, als die 33 Jahre alte Magdalena mit ihren vier Kindern Lesly (13 Jahre), Soleiny (9), Tien (5) und Cristin (11 Monate) in ein neues Leben aufbrechen will. "Sie sagte: 'Wir fliegen nach Bogotá und ziehen zu deinem Stiefvater'", erzählt die mittlerweile 15 Jahre alte Lesly in der Doku.

Leslys Stiefvater, Manuél, ist der Vater der beiden jüngsten Kinder die Beziehung zu ihm wird von Magdalenas Familie nicht gern gesehen. Magdalenas Familie erzählt in der Doku, er soll habe sie geschlagen und bedroht. Auch Lesly soll Opfer seiner Wutausbrüche geworden sein, er soll ihr außerdem verboten haben, weiterhin Fußball zu spielen und in die Schule zu gehen. Unter anderem deshalb sträubt sich Lesly, nach Bogotá zu fliegen.

Doch die Mutter hat entschieden: Die Familie verlässt ihr Dorf Araracuara und startet mit einer Cessna in Richtung San José del Guaviare. "Es war mein erster Flug", erzählt Lesly. "Ich hatte Angst."

Schon kurz nach dem Start kommt es zu Problemen, die kleine Maschine macht plötzlich laute Geräusche. "Der Pilot hat den Tower angefunkt und um Hilfe gebeten. Er verlor die Kontrolle. Daraufhin fing das Flugzeug an, abzustürzen. An mehr erinnere ich mich nicht."

In der Doku erzählt Lesly, wie sie nach dem Absturz wieder zu sich kam. "Wir waren irgendwo im Dschungel, überall war Blut. Und dann sah ich meine Mutter." Magdalena und der Pilot haben den Absturz nicht überlebt wie durch ein Wunder aber alle vier Kinder. "Cristin lag unter dem Körper meiner Mutter und bekam kaum Luft. Ich holte sie raus."

Lesly bemerkt, dass sie selbst eine Wunde am Kopf hat und versorgt diese kurzerhand mit Material aus einem Verbandskasten, den sie am Flugzeugwrack findet. Dann baut sie für sich und ihre Geschwister ein Lager aus Palmblättern. Das Mädchen handelt nicht nur intuitiv. Dank seiner indigenen Herkunft kennt Lesly Überlebenstaktiken, sie kennt den Dschungel. "Sie sind Kinder des Buschs", wird ihr Großvater Valencia später über seine Enkelinnen und seinen Enkel erzählen. Sie wüssten, wie man im Dschungel überlebt.

"Tien wollte wissen, warum wir Mama zurücklassen. Ich sagte, dass sie tot ist er hat bitterlich geweint."

Lesly, Überlebende des Flugzeugabsturzes

Lesly schildert, wie die Geschwister einige Tage am Flugzeug verbringen, wie sie die kleine Cristin mit einem Nuckelfläschchen aus dem Reisegepäck füttert. Und wie sie sich schließlich dazu entscheiden, sich vom Wrack zu entfernen, um Hilfe zu finden. Mit zwei Rucksäcken voller Vorräte machen sich die Kinder auf in den Dschungel. "Tien war wütend. Er wollte wissen, warum wir Mama zurücklassen. Ich sagte, dass sie tot ist er hat bitterlich geweint."

Königsgeier führt Retter zum abgestürzten Flugzeug

Derweil ist die Suche nach dem abgestürzten Flugzeug in vollem Gange. Sowohl ein militärischer, als auch ein indigener Trupp suchen seit Tagen nach dem Wrack, das vom Dschungel verschluckt worden zu sein scheint. Schließlich ist es ein Indigener, der einen kreisenden Königsgeier entdeckt und ihm folgt. Der Geier landet auf etwas Weißem es sind die Überreste des Flugzeugs.

Die Retter entdecken die Leiche Magdalenas. "Aber es gab keine Hinweise auf die Kinder", erzählt Pedro, Brigadegeneral der Spezialeinheiten. Die Einsatzkräfte suchen die Gegend ab und entdecken schließlich einen Unterschlupf. "Ein Lager aus Palmblättern, ein Hoffnungsschimmer."

Die Doku zeigt, wie die Retter auf verschiedene Arten versuchen, die Kinder zu finden. Sie spielen in Dauerschleife über Lautsprecher die Stimme von Leslys Großmutter ab, die sagt: "Wenn ihr das hört: Bleibt, wo ihr seid. Wir suchen nach euch. Wir haben euch nicht aufgegeben."

Sie werfen 10.000 Flugblätter ab, mit einer Botschaft der Großmutter – immer in der Hoffnung, dass die Kinder auf eines dieser Blätter stoßen und an Ort und Stelle bleiben, anstatt weiter in den Dschungel hineinzugehen.

Sie verteilen Trillerpfeifen für die Kinder, damit diese auf sich aufmerksam machen können; sie spielen laute Musik ab, damit sie von den Geschwistern gehört wird – aber der Erfolg bleibt aus. Und die Kinder verschollen.

In der Tat hört Lesly zumindest an einem Punkt die Lautsprecherdurchsage ihrer Großmutter. Doch sie befürchtet, sich die Stimme nur einzubilden. Sie fragt sich: "Suchen sie nach uns? Ich glaube nicht. Wir mussten unbedingt weitergehen."

Anspannungen zwischen Militär und Indigenen

Die Doku schildert aber nicht nur die Geschichte der Kinder, sondern auch die der Suchtrupps. Sie erzählt von den Anspannungen zwischen dem Militär und den Indigenen, die durch Jahre der Auseinandersetzungen wegen illegalen Drogenhandels entstanden sind.

Sie erzählt aber auch die Geschichte des Moments, als sich Militärs und Indigene verbünden, um gemeinsam nach den vermissten Kindern zu suchen. Und von dem Moment, als an Tag 38 der Suche die Indigenen gemeinsam mit Einsatzkräften des Militärs eine traditionelle Zeremonie abhalten, bei der ein rituelles Getränk getrunken wird. "Es ist keine Spielerei, es bringt uns in andere Welten", erzählt ein Schamane. Sie alle erhoffen sich, auf diese Weise die nötigen Informationen zu erhalten, um die Kinder zu finden.

Vermisste Kinder ernähren sich von Früchten

Unterdessen schlagen sich die Kinder bereits mehr als einen Monat durch den Dschungel. Sie überleben dank Früchten, die von Affen von den Bäumen geschmissen werden. Doch sie sind sehr schwach. Lesly gerät an den Punkt, an dem sie in Erwägung zieht, ihre Geschwister zurückzulassen.

Das sei der schwierigste Moment von allen gewesen. "Tien und Soleiny waren zu schwach. Und ich konnte Cristin nicht mehr tragen", erzählt sie. Sie habe gedacht: "'Geh' allein, lass sie zurück'. Dann hab ich tief Luft geholt und gesagt: 'Nein! Ich bleibe hier, mit meinen Geschwistern.'"

Ihre Entscheidung wird belohnt: Kurz darauf finden die Geschwister eines der Flugblätter und befolgen die Anweisung, an Ort und Stelle zu bleiben. "Ich hoffte, dass wir bald gerettet werden", schildert Lesly den Moment.

Nur wenige Tage später, kurz nach dem indigenen Ritual, dann der unglaubliche Moment: "Ich hörte Stimmen und Schritte ganz in der Nähe." Kurz darauf werden die Kinder von einem der Suchtrupps entdeckt, per Hubschrauber werden sie in ein Militärkrankenhaus nach Bogotá geflogen und genesen vollständig.

Mittlerweile leben die vier Geschwister bei Verwandten. Noch immer versuchen sie, das Erlebte zu verarbeiten. Leslys Stiefvater wurde indes festgenommen. Der Vorwurf: Kindesmissbrauch.

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Das Wunder vom Amazonas es ist nicht nur eine unglaubliche Geschichte, sondern auch eine, die Symbolcharakter hat. Dass sich Militär und Indigene verbünden, wirkt beinahe historisch. Das weiß auch der kolumbianische Präsident Gustavo Petro. "Diese Suchaktion im Amazonas ist mehr als eine Rettungsmission", sagt er bei einer Parade. "Sie muss der Auftakt zu einem echten Dialog werden zwischen der Nation und den indigenen Völkern, die viel zu lange ausgeschlossen wurden."

Verwendete Quelle

  • Disney+: "Lost in the Jungle: 40 Tage Überleben"