Was macht einen narzisstischen Menschen aus und wie kann man diese Menschen erreichen und therapieren? Diese Fragen beantwortet Pollux in seinem Buch "Gefährliches Ego. Wenn Narzissmus tödlich endet — True Crime-Fälle vom Insider".
Im Interview spricht der Ex-Häftling Maximilian Pollux über seine kriminelle Vergangenheit, die Herausforderung von Resozialisierung und das Buzzword "Narzissmus".
Herr Pollux, Sie haben knapp zehn Jahre Ihres Lebens in Haft verbracht. In welchem Alter sind Sie erstmals straffällig geworden?
Maximilian Pollux: Ich bin mit 21 Jahren eingesperrt und mit 31 Jahren entlassen worden – insgesamt war ich neun Jahre und acht Monate in Haft. Ich habe meine kompletten 20er in Haft verbracht, war aber schon lange vorher auffällig. Mit 14 Jahren stand ich das erste Mal vor Gericht, ehe mit 19 Jahren ein Haftbefehl gegen mich ausgestellt wurde. Ich verließ daraufhin Deutschland und habe mich im Ausland versteckt, ehe ich dann mit 21 schließlich von deutschen Zielfahndern verhaftet und ausgeliefert wurde.
Wofür konkret wurden Sie verurteilt?
Im Wesentlichen ging es um Drogenhandel in Kombination mit Waffenhandel, Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz, Körperverletzung und räuberische Erpressung.
"Ich hatte keine Angst, möglicherweise im Gefängnis zu landen, da ich in dem Glauben war, auf diese Weise noch mehr Anerkennung und Wertschätzung für mein Sein zu erhalten."
Sie haben einmal in einem Interview gesagt "Ich bin nicht reingerutscht in die kriminelle Welt, ich bin da reingelaufen. Ich wollte das". Welche Rolle spielt die Glorifizierung von Kriminalität, Gewalt und Bad-Boy-Männerstereotypen, wenn es darum geht, dass die Grenzen zwischen Gut und Böse immer mehr verschwimmen?
Eine große. Die Suche nach einem Vorbild führt unter Umständen auf eben diese Abwege. Dahinter steckt aber wiederum etwas anderes: Denn ich glaube fest daran, dass die meisten Menschen gut sein wollen. Gelingt ihnen das Gutsein aber nicht, scheinen vor allem Jungen, die möglicherweise neurodivergente Einschränkungen in sich tragen, nicht immer gut im gesellschaftlichen System zurechtzukommen. Denken wir etwa an die Schulzeit, in der es darum geht, stundenlang stillzusitzen: Allein wegen meines ADHS und meiner narzisstischen Persönlichkeit war ich darin nicht gut. Bedeutet: Ich wurde in der Schule eher bestraft als gelobt. All die Fähigkeiten, die ich hatte, haben mir in der Schule demnach wenig gebracht. Wo sie mir hingegen etwas gebracht haben, war die Straße.
Hinzu kam die fehlende männliche Identifikationsfigur – mein leiblicher Vater war nicht präsent und in der Schule hatte ich ausschließlich Lehrerinnen. Insofern habe ich sowohl nach einer männlichen Identifikationsfigur als nach einem Ort, an dem ich wertgeschätzt werde, gesucht. Auf der Straße habe ich vermeintlich all das gefunden und bin ganz bewusst meinen Weg gegangen. Dementsprechend hatte ich keine Angst, möglicherweise im Gefängnis zu landen, da ich in dem Glauben war, auf diese Weise noch mehr Anerkennung und Wertschätzung für mein Sein zu erhalten.
Was würden Sie heute dem jugendlichen kriminellen Maximilian von damals gerne sagen?
Ich würde ihm sagen: Es wird alles gut, du bist in Ordnung. Das, was du kannst und was du bist, wird reichen, um deinen Lebensunterhalt zu bestreiten und geliebt zu werden. Denn damals war mir nicht klar, für das, was ich bin, geliebt werden zu können. In der Folge habe ich gewählt zu hassen und gefürchtet zu werden für das, was ich war. Hätte ich damals schon verstanden, dass ich liebenswert bin, hätte ich einen anderen Weg gewählt. Dazu muss ich aber sagen, dass ich nicht glaube, dass mich die Worte meines heutigen Ichs damals erreicht hätten.
Pollux möchte immer wieder gestellte Fragen rund um Narzissmus beantworten
In Ihrem neuen Buch "Gefährliches Ego: Wenn Narzissmus tödlich endet – True-Crime-Fälle vom Insider"
widmen Sie sich den Geschichten narzisstischer Verbrecher. Wer sollte das Sachbuch lesen?
Natürlich richte ich mich mit dem Buch an Menschen, die True-Crime-Content konsumieren. In dem Buch geht es aber auch noch um etwas anderes: um Narzissmus und um Narzissmus als Motiv für Verbrechen. Indem ich mich diesem Thema genähert habe, ist mir bewusst geworden, welch große Rolle Narzissmus auch in meinem Leben spielt. Insofern sollten Menschen das Buch lesen, die entweder in narzisstischen Beziehungen waren oder sind, von Narzissmus selbst betroffen sind oder aus psychotherapeutischer und psychologischer Perspektive mit narzisstischen Menschen arbeiten.
Bei dem Buch handelt es sich um ein Sachbuch und ich bin gespannt, was jene Menschen davon halten, die versuchen, narzisstische Menschen zu therapieren und zu erreichen. Denn ich glaube, es ist mir gelungen, einige Verhaltensweisen zu erklären, wie sie zuvor noch nie erklärt wurden. Insofern glaube ich, dass ich einige der immer wieder gestellten Fragen rund um Narzissmus beantworten konnte.
Allein in den sozialen Medien wird der Begriff "Narzissmus" sehr inflationär verwendet. Zur Einordnung: Wovon sprechen wir, wenn wir von Narzissmus reden?
Wenn ich von Narzissmus spreche, spreche ich von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung, also dem pathologischen Narzissmus.
Diese Eigenschaften bringen die meisten Narzissten mit
Sind narzisstische Menschen grundsätzlich eher gefährdet, kriminell zu werden?
Das größte Problem, das ich mit dem Buzzword "Narzissmus" habe, ist, dass der maligne Narzissmus in der Öffentlichkeit stellvertretend für das ganze Narzissmusspektrum steht. Das stimmt so nicht. Denn bei einem malignen Narzissten sprechen wir von einem Narzissten, der psychopathische Tendenzen hat und dadurch extrem gefährlich für die Mitmenschen ist. Hierbei sprechen wir aber nur von einem kleinen Prozentsatz aller Narzissten.
Natürlich sind diese Menschen deutlich anfälliger und häufiger in Straftaten verwickelt. Grundsätzlich gibt es einige Eigenschaften, die die meisten Narzissten mit sich bringen: Ich denke etwa an die leichte Kränkbarkeit, die natürlich die Grundlage für Gewalt und Straftaten sein kann. Vor allem aber führt diese leichte Kränkbarkeit aber zu Leid in persönlichen Beziehungen. Dennoch: Narzissmus ist in erster Linie nicht per se relevant für das Begehen von Straftaten, aber umso mehr für Verletzungen im privaten Umfeld.
Das Buch zeigt auf, wie unterschiedlich Narzissmus aussehen kann.
So ist es. Ich habe mich im Buch auf acht Täter konzentriert, bei denen ich die Ursache ihrer Tat im Narzissmus sehe. Wir sprechen dabei von Faktoren wie beispielsweise Überheblichkeit oder die Gier nach Anerkennung und Berühmtheit. Hinzu kommen Fälle von Narzissmus in Beziehungen. Der neunte Fall, den ich im Buch vorstelle, bin ich selbst. Die Idee dazu kam damals von meiner Frau. Es ist ein Merkmal des pathologischen Narzissten, dass er selbst nicht weiß, betroffen zu sein. Während ich also ein Buch über Narzissten schrieb, bin ich erstmals damit konfrontiert worden, möglicherweise selbst einer zu sein. Man spricht von neun wesentlichen Merkmalen, die auf Narzissmus hinweisen – alle passten auf mich.
Dennoch spricht man zu diesem Zeitpunkt noch nicht von einer Diagnose oder einem Gutachten, das von einer Fachkraft erstellt wurde. In meinem konkreten Fall habe ich mir also die Expertise des renommierten Psychiaters Dr. Pablo Hagemeyer geholt. Er gilt in Deutschland als Narzissmus-Experte, was wiederum zu meiner eigenen Diagnose passt: Denn natürlich brauchte ich für mein Gutachten als Narzisst den besten, renommiertesten und anerkanntesten Experten (lacht). Das Ergebnis hat niemanden überrascht, außer mich. Egal mit wem aus meinem Umfeld ich über die Diagnose gesprochen habe: Niemand war überrascht – wie bezeichnend.
"Eine Diagnose ist kein Urteil, sondern ein Arbeitsauftrag."
Was hat eben diese Reaktion Ihres Umfelds auf die Diagnose in Ihnen ausgelöst?
Es hat mich fertig gemacht. Ich bezeichne mich selbst als reflektierten Mann, habe Therapiesitzungen gefilmt und online veröffentlicht. Ich bin seit 21 Jahren in Therapie und hatte trotzdem einen solchen blinden Fleck.
Wie geht es mit der Diagnose nun weiter für Sie?
Ich habe eine eigens auf Narzissmus geeichte Therapie begonnen, die ich jedoch wieder abgebrochen habe. Ich werde sie aber gegen Ende des Jahres wieder aufnehmen. So eine Therapie ist kein Spaß: Zu lernen, ein Arschloch zu sein, ist hart. Trotzdem bin ich weit weg von dem Mann, der ich eigentlich sein möchte. Insofern muss ich nun an mir arbeiten: Eine Diagnose ist kein Urteil, sondern ein Arbeitsauftrag.
Lassen Sie uns über Resozialisierung sprechen: Wie ist es Ihnen nach Ihrer Entlassung aus der Haft gelungen, nicht wieder straffällig zu werden?
Resozialisierung in Haft ist sehr schwierig. Ich wurde beispielsweise schon mit 13 Jahren kriminell – insofern ist es schwierig, eine Person auf eine Situation vorzubereiten, die sie streng genommen gar nicht kennt. Es gab kein aufgeräumtes Leben, in das ich zurückgebracht werden konnte. Die Entscheidung für ein geregeltes Leben kann also nur der Entlassene selbst treffen – schließlich lässt man auch ein Stück der bisherigen Identität zurück: Früher war man Gangster, dann Gefangener, ehe man sich plötzlich die Frage stellen muss, wer man außerhalb dieser Welt ist.
Diese Identitätssuche war entsprechend anstrengend, traumatisierend, aber auch wunderschön. Betroffenen empfehle ich: Wenn ihr bei Null anfangt, müsst ihr das nicht an dem Ort tun, an dem euer Weg begonnen hat. Ich komme beispielsweise aus Nürnberg. Dass ich nach der Haft aus Nürnberg weggezogen bin, war elementar für das neue Finden meiner Persönlichkeit. Es ist sehr schwer, sich im alten Umfeld neu zu erfinden. Ich hatte das Glück, auf diesem Weg eine Frau zu finden, die mich nicht kannte, wie ich vorher war. Insofern hat sie auch mein vorheriges Verhalten nicht toleriert und klare Grenzen gesetzt. Sie wollte keinen Drogendealer, sondern einen netten Mann. Und ich wollte dieser nette Mann werden. Damit schließt sich der Kreis: Denn was mir geholfen hat, nicht mehr kriminell zu werden, ist Liebe – sowohl die Liebe meiner Frau als auch die neu entdeckte Liebe zu mir selbst.
Das rät Pollux den Eltern straffälliger Kinder
Zusammen mit Ihrer Frau haben Sie den Verein SichtWaisen gegründet. Was gibt es vor allem mit Blick auf jugendliche Straftäter zu tun, um ihnen nach ihrer Haft eine Chance in der Gesellschaft zu geben?
Meiner Meinung nach spielen vor allem bei jungen Menschen Vorbilder eine große Rolle. Hierbei denke ich an den Satz "You can't be, what you can't see" (auf Deutsch "Du kannst nicht werden, was du nicht siehst"). Wenn man aus der Haft kommt, muss man Menschen sehen, die in Haft waren und nicht mehr kriminell sind. Junge Menschen brauchen demnach Vorbilder mit einem bewegten Leben, die heute glücklich sind.
Was gilt es hingegen für Eltern zu tun, wenn ihre Kinder straffällig werden?
Unser Verein hat eine tolle Angehörigengruppe, bei denen sich Angehörige von Kriminellen, Personen in Haft oder Gefährdeten melden können. Wir erfahren immer wieder, dass die Scham und das Stigma für Eltern straffälliger Kinder ein großes Problem ist. Damit möchte ich den Opferfokus und die Tatsache, dass Angehörige von Geschädigten ebenso leiden, nicht kleinreden – im Gegenteil.
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Doch häufig werden auch die Eltern eines kriminellen Kindes in eine Welt gerissen, die sie nicht kennen. Insofern stehen sie plötzlich zwischen der Liebe für ihr Kind und der Schuld, dass ihr Kind Täter oder Täterin ist. Dieser Spagat ist sehr herausfordernd – diese Menschen möchten wir mit unserem Programm auffangen und gleichzeitig die Co-Abhängigkeit lösen. Denn Angehörige sind nicht dafür verantwortlich, dass ein straffällig gewordener Mensch den Weg aus der Kriminalität schafft – vor allem, wenn es sich hierbei um einen Menschen im Alter von 19, 20 oder 21 Jahren handelt. Aus diesem Grund ist uns der Eigenschutz der Angehörigen sehr wichtig.
Über den Gesprächspartner
- Maximilian Pollux ist Autor und Podcaster, der unter anderem wegen Raubüberfällen und Drogenhandels zehn Jahre in Haft verbrachte. Nach seiner Freilassung absolvierte er eine Ausbildung zum systemischen Anti-Gewalt-Trainer. Er gründete den Verein SichtWaisen e.V. und gibt in diesem Rahmen Workshops an Schulen, in Jugendeinrichtungen und Gefängnissen. In Podcasts und auf seinem YouTube-Kanal reflektiert er seine Vergangenheit als ehemaliger Intensivtäter und teilt Inhalte zum Thema True Crime – seine große Leidenschaft. Pollux wohnt in Mainz.