Zwischen 1994 und 2002 wurde das Ruhrgebiet von einem Serienvergewaltiger heimgesucht. Mehr als 20 junge Frauen überfiel das "Uni-Phantom" von Bochum, zum Teil getarnt als Jogger. Geschnappt wurde der Täter bis heute nicht. Noch immer gibt es jede Menge ungeklärte Fragen. Eine davon: Warum hörten die brutalen Überfälle plötzlich auf?
Die Liste seiner Taten liest sich wie das Drehbuch eines Grusel-Films: Er schlug meist mit einem Klappmesser zu, manchmal auch mit einer Pistole oder mit Kabelbindern – bevorzugt nachts. Mal trug er eine schwarze Sturmhaube, mal zeigte er sich mit Oberlippenbart völlig unvermummt, mal tarnte er sich als Jogger. Fast immer lauerte er seinen Opfern in der Nähe von Bus- oder Bahnhaltestellen auf, überfiel sie in der Dunkelheit und vergewaltigte sie brutal.
Der Serienvergewaltiger, der zwischen 1994 und 2002 das Ruhrgebiet in Atem hielt, ist bis heute nicht gefasst. Mindestens 21 Taten schreibt die Polizei dem damals rund 30-jährigen Mann zu, der im Jahr 2002 plötzlich von der Bildfläche verschwand. In 17 Fällen gelang ihm die Vergewaltigung, in vier Fällen ergriff er vorzeitig die Flucht.
Die Ermittler gehen davon aus, dass die tatsächliche Opferzahl weitaus höher sein dürfte. Denn der Täter schüchterte die Frauen so stark ein, dass sie sich nur mit großer Überwindung der Polizei anvertrauten. "Wenn du zur Polizei gehst, finde ich dich", soll er ihnen gedroht haben.
Perverse Spielchen
Seine erste Tat verübte der Mann 1994 in Sprockhövel. Damals brachte er eine 12-Jährige auf ihrem Heimweg in seine Gewalt und verging sich an ihr. Durch die DNA-Spuren, die der Täter dabei hinterließ, konnte man ihn später mit weiteren Fällen in Verbindung bringen. Dass es sich um einen einzelnen Täter handelt, weiß die Polizei sicher.
Ab 1996 schlug der Mann, der von den Opfern als schlank, dunkelhaarig, ruhig und mit Ruhrgebietsmundart beschrieben wurde, auch in Bochum zu. Bis zu 20 Minuten hielt der Vergewaltiger manche seiner Opfer fest, spielte erniedrigende Machtspielchen mit ihnen, bestrafte und schikanierte sie.
Die seelischen Verletzungen, die die Frauen davontrugen, waren in manchen Fällen so gravierend, dass sie überhaupt keine Beziehungen mehr mit Männern eingehen konnten. Manche der Opfer leben heute nicht mehr, die Umstände ihrer Tode sind unklar.
Rätselhafte Unterbrechung
Weil er sich vorrangig Frauen im Umfeld der Ruhr-Universität als Opfer aussuchte und sie dort in Gebüsche und kleine Wälder zerrte, betitelte ihn die "Bild-Zeitung" als "Uni-Phantom".
Die meisten seiner Opfer waren zwischen 15 und 33 Jahre alt, allesamt schlank. Jahrelang bestimmte die Sorge vor dem Uni-Phantom den Heimweg von jungen Frauen. Wäldchen, Parkhäuser oder verlassene Bahnhaltestellen galten als No-Go-Area. Es gründeten sich Gruppen, die junge Frauen nach Hause begleiteten.
1997 hörten die Vergewaltigungen dann für rund drei Jahre auf. Warum, weiß nur der Täter. War er in einer Beziehung? War er beruflich im Ausland? War er krank? Im Jahr 2000 wurde er dann wieder aktiv und verübte bis 2002 fünf weitere Überfälle. Die Polizei setzte mit der "Ermittlungskommission Messer" alles daran, den Täter zu finden: Sie schickte Frauen als Lockvögel los und legte sich nachts selbst auf die Lauer. Dutzende Beamte waren an potenziellen Tatorten im Einsatz, mehr als 21.000 Spuren wurden überprüft.
Ungewöhnliche Ermittlungsmethoden
Bei einem Massenspeicheltest werteten die Ermittler mehr als 10.000 Proben aus, arbeiteten mit Wärmebildkameras und Bundeswehr-Sensoren. Selbst ein Profiler von Scotland Yard wurde zu Rate gezogen – erfolglos. Der Mann mit den auffallend "fleischig großen Händen", dem Igelhaarschnitt und dem starken Mundgeruch blieb unauffindbar. Auch eine Ausstrahlung bei "Aktenzeichen XY" brachte keine zielführenden Hinweise.
Dem Täter wurde sogar eine eigene Fahndungs-Webseite gewidmet – Anfang der 2000er-Jahre ein noch ziemlich ungewöhnliches Mittel. Die Phantombilder, die dort gezeigt wurden, wichen teilweise deutlich voneinander ab. Ein Detail war jedoch immer gleich: die kleinen, stechenden und eng zusammenstehenden Augen.
2002 brachen die Vergewaltigungen des Phantoms schließlich ganz ab. Lange suchte die Polizei nach einem Grund dafür, denn er hätte eine Fährte sein können. Ist der Täter noch am Leben? Ist er umgezogen oder krank? Lebt er seine Machtfantasien in anderer Form aus? Antworten darauf hat die Polizei keine gefunden.
Taten noch nicht alle verjährt
Einige Taten des "Uni-Phantoms" sind heute verjährt. Andere jedoch noch nicht. Dies ist auf Änderungen in den Jahren 2013 und 2015 bezüglich der Verjährung von Vergewaltigungen zurückzuführen. Die Verjährungsfrist für schwere Sexualstraftaten beträgt 20 Jahre. Sie beginnt jedoch nicht ab dem Zeitpunkt der Tat, sondern wenn das Opfer ein bestimmtes Lebensjahr vollendet hat.
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Ab dem 30. Juni 2013 wurde diese Ruhefrist auf das vollendete 21. Lebensjahr des Opfers ausgeweitet. Ab dem 27. Januar 2015 trat eine weitere Änderung in Kraft: Die Verjährung ruht dann bis zum vollendeten 30. Lebensjahr des Opfers. Diese Änderungen wirken auch rückwirkend, sofern die Tat zu den jeweiligen Zeitpunkten (2013 bzw. 2015) noch nicht verjährt war. Dies trifft unter anderem auf die erste Vergewaltigung im Jahr 1994 zu. Nach den neuen Richtlinien verjährt diese erst 2033.
Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels wurde berichtet, dass alle Taten des "Uni-Phantoms" verjährt sind. Stattdessen ist richtig, dass nur ein Teil der Taten verjährt ist. Die letzte Tat verjährt erst 2033. Dies ist auf zwei Gesetzesanpassungen 2023 und 2015 zurückzuführen.
Verwendete Quellen
- archive.org: Die Ermittlungskommission Messer: Die Jagd nach dem Vergewaltiger geht weiter
- deutschlandfunknova.de: Das Uniphantom von Bochum
- beauftragte-missbrauch.de: Schadensersatz und Entschädigung