Verbrecher, Gefängnisflüchtling und Popstar: Ronnie Biggs führte ein glamouröses Leben zwischen Showbusiness und Knast und wurde so zu einem der bekanntesten Verbrecher der Welt. Vor genau 60 Jahren gelang ihm die Flucht aus dem Gefängnis – auf äußerst klischeehafte Art und Weise.

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Sieht man sich nur die nackten Fakten an, war Ronnie Biggs fast zu beneiden. Er erbeutete beim "Great Train Robbery" im August 1963 die damals stattliche Summe von rund 150.000 Pfund (entspricht heute fast vier Millionen Euro), verbrachte den Großteil seines Lebens an der Seite einer brasilianischen Stripperin in Rio de Janeiro und war fast schon so etwas wie ein Popstar. Doch wie so oft sah es hinter der glamourösen Fassade anders aus.

Ronald Arthur Biggs wurde am 8. August 1929 in Lambeth geboren, einem Stadtbezirk von London. Schon früh hielt er sich mit kleineren Verbrechen über Wasser, seinen eigentlichen Beruf als Zimmermann übte er quasi nur nebenher aus.

So machte er schon früh Bekanntschaft mit dem Gefängnis, wo er auch einen gewissen Bruce Reynolds kennenlernte – der eine entscheidende Rolle bei dem Überfall auf den Postzug von Glasgow nach London am 8. August 1963 spielen sollte.

Der Überfall ging als "The Great Train Robbery" ("Der Große Zugraub") in die Geschichte ein und begründete den Ruf der Bande um Reynolds und Biggs als "Gentleman-Räuber". Von der Art, wie der Überfall ablief, kann der harmlos-elegante Spitzname allerdings nicht herrühren: Dem Lokführer Jack Mills zogen sie eine Eisenstange derart brutal über den Kopf, dass dieser sich von dem Schlag nie mehr wirklich erholte und bis zu seinem Krebstod wenige Jahre später an den Folgen litt.

Spektakuläre Flucht bis nach Brasilien

Was Ronnie Biggs am Ende zu einem der bekanntesten Verbrecher der Welt machte, war seine filmreife Flucht quer über den Erdball, an deren Ende er in Rio de Janeiro landete.

Nach dem Überfall wurden Biggs und die meisten seiner Komplizen zunächst geschnappt und 1964 zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt. Doch bereits ein Jahr später, am 8. Juli 1965, gelang Biggs die Flucht aus dem Wandsworth Prison – und zwar genau so, wie man es sich klischeehaft vorstellt: per Strickleiter über die Mauer und dann ab in einem Möbelwagen.

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Sodann ging es per Boot nach Brüssel, von da aus nach Paris, wo sich Biggs einer OP unterzog, um sein Aussehen zu verändern. Mit neuem Gesicht floh er weiter nach Australien, wo er mehrere Jahre relativ unbehelligt lebte. Dann allerdings kam ihm Interpol auf die Schliche, weshalb Biggs 1970 nach Brasilien übersetzte.

Ronnie Biggs: Vom Posträuber zur Pop-Ikone und Touristenattraktion

Seine spektakuläre Geschichte samt globaler Flucht war ohnehin schon weltbekannt, weswegen es auch Scotland Yard nicht verborgen blieb, dass sich Biggs mittlerweile in Rio aufhielt.

Fahndungsbild des Scotland Yard von Ronnie Biggs
Dieses Foto veröffentlichte Scotland Yard von Ronald Arthur Ronnie Biggs nach dessen Flucht am 8. Juli 1965. © imago images/United Archives International

1974 reist der Polizist Jack Slipper nach Brasilien, weil er hofft, den Posträuber im Zuge eines Interviews mit einer englischen Boulevard-Zeitung zu verhaften. Slipper trifft den verdutzten Biggs auch an, hat die Rechnung aber ohne die örtlichen Behörden gemacht. Brasilien weigert sich nämlich, Biggs auszuliefern, zumal dessen neue Lebensgefährtin, die Stripperin Raimunda de Castro, ein Kind von ihm erwartet. Unverrichteter Dinge muss Slipper wieder abreisen.

Jetzt beginnt also vermeintlich das süße Leben für Ronnie Biggs. Allerdings fehlt es ihm an etwas ganz Entscheidendem: dem nötigen Kleingeld. Zwar erbeutete die Diebesbande bei dem Raubüberfall insgesamt 2,6 Millionen Pfund (heute knapp 55 Millionen Euro). Doch Biggs bekam aufgrund seiner eher unwichtigen Rolle – er hatte einen Lokführer angeheuert, der den Zug nach dem Überfall in ein Versteck fahren sollte – "nur" rund 150.000 Pfund (heute vier Millionen Euro) ab.

Und so eine Flucht quer über den Globus ist auch nicht gerade billig. Wie also Geld verdienen?

Aufgrund seines Status als gesuchter Verbrecher konnte Biggs keiner normalen Arbeit nachgehen. Er machte stattdessen Werbung und bot sich selbst als Touristenattraktion an – und etablierte damit seinen Ruf als charmanter, im Grunde harmloser Verbrecher. Besucher konnten mit ihm in seinem Garten grillen, während er als Denkmal seiner selbst die Geschichte des größten Raubüberfalls des Jahrhunderts noch einmal aus erster Hand nacherzählte.

Auch das Showbusiness erlag dem Fall. Als flüchtiger Verbrecher, der der britischen Polizei getrotzt hatte, war er natürlich eine Ikone der Punkmusik. So nahmen die Sex Pistols mit ihm im Jahr 1978 zwei Songs auf, 1991 taten es ihnen die Toten Hosen gleich: Mit den Düsseldorfer Punks nahm er "Carnival in Rio (Punk Was)" auf.

Auch die Filmindustrie fand Gefallen an der spektakulären Geschichte. Bereits 1965 entstand der deutsche Dreiteiler "Die Gentlemen bitten zur Kasse" mit dem späteren "Kommissar Derrick" Horst Tappert in einer der Hauptrollen. In Biggs' Heimatland war der Raubüberfall die Vorlage zu "Buster" (1988) mit Phil Collins als Ronald Buster Edwards, einem anderen Mitglied der Diebesbande. Ronnie Biggs (dargestellt vom relativ unbekannten Schauspieler Ralph Brown) kam in dem Film nur eine Nebenrolle zu – wie bei dem echten Verbrechen ja auch.

Am Ende wartete doch noch das Gefängnis

Im Jahr 2001 war Biggs' Flucht schließlich vorbei. Aus gesundheitlichen Gründen kehrte der mittlerweile 71-Jährige nach Großbritannien zurück – aber auch, um endlich mal wieder in ein Pub gehen und ein Bier trinken zu können, wie sein Sohn damals wissen ließ.

In diesen Genuss kam Biggs jedoch nicht, sondern wurde sofort bei seiner Ankunft am 7. Mai 2001 verhaftet. Acht Jahre lang saß der Posträuber im Gefängnis, bevor er im August 2009 wegen seines schlechten gesundheitlichen Zustands begnadigt wurde.

Am 18. Dezember 2013 starb der wohl berühmteste Verbrecher des Jahrhunderts nach mehreren Schlaganfällen und Herzproblemen in seiner Heimatstadt London im Alter von 84 Jahren. Er lebte ein spektakuläres Leben, das nach außen hin glamouröser erschien, als es war. Er selbst sagte einst: "Es war sicher nicht einfach die ganzen Jahre lang. Sogar in Brasilien war ich ein Gefangener. Es ist absolut keine Ehre, als der Große Zugräuber bekannt zu sein. Ich habe mein Leben verschwendet."

Redaktioneller Hinweis

  • Dieser zuletzt im Juli 2015 veröffentlichte Artikel wurde aus aktuellem Anlass überarbeitet und aktualisiert.