Erst im April wurde ein 18-Jähriger wegen IS-Terrorplänen verurteilt – doch nur einen Tag nach seiner Haftentlassung machte er mit Propaganda weiter. Nun musste sich der junge Mann in Wien erneut vor Gericht verantworten.

Jener 18-Jährige, der sich am 11. September 2023 im Namen der Terror-Miliz "Islamischer Staat" (IS) mit einem Kampfmesser zum Wiener Hauptbahnhof begeben hatte, um am Bahnhofsgelände auf Passanten einzustechen, ist am Dienstag zum zweiten Mal vom Wiener Landesgericht zur Verantwortung gezogen worden. Der Bursch, der sich unmittelbar nach seiner Enthaftung im Mai 2024 erneut für den IS betätigt hatte, wurde zu zwei Jahren unbedingter Haft verurteilt.

Das Urteil wegen terroristischer Vereinigung und krimineller Organisation ist nicht rechtskräftig. Der Angeklagte akzeptierte die Entscheidung, der Staatsanwalt meldete allerdings Strafberufung an. Bei einer Strafdrohung von bis zu fünf Jahren erschien ihm die verhängte Sanktion nicht ausreichend. Außerdem legte der Staatsanwalt Beschwerde dagegen ein, dass das Schöffengericht hinsichtlich des letztjährigen Urteils vom Widerruf des zur Bewährung ausgesetzten Strafteils von 16 Monaten absah und lediglich die Probezeit auf fünf Jahre verlängerte.

Nach seiner Verurteilung im April 2024 zu zwei Jahren teilbedingter Haft hatte sich der 18-Jährige erneut als IS-Propagandist betätigt, als er auf freien Fuß kam. Dabei hatte das Gericht dem Burschen, der im letzten Moment seine Anschlagsabsichten nicht umgesetzt und den Hauptbahnhof unverrichteter Dinge verlassen hatte, die Weisungen erteilt, sich einem Deradikalisierungsprogramm zu unterziehen und seine Psychotherapie fortzusetzen. Gefruchtet hatte beides offensichtlich nichts. "Man hat sehr viel Geld und Kapazitäten investiert, um ihn aus diesem Setting herauszuholen. Am Ende des Tages war es völlig wirkungslos, muss man leider sagen", hielt dazu nun der Staatsanwalt fest.

Einen Tag nach Enthaftung bereits wieder IS-Propaganda betrieben

Der Angeklagte wurde nach seiner ersten Verurteilung nach Verbüßung des unbedingten Strafteils von acht Monaten unter Anrechnung der U-Haft am 10. Mai 2024 aus dem Gefängnis entlassen. Laut nunmehriger Anklage begann er bereits am nächsten Tag (sic!) neuerlich mit der Verbreitung von IS-Propagandamaterial. Er habe es darauf angelegt, Gesinnungsgenossen zu bestärken und neue Mitglieder anzuwerben, bemerkte der Staatsanwalt. Im November erlangten deutsche Verfassungsschützer von den Umtrieben des nicht geläuterten IS-Anhängers Kenntnis und informierten die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendiensts (DSN). Der damals noch 17-Jährige wurde fest- und in weiterer Folge in U-Haft genommen.

Vor einem Schöffensenat bekannte sich der inzwischen 18-Jährige schuldig und legte ein umfassendes Geständnis ab. "Wenn er nicht mehr mit einem Messer zum Hauptbahnhof marschiert, um dort Leute abzustechen, sondern Nasheeds (religiöse Sprechgesänge, Anm.) verschickt, dann zeigt das eine weit geringere kriminelle Intensität", sagte sein Verteidiger Rudolf Mayer. Der Angeklagte selbst beantwortete keine Fragen. Er machte von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch.

Für Staatsanwalt "ein gewisser Spezialfall"

Der Staatsanwalt bezeichnete den 18-Jährigen als "einen gewissen Spezialfall". Dieser sei zwar vor knapp zwei Jahren von seinen Anschlagsplänen am Hauptbahnhof "von sich aus strafbefreiend zurückgetreten", habe aber bis zu seiner neuerlichen Festnahme ungeachtet aller Bemühungen seitens des Staates dem Gedankengut des IS nicht abgeschworen und über soziale Medien "martialische Videos von Hinrichtungen von Geiseln des IS" und Nasheeds verbreitet. Mit dieser Propaganda hätte er "andere im Sinn des IS bestärkt" und darauf abgezielt, Jugendliche für den IS anzuwerben.

Aus Sicht des Verteidigers verfing bei seinem Mandanten die "Propagandamaschine" des IS. Diese erfülle "Jugendliche, die unsicher sind und sich ausgeschlossen fühlen, mit Leben", sagte Mayer. Sein Mandant sei gemobbt worden, mit seiner Hinwendung zu Allah habe er "etwas gegolten" und bei Gleichgesinnten Anerkennung erfahren. Er sei mit dem Gedankengut des IS infiziert worden: "Er ist noch nicht ganz abgeschwächt und geheilt von der Infektion." Der 18-Jährige sei aber nicht "extrem gefährlich".

"Soziale Isolation" und "Beschäftigungslosigkeit" bewirkten neue Hinwendung zum IS

Wie sich aus den Berichten der Bewährungshilfe und der Jugendgerichtshilfe ergab, die am Ende der Verhandlung verlesen wurden, war der damals 17-Jährige nach seiner Haftentlassung im Frühjahr 2024 in einer WG untergekommen, die ihm ein Verein zur Verfügung stellte, der sich um die Resozialisierung von Straffälligen kümmert. Dort habe sich der Bursch "wie im Gefängnis" gefühlt, weil er die WG täglich nur eine Stunde verlassen durfte. Er habe sich gelangweilt und mit seinem Handy beschäftigt, wobei er auf Propagandamaterial des IS stieß. Dieses Thema habe ihn "nicht losgelassen". Seine neuerliche extremistische Betätigung sei auf "soziale Isolation und Beschäftigungslosigkeit" zurückzuführen.

Mobbing-Erfahrungen in der Justizanstalt

In der Justizanstalt (JA) Josefstadt verbringt der 18-Jährige seine U-Haft auf der Erwachsenenabteilung. Auf der Jugendabteilung machte er nämlich Mobbing-Erfahrungen. Dort seien "so viele IS-Fans. Ich gehöre nicht zu den Harten, daher werde ich immer geschlagen", berichtete er einem Betreuer, worauf er intern verlegt wurde. Auf der Erwachsenenabteilung dürfte sich der 18-Jährige gut eingefügt haben. Es gibt keine Berichte über Ordnungswidrigkeiten.

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Wie der Bursch der Jugendgerichtshilfe mitteilte, erlebe er im Gefängnis "die Hinwendung zur Religion" positiv. Er betet demnach regelmäßig, lebe den Islam jetzt aber "normal" und wolle mit dem IS nichts mehr zu tun haben, betonte er in den Gesprächen mit der Jugendgerichtshilfe. Bei einer Begutachtung im Zuge des Deradikalisierungsprogramms, dem der 18-Jährige weiter unterzogen wird, trat allerdings zutage, dass bei der Risikoerkennung von 13 möglichen sogenannten Red Flags immerhin noch sechs Faktoren vorliegen, die darauf hindeuten, dass von dem jungen Mann eine potenzielle Gefahr ausgehen könnte.

Darauf angesprochen, betonte Verteidiger Mayer nach der Verhandlung, sein Mandant sei in dem knappen halben Jahr, das er im Vorjahr in Freiheit verbrachte, "auch für westliche Werte und Vorstellungen" empfänglich gewesen. So habe der junge Mann etwa ein Laufhaus aufgesucht, meinte Mayer gegenüber der APA. (APA/bearbeitet von skr)