Kanzler Merz hat viel angekündigt, doch bei der so dringend benötigten Pflegereform werden Betroffene schon jetzt unruhig: Alles dauere viel zu lange.

Ein Interview

Die Pflege ist ein großes Thema in Deutschland. Die Menschen werden älter, also sind mehr auf Pflege angewiesen. Dabei wird diese immer teuer, die Kosten sind für viele kaum mehr zu stemmen. Das sorgt für Kopfschütteln und beim Blick auf die Rechnung oft genug für blankes Entsetzen.

Die neue Bund-Länder-Arbeitsgruppe "Zukunftspakt Pflege" der Bundesregierung diskutiert seit Juli neue Vorschläge für eine kommende Reform der Pflegeversicherung. Was daran so frustrierend ist, erklärt Micaela Schwanenberg von der Verbraucherzentrale Sachsen im Interview.

Was ist am Thema Pflegereform so ärgerlich?

Micaela Schwanenberg: Dass es ein Problem mit Ansage ist. Man weiß um die Probleme in der Pflege schon ewig – und trotzdem ist nichts passiert. Seit vielen Jahren liegen gute Vorschläge auf dem Tisch, seit vielen Jahren wird diskutiert. Jetzt wurde schon wieder eine neue Arbeitsgruppe eingerichtet - es wird wieder nur geredet! Deswegen stehen wir als Verbraucherzentrale ihr kritisch gegenüber. Jetzt muss gehandelt werden.

"Wir erwarten eine Lösung, einen klaren Weg."

Micaela Schwanenberg, Verbraucherzentrale Sachsen

Was erwarten Sie von der Bundesregierung um Friedrich Merz?

Wir erwarten eine Lösung, einen klaren Weg. Deutschland braucht das. Von der Arbeitsgruppe erwarten wir, dass sie mit Mut agiert, dass am Ende eine Reform steht. Doch wieder einmal werden Leistungserbringer, Leistungsträger und vor allem die Betroffenen in dieser Arbeitsgruppe zu wenig einbezogen. Aber genau die wissen ja, was wichtig ist. Man hat immer das Gefühl, dass jede Regierung nur auf ihre eigene Legislaturperiode schaut. Alle haben dieses heißes Eisen schon angefasst, aber nur minimal etwas daran geändert.

Und warum ist eine grundlegende Pflegereform so bitter nötig?

Die Herausforderungen, vor denen die Pflege und damit die gesetzliche Pflegeversicherung in Deutschland steht, sind riesengroß. Die Betroffenheit in der Bevölkerung ist extrem hoch und steigend. Denn die Demografie spricht eine eindeutige Sprache: Wir werden immer älter und leben länger. Gleichzeitig sind Ältere vulnerabel. Aber aufgrund der niedrigen Geburtenraten drängen per se weniger Menschen auf den Arbeitsmarkt.

Wen betrifft denn das Thema Pflege?

Natürlich geht es hier vor allem um die ältere Bevölkerung. Aber man darf nicht übersehen, dass auch junge Menschen und Kinder durch Unfall oder Krankheit bereits mit dem Thema konfrontiert werden können. Folglich müssen dann deren Angehörige wie Eltern und Geschwister helfen.

Was müssen die Hauptpunkte der Reform sein?

Die pflegenden Angehörigen sind ja die Säulen des Systems, sie baden den Pflegenotstand aus. Denn 85 Prozent aller Pflegebedürftigen werden daheim gepflegt. Also muss man hier ansetzen. Hier müssen viele – auch kleine, aber wichtige – Bedingungen geändert werden: Sehr viele Betroffene wissen zum Beispiel gar nicht, ob und welche Leistungen sie überhaupt in Anspruch nehmen können. Oder sie kennen sie erst gar nicht. Sie wissen nichts von einer Kurzzeitpflege oder Verhinderungspflege. Oder sie wissen nicht, wie und wo solch ein Antrag zu stellen ist. Für gesetzlich Versicherte wäre das die Pflegekasse.

"Pflegende brauchen auch einfach mal nur einen stundenweisen Ersatz."

Micaela Schwanenberg, Verbraucherzentrale Sachsen

Was also würden Sie der Regierung empfehlen?

Hinhören. Es müssen die betroffenen Verbände wie die Verbraucherschutzverbände und die Leistungsanbieter, also Betreiber von Einrichtungen, angehört werden. Sie kennen die Lösungswege durch ihre Praxis. Zudem muss dieses neue Leistungspaket transparent gemacht werden. Nur so wissen die Behörden und damit die Angehörigen, was ihnen zusteht, an wen sie sich wenden müssen. Und es muss unkompliziert sein, eine Leistung zu beantragen.

Wie kann man den Angehörigen noch helfen?

Pflegesachleistungen und das Pflegegeld muss deutlich erhört werden. Kurzzeitpflege- und Verhinderungsangebote müssen besser werden. Werden pflegende Angehörige selbst krank oder müssen in eine Reha, was oft der Fall ist, dann muss es Hilfe geben. Doch viele können nicht gehen, weil sie niemanden finden, der die Pflege übernimmt. Und sie brauchen auch einfach mal nur einen stundenweisen Ersatz, wenn sie einfache, alltägliche Termine wahrnehmen müssen wie Zahnarzt, Vorsorge, Friseur. Dieser Ersatz muss flexibel und schnell einsetzbar sein. Das müsste etabliert werden über Nachbarschaftshilfen oder Haushaltshilfen.

Aber sind denn pflegende Angehörige die einzige Lösung für das System?

Ohne diese Personen wird es niemals funktionieren. Aber es müssen natürlich auch Angebote geschaffen werden für Menschen, die Angehörige nicht pflegen können – aus welchen Gründen auch immer. Oder wenn die Pflege daheim nicht mehr ausreicht. Dann braucht es Fachkräfte. Es muss also in jede Richtung gedacht werden. Viele Betroffene aber wollen daheim bleiben, so lange es geht. Und sehr viele Angehörige wollen pflegen – mit externer Hilfe.

"Die ambulante Pflege daheim ist die kostengünstigste Variante für die Pflegekasse."

Micaela Schwanenberg, Verbraucherzentrale Sachsen

Ist diese Entwicklung gut für den Staat?

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Im Prinzip schon, denn die ambulante Pflege daheim ist auch die kostengünstigste Variante für die Pflegekasse. Aber der Angehörige ist ja auch eine Person. Er hat seine Bedürfnisse, gibt seine Erwerbstätigkeit auf oder muss zumindest reduzieren. Er ordnet dieser Pflegesituation sein komplettes Leben unter. Die Folgen sind klar: Er hat Einkommenseinbußen und damit später auch weniger Rente. Derzeit ist das schlecht geregelt, denn als Pflegezeit gibt es nur festgelegte Zeiträume. Außerdem ist der finanzielle Ausgleich nicht adäquat.

Wer pflegt denn am meisten?

Tatsächlich schlägt hier wieder der "Gender-Gap" zu: Frauen, die größtenteils eh schon weniger arbeiten wegen der Familie beziehungsweise der Kinder, übernehmen oft noch zusätzlich die Pflege der Angehörigen. So verstärkt sich die Spirale: Noch weniger arbeiten bedeutet noch weniger Rente: Altersarmut droht.

Über die Gesprächspartnerin

  • Micaela Schwanenberg ist Rechts-Referentin in der Landesgeschäftsstelle der Verbraucherzentrale Sachsen.