Seit Ende 2023 regiert Javier Milei in Argentinien und hat dem Land eine wirtschaftliche Schocktherapie verpasst. Die erfolgreichen Wirtschaftsdaten zu Inflation, Armutsquote und Staatshaushalt sprechen für die Rezepte des Radikalreformers. Hat Milei mit seinem Wirtschaftsliberalismus und seiner "Kettensägen"-Politik doch recht gehabt? Ein Experte ordnet die Lage ein.
Er ist als "der Mann mit der Kettensäge" international bekannt geworden. Und
Lange gab es Zweifel, ob seine "Schocktherapie" wirken würde. Doch die Wirtschaftsdaten sprechen für ihn. Die Inflation ist auf ein Allzeit-Tief gesunken. Lag sie im April 2024 noch bei über 290 Prozent, ist sie zuletzt auf unter 40 Prozent gesunken.
Armutsquote fast halbiert
Auch andere Wirtschaftsdaten sprechen für den Kurs des Radikalreformers, der vor allem mit Notstandsdekreten regiert. Der Peso wurde stark aufgewertet, die Importe stark verbilligt, der Dollar-Kurs hat sich stabilisiert. Beobachter rechnen mit einem Überschuss im Staatshaushalt sowie einem Wirtschaftswachstum von rund fünf Prozent – das ist eine Liga mit China und Indien.
Zum Vergleich: In Deutschland gehen Ökonomen von einer Stagnation des Wirtschaftswachstums aus. Gleichzeitig ist die Armutsrate in Argentinien seit Mileis Amtsantritt von 53 auf 31,6 Prozent gesunken.
Milei hat das Land radikal umgebaut
Gibt Milei sein Politikstil also recht? Lateinamerika-Experte Günther Maihold ist skeptisch. "Verzerrungen der makroökonomischen Rahmendaten, die das Land seit Jahrzehnten kennzeichneten, befinden sich nun wieder auf einem berechenbaren Pfad", sagt er. Das gelte für die galoppierende Inflation und den Ausgleich in den Staatsfinanzen.
Es handele sich aber eher um ein klassisches Strukturanpassungsprogramm, das Fehlentwicklungen bremse – jedoch noch keine neue Basis für nachhaltiges Wachstum gelegt habe.
Denn die Reformen von Milei hatten einen Preis. Er hat 50.000 Staatsbedienstete entlassen, die Hälfte der Ministerien aufgelöst und massiv Gelder für Bildung, Kultur und Gesundheit gekürzt. Infrastrukturprojekte hat er gestoppt.
Es gibt auch eine Kehrseite der Medaille
Maihold warnt davor, nur auf Dollar-Kurs und Inflationsrate zu blicken. Das Beschäftigungsniveau sei gesunken – die massenhaften Entlassungen hätten viele öffentlich Beschäftigte in den informellen Sektor und die Arbeitslosigkeit gedrängt.
"Wenn staatliche Diest- und Finanzleistungen, zum Beispiel im Gesundheits- und Rentensystem, deutlich reduziert werden, dann fallen Teile der Bevölkerung aus dem 'System heraus'", so der Experte. Staatliche Subventionen für den ÖPNV seien abgeschafft worden, was breite Kreise der Bevölkerung betreffe. Die mangelhafte Infrastruktur – mit löchrigen Straßen, unregelmäßig fahrenden Zügen und schlecht erschlossenen Gebieten – sei ein großes Problem.
Betroffen seien große Teile der Bevölkerung auch von der Befreiung des Immobilienmarktes von seinen Fesseln. "Das hat zu einem deutlichen Anstieg bei den Mietpreisen geführt", sagt der Experte.
Fragen bleiben offen
Milei habe somit zwar Teilerfolge erzielt, doch es blieben noch Fragen offen. Etwa, wie ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht sowie ein stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum gesichert werden können. Großen Reformbedarf sehen Beobachter beispielsweise noch im komplexen Steuersystem und im argentinischen Rentensystem, das zum Beispiel Frühverrentungen bei vollen Bezügen für manche Berufsgruppen ermöglicht.
Noch immer ist Argentinien der größte Schuldner beim Internationalen Währungsfonds – eine riesige Herausforderung, die bleibt. Manche seiner Reformen, etwa im Arbeitsrecht, konnte Milei bislang noch nicht umsetzen, weil ihm die politischen Mehrheiten fehlen.
Kongresswahlen könnten Mileis politische Karriere beenden
Ende Oktober stehen in Argentinien nationale Kongresswahlen an. Bei den Zwischenwahlen werden die Hälfte der Abgeordneten und ein Drittel der Senatoren gewählt. Milei hat dann die Chance, seine bisher kleine parlamentarische Machtbasis auszubauen. Bislang stellt seine Partei "La Libertad Avanza" nur rund zehn Prozent der Senatoren und rund 15 Prozent der Abgeordneten auf Bundesebene.
2023 war Milei mit 56 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt worden. Verliert seine Partei nun spürbar an Zustimmung, muss er fürchten, in Zukunft nicht mehr mit Notstandsdekreten regieren zu können. Die Opposition könnte das Gesetz, auf dem sein wichtiges politisches Werkzeug beruht, abschaffen.
Korruptionsskandal um Schwester
Überhaupt nicht gelegen kommt ihm da ein Korruptionsskandal um seine Schwester Karina, der Schmiergeldzahlungen vorgeworfen werden. Sie gilt als seine wichtigste Vertraute und ist Chefin der Partei "La Libertad Avanza".
"Mileis Image als 'Saubermann' gegen die Korruption der Vorgängerregierungen und des Vorgehens gegen die 'Kaste' hat erkennbar gelitten", sagt auch Maihold. Aber die Stabilität, die Milei mit seinen Maßnahmen erreichen konnte, überzeuge nach wie vor einen großen Teil der Bevölkerung.
Keine Rezepte für Deutschland
Übertragbar auf Deutschland sind die argentinischen Wirtschaftserfolge aus Sicht von Experte Maihold nicht. "Versuche zur Anwendung von Mileis Rezepten auf den deutschen Kontext müssen ins Leere laufen, da hier mit dem Ineinandergreifen von Markt und Staat ein anderes Steuerungsmodell vorhanden ist", sagt er. In Deutschland würden außerdem viele Regeln zum Haushalt durch die EU vorgegeben.
Allerdings könnte Mileis spaltender Kulturkampf, der parallel zu seinen Wirtschaftsreformen läuft, eine Warnung sein: Er hetzt gegen Journalisten, Migranten und Homosexuelle, er leugnet den Klimawandel und legt sein Veto gegen einen höheren Schutz für Menschen mit Behinderung ein.
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Gleichzeitig kritisiert er multilaterale Organisationen aufgrund ihrer angeblichen "sozialistischen Agenda" scharf. Eigentlich könnte der studierte Ökonom wissen: Aussagen, die Zweifel am internationalen Verantwortungsbewusstsein seines Landes aufkommen lassen, schrecken auch ausländische Investoren ab.
Über den Gesprächspartner
Prof. Dr. Günther Maihold ist Politikwissenschaftler und lehrt am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin.
Verwendete Quellen
- tradingeconomics.com: Argentinien Inflationsrate