Am 28. September muss die proeuropäische Regierungspartei PAS in der Republik Moldau um ihre absolute Mehrheit bangen. Russland will die Wahl beeinflussen und das Land in seinen Orbit ziehen.
An einer roten Ampel kommt ein Porsche neben einem Lada zum Stehen. Über den Autos wehen die Flaggen der Republik Moldau und der Europäischen Union. Überall in der Hauptstadt Chișinău sind die blauen Fahnen mit den gelben Sternen zu sehen. Sie schmücken die Straßen und Regierungsgebäude. Die Farben leuchten zwischen blassem Beton, Glas und Stahl, wirken erfrischend inmitten des bröckelnden Putzes der Gebäude sowjetischer Bauart.
In den Cafés unterhalten sich die Menschen auf Russisch oder Rumänisch. In den Läden gibt es Blusen aus weißer Baumwolle, verziert mit traditionellen Stickereien. Wenige Meter weiter schmücken russische Matrjoschkas das Schaufenster.
Zwischen den breiten Boulevards, Denkmälern und Parkanlagen blitzt nur gelegentlich ein Plakat oder ein Infostand einer Partei auf. Von einem Wahlkampf ist in der Stadt bisher nicht viel zu spüren. Dabei steht Moldau am 28. September mit der Parlamentswahl eine große Entscheidung bevor.
Derzeit besitzt die proeuropäische, sozialliberale Partidul Acțiune și Solidaritate (PAS, auf Deutsch: Partei der Aktion und Solidarität) die Mehrheit im Parlament. Seit 2020 ist PAS-Politikerin Maia Sandu Präsidentin der Republik Moldau. Vergangenes Jahr wurde sie mit rund 55 Prozent der Stimmen wiedergewählt.
Das landesweite Referendum darüber, das Ziel eines EU-Beitritts in der Verfassung zu verankern, erhielt eine hauchdünne Mehrheit von 50,35 Prozent. Ohne die moldauische Diaspora, also im Ausland lebende Moldauer, wäre es wohl anders ausgegangen. Seit Juni 2022 ist Moldau EU‑Beitrittskandidat.
Die Partei PAS will Moldau in die EU steuern – Russland will das verhindern
Zeit zum Durchatmen bleibt Sandu und ihrer Partei PAS nicht. Verlieren sie bei den bevorstehenden Parlamentswahlen die absolute Mehrheit, werden sie ihre Reformen und Ziele nicht durchsetzen können. Ihr größtes Vorhaben: Moldau bis 2028 in die EU führen. Für eine Koalition fehlt es der PAS an potenziellen Partnern.
Die Parteienlandschaft besteht überwiegend aus prorussischen Kräften, von denen die meisten jegliche Annäherung an die EU vehement ablehnen. Wer genau von ihnen unter direktem Einfluss des Kremls steht, ist schwer nachweisbar. Auf alle Fälle ist die PAS mit ihren Ansichten im Land isoliert.
"Sollten wir nicht die Mehrheit erlangen, gerät Moldau unter Kontrolle Russlands", sagt das PAS-Wahlkampfteam im Gespräch mit einer Gruppe deutschsprachiger Journalisten. Auch unsere Redaktion reist mit der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in das Land, um sich mit Entscheidungsträgern und Experten auszutauschen.
In dem Büro der PAS in Chișinău steht groß an der Wand geschrieben: EU, Frieden, Entwicklung. Sie erklären, dass circa jeweils 42 Prozent der Wähler prorussisch oder proeuropäisch seien. Was bleibt, sind jene Wähler in der Mitte, die rund 20 Prozent, die man mit anderen Themen von sich überzeugen will.
Die PAS habe in die Infrastruktur investiert, die Menschen finanziell unterstützt und versucht, mit dem korrupten Justizsystem aufzuräumen, aber das braucht Zeit. Damals hatte die Partei viel versprochen und die Menschen erwarten schnelle und größere Ergebnisse.
Die Herausforderungen für die Menschen sind in dem völlig verarmten Agrarland enorm: Inflation seit dem Ukraine-Krieg, kaum Wirtschaftswachstum, Mangel an Arbeitskräften, Korruption, die Angst, Russland könnte über das Nachbarland Ukraine auch die kleine Republik Moldau einnehmen, die rund 6.000 Soldaten und nicht einen einzigen Panzer besitzt. Und dann gibt es noch das abtrünnige Transnistrien und die autonome russischsprachige Region Gagausien, die sich Moskau zuwenden und eine Kluft zu Chișinău bilden.
Russlands Hebel in Moldau: Transnistrien und Gagausien
1991 erlangte die Republik Moldau nach dem Zerfall der Sowjetunion die Unabhängigkeit. Im Osten des Landes, an der Grenze zur Ukraine, erklärte sich ein Jahr später Transnistrien für unabhängig. Es hat eine eigene Grenz- und Sicherheitsverwaltung und Regierung, ist aber wirtschaftlich sowie militärisch von Russland abhängig. Bislang wurde die de-facto-Regierung diplomatisch von keinem anderen Staat anerkannt.
Von den Parlamentswahlen ist die Region ausgeschlossen, dennoch ist sie für Moskau ein wichtiger Hebel, um das Land zu beeinflussen. Allein die noch dort stationierten 1.500 russischen Soldaten sieht Chișinău als ständige Bedrohung an. Sogenannte Friedenstruppen, bestehend aus Männern aus Transnistrien in russischer Uniform mit russischem Pass. Dazu befindet sich bei Cobasna das umfangreichste Waffenlager Osteuropas noch aus Sowjetzeiten.
Im Süden Moldaus gibt es seit 1994 die autonome Region Gagausien. Dort lebt mehrheitlich die turksprachige Volksgruppe, die während der Sowjetzeit russifiziert wurde. Zu den knapp 160.000 Einwohnern gehören auch Russen, Moldauer, Bulgaren und Ukrainer. Gagausien verfügt über weitreichende Autonomie, drei Amtssprachen und ein eigenes Parlament. Beim Referendum sprachen sich 95 Prozent gegen die EU aus.
Mit Blick auf die Parlamentswahlen kommt die Frage auf, ob es überhaupt einen Weg zur Einheit gibt, an dem die Zentralregierung in Chișinău festhält. Seit der Unabhängigkeit des Landes spürt Russland diese Risse in der moldauischen Gesellschaft auf und weiß sie zu nutzen, um das Land zu destabilisieren. Allein anhand der Sprache ist die Kluft erkennbar. In der Hauptstadt gilt Rumänisch als Amtssprache, in Gagausien dominiert Russisch den Alltag, wodurch Kreml-Propaganda auf fruchtbaren Boden trifft – besonders in Zeiten von Wahlen.
Moldau-Wahlen: Flut an russischer Desinformation führt zum Burnout
"In der Moldau fluten tausende von Operationen täglich Social Media", sagt der moldauische Politikexperte Valeriu Pașa bei Kaffee und getrockneten Pflaumen im Büro der KAS. Er ist Senior Analyst und Gründer der zivilgesellschaftlichen Denkfabrik WatchDog.MD, die sich mit russischer Propaganda befasst.
Der Kreml verbreitet bis zu hundert verschiedene Narrative, die Pașa auf einen Satz herunterbricht: "Russland ist gut und alle anderen, vor allem der Westen, sind böse." Seit dem russischen Großangriff auf die Ukraine konnte sein kleines Team die gigantische Flut an Desinformation nicht mehr bewältigen. 2024 erlitten Mitarbeiter einen Burnout und brauchten psychologische Unterstützung. Diese Inhalte, wie er sagt, sind ermüdend und führen zu Angstzuständen.
"Es ist nicht nur Desinformation, sondern gezielte Manipulation, um das Land dauerhaft zu schwächen, es nicht zur Ruhe kommen zu lassen, damit eine Debatte entsteht, wer wir sind und wohin wir gemeinsam hinsteuern wollen", sagt die ehemalige Innenministerin der Republik, Ana Revenco. Heute ist sie Direktorin des Zentrums für strategische Kommunikation und Bekämpfung von Desinformation. Ihrer Ansicht nach sehnen sich die Bürger nach Stabilität und Sicherheit. Russland präsentiert sich als "Partner", der genau das angeblich bietet.
Gerade ältere Menschen verspüren eine prorussische Nostalgie und glauben diesen Versprechen. Viele können zudem mit Demokratie nicht viel anfangen, weil sie es nie gelernt haben, und anderen gehe es ums Geld. Denn davon schwemme Russland viel in das verarmte 2,5-Millionen-Einwohner-Land, um sich Wahlstimmen zu erkaufen.
Wenn es um russische Einflussnahme in der Moldau geht, kommt man an Ilan Schor nicht vorbei. Der moldauische Politiker und Oligarch stahl rund eine Milliarde US-Dollar aus dem Bankensystem der Republik Moldau und entkam der Justiz, indem er zunächst nach Israel und später nach Russland floh. Im April 2023 wurde die in seiner Abwesenheit verhängte Gefängnisstrafe von ursprünglich siebeneinhalb auf 15 Jahre erhöht, kurz darauf wurde auch die nach ihm benannte Partei für verfassungswidrig erklärt. Heute mischt er sich von Moskau aus ein.
"Die Schor-Leute sind organisierte Verbrecher, die auch morden. Russische Mafia", heißt es im Gespräch mit Personen aus Regierungskreisen. Es gebe nochmals eine große Kluft zwischen Schor und anderen prorussischen Politikern, wie etwa dem amtierenden Bürgermeister von Chișinău, Ion Ceban von der Partei Mișcarea Alternativa Națională (MAN).
Er sei dem Kreml zugewandt, kenne aber die roten Linien, damit er nicht im Exil in Russland lande. Pașa von WatchDog.MD sieht das anders. Aufgrund der Statements und der Haltung von Ceban bezeichnet er ihn als ein trojanisches Pferd Russlands.
Moldau: Bei einer Rente von rund 100 Euro kauft sich Russland die Wähler
Wo sich die Experten einig sind: Die Leute des kremltreuen Schors schrecken vor nichts zurück. Mittlerweile haben sie ein Schneeballsystem im ganzen Land aufgebaut, um Stimmen zu kaufen. Vor allem in Gagausien sind sie damit erfolgreich.
In dem autonomen Gebiet liegt die Durchschnittsrente bei etwa 100 Euro. Schor, der Einfluss auf die Politiker vor Ort ausübt, soll veranlasst haben, dass die Bürger monatlich ein "Hilfspaket" von 100 Euro ausgezahlt bekommen. Was unter moldauischem Gesetz als Wahlbetrug gilt.
"Schor investiert Geld in Menschen und muss nur mit dem Finger auf jemanden zeigen, damit sie diese Person wählen – ganz gleich, ob sie prorussisch oder proeuropäisch ist", sagt Alexandr Tarnavschi, Abgeordneter der Volksversammlung von Gagausien (PAG). Lässig lehnt er sich mit dem Rücken gegen den Schreibtisch in einem der Büros des Regierungsgebäudes in Comrat, der Hauptstadt der autonomen Region Gagausien. Tarnavschi ist einer der wenigen gagausischen Politiker, die Schors Einflussnahme offen kritisieren.
Seiner Meinung nach ist der moldauische Oligarch in ein armes Land gekommen, um sich mit kleinen Beträgen Wahlstimmen und damit die Demokratie zu erkaufen. Es sei eine Gefahr für das ganze Land, warnt er. Antworten darauf, wie Chișinău konkret gegen diesen Stimmenkauf vorgeht, fallen bei allen Gesprächspartnern schwammig aus.
Was bekannt ist: Personen, die das illegale Geld von den gagausischen Behörden annehmen, drohen bis zu 2.000 Euro Strafe. "Gagausen werden zu Söldnern in einem hybriden Krieg, bezahlt, um Hass gegen Sandu auf Social Media zu schüren, Proteste zu halten und für ihre Loyalität bei Wahlen", klagt Tarnavschi.
Eine Undercover-Recherche der unabhängigen Zeitung "Ziarul de Garda" deckte vor der Präsidentschaftswahl 2024 auf, wie ausgefeilt und komplex der Stimmenkauf verläuft. Der Zeitung gelang es, in Schors Netzwerk einzudringen. Drei Monate lang hat sie mithilfe einer versteckten Kamera dokumentiert, wie Geld zirkuliert und wie Menschen rekrutiert und dazu verleitet werden, für Moskau zu arbeiten.
Im Austausch mit unabhängigen Journalisten in der Moldau äußern sie, dass sie sich bedroht fühlen. Eine Person, die investigativ für "Ziarul de Garda" arbeitet, spricht von Hassnachrichten und Drohungen wie: "Wir köpfen dich", "Wir hacken deine Hand ab". Die Polizei sei mit den digitalen Anfeindungen überfordert, erklären die Medienschaffenden bei einem gemeinsamen Essen in Chișinău. Doch ans Aufgeben denken sie nicht. Die Flut an Desinformation beschreiben sie als gigantisch. Gerade jetzt sei ihre Arbeit wichtig.
Mit Blick auf die Parlamentswahlen sind sich alle Gesprächspartner einig: Russland wird sich durch Desinformation und Stimmenkauf einmischen. Dabei nutzt der Kreml seinen Einfluss in Gagausien und Transnistrien. Für die Präsidentschaftswahlen 2024 habe Russland mehr als 150 Millionen Euro in die Einflussnahme investiert, heißt es aus mehreren Quellen. Wie viel der Kreml in die Parlamentswahl stecken wird, zeige sich erst nach dem 28. September.
Empfehlungen der Redaktion
Für die ehemalige Innenministerin Revenco ist es nicht einfach nur eine Wahl, sondern eine "wichtige Schlacht gegen Russland". Sollten prorussische Kräfte die Kontrolle über das Parlament erlangen, prognostiziert sie Stillstand für die Modernisierung und Wirtschaft des Landes. Der EU-Beitritt wäre Geschichte. Am Ende könnte es Russland gelingen, die kleine Republik Moldau zu "erobern", ohne einen einzigen Schuss abzugeben, allein durch hybride Kriegsführung.
Verwendete Quellen
- Recherche während der Pressereise in der Republik Moldau
- Gespräche vor Ort mit Politikern, Vertretern der moldauischen Partei PAS, Experten und Journalisten
- zdg.md: "Serving Moscow. Three months among Shor’s "slaves”. ZdG undercover investigation"