Irans Krieg gegen Israel hat das Machtgefüge in Teheran erschüttert. Steht das Land vor einer Staatskrise, einem autoritären Umbau – oder gar vor einem Systemwandel?
Während Washington von einem strategischen Erfolg spricht, ist das Ausmaß der Zerstörung bislang unklar. Ebenso unklar ist der Zustand des iranischen Staates. Tagelang war es still geworden um den obersten Führer Ajatollah Ali Chamenei.
Rätseln um den Religionsführer
Erst zwei Tage nach dem überraschenden Kriegsende, das US-Präsident

In einem Staat, der auf symbolische Präsenz und religiöse Autorität baut, wog Chameneis Abwesenheit in der vergangenen Woche schwer. Die "New York Times" berichtete zuletzt, der 86-Jährige halte sich in einem Bunker auf, meide elektronische Kommunikationsmittel und kommuniziere mit seinen Kommandeuren über einen vertrauten Assistenten.
Sein Aufenthaltsort ist nach wie vor unklar. Im Krieg hatte Israels Verteidigungsminister Israel Katz Chamenei offen gedroht: Dieser könne "nicht weiter existieren".
Insider in Teheran gibt Einblicke
Chamenei verkörpert als Staatsoberhaupt die zentrale politische, religiöse und militärische Autorität. Ihm untergeordnet sind Präsident und Regierung, die zwar gewählt werden, aber ohne Rückendeckung des Machtzentrums wenig Handlungsspielraum haben.
Eine Schlüsselrolle spielen zudem die Revolutionsgarden – ein militärischer und wirtschaftlicher Machtapparat, der direkt dem obersten Führer untersteht und maßgeblich die Außen- und Sicherheitspolitik bestimmt.
Im Krieg wurden mehr als 20 hochrangige Kommandeure und Generäle der Revolutionsgarden gezielt getötet. Dennoch sieht ein Experte in Teheran den Machtapparat dadurch nicht automatisch gefährdet. "Wer nun getötet wurde und wer nicht, halte ich für weniger wichtig als die Frage, ob das Ganze ideologische Folgen hat", sagt der Insider. Israel habe auch die Schwächen des iranischen Staates offenbart. "Was zählt, sind nicht Widerstand und Glaube, sondern gute Geheimdienstarbeit und moderne Waffen – das ist jetzt auch im Gehirn des Regimes angekommen."
Experte: Weiter keine Kritik an Chamenei geduldet
"Kurzfristig ist nicht davon auszugehen, dass die iranische Führung entscheidend geschwächt ist", sagt der Nahost-Experte Simon Fuchs. Es gebe harte öffentliche Debatten zwischen moderateren Kräften um Präsident Massud Peseschkian und Hardlinern über die Sinnhaftigkeit von Verhandlungen mit dem Westen, sagt der Professor für Islamwissenschaft an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Kritik an Chamenei sei aber weiter tabu.
Die iranische Führung versuche bewusst, Normalität zu proklamieren und das Gefühl der nationalen Einheit und Solidarität, die die israelischen und amerikanischen Angriffe erzeugt haben, für sich zu nutzen. "Gleichzeitig zeigt das massive Vorgehen gegen vermeintliche israelische Spionagenetzwerke, samt mehrerer Hinrichtungen, wie nervös man ist und wie wichtig es dem Regime ist, Handlungsfähigkeit zu demonstrieren", sagt Fuchs.
Verhaftungswelle und Hinrichtungen mutmaßlicher Spione
Bereits wenige Tage nach Kriegsbeginn kündigte die Justiz ein schärferes Vorgehen gegen mutmaßliche Kollaborateure mit dem Erzfeind Israel an. Seither wurden Hunderte Menschen festgenommen, mehrere mutmaßliche Spione des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad hingerichtet.
Menschenrechtler warnen, dass sich die Repressionen auch gegen Regierungskritiker richten könnten. In den Straßen der Metropolen haben Sicherheitskräfte ihre Patrouillen und Kontrollen nach Einbruch der Dunkelheit deutlich ausgeweitet.
In einer Analyse für den Thinktank The Century Foundation argumentiert die Expertin Veena Ali-Khan, dass Israel den Iran vor allem schwächen wollte. Das berge aber enorme Risiken, warnt sie. "Ein zerrütteter, militarisierter und brüchiger Iran würde schnell zu einer Quelle tiefgreifender regionaler Instabilität werden", schreibt die Expertin. Das Land würde aber weiterhin über ballistische Raketen, Seestreitkräfte und nukleare Infrastruktur verfügen.
Je schneller Israel und die Vereinigten Staaten diese Entwicklung vorantreiben, ohne einen Plan für das Danach zu haben, "desto wahrscheinlicher sei es, dass die Region einen weiteren gescheiterten Staat erbt – nur dass es sich diesmal um einen mit mehr als 92 Millionen Menschen handelt".
Was der Iran stattdessen braucht, sei eine "klare politische Vision für das, was danach kommt" – eine, die auf Beziehungen zu genau den Personen im Iran basiere, die alles riskieren, um Veränderungen herbeizuführen. (dpa/bearbeitet von phs)