Raketenalarm, Explosionsgeräusche, Nächte im Bunker – und trotzdem muss das Leben weitergehen. Fünf Menschen aus Israel berichten von einem Alltag, der für viele Europäer unvorstellbar ist.

Ein Protokoll

Die Menschen in Israel sind das Leben unter verschärften Bedingungen gewohnt. Doch die Ereignisse der vergangenen Tage haben für viele von ihnen eine neue Qualität. Nachdem Israels Armee militärische Ziele im Iran angegriffen hat, schlägt der Iran zurück. Jetzt steht Israel so stark unter Raketenbeschuss wie selten zuvor.

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Unsere Redaktion hat mit Betroffenen vor Ort gesprochen. Über WhatsApp, Instagram, E-Mail oder andere Nachrichtenwege teilten uns Israelis mit, wie sich ihr Leben seit dem vergangenen Freitag, dem 13. Juni, verändert hat.

Dass Israel am Vorabend von Shabbat tief in der Nacht Irans Atomprogramm angreift, hat nicht nur die Weltpolitik überrascht sondern auch Israels rund acht Millionen Einwohner. Selbst ein Reservist der Streitkräfte schrieb uns, dass er kalt erwischt wurde vom neuen Krieg mit dem größten Feind und Angstkörper in der Psyche Israels: dem Mullah-Regime in Teheran. Irans reiche Kultur und Menschen – viele von ihnen waren früher selber persische Juden – schätzen die meisten unserer Gesprächspartner übrigens sehr. Einer tischt gar ein persisches Abendessen auf. Aber lesen Sie selbst.

Rukhama (32): "Plötzlich dachte ich an die Mütter, Väter und Kinder im Gazastreifen"

Krankenschwester aus Tzur Hadassah
Rukhama und ihre Tochter. © Privat

"Ich wohne in einer kleinen Stadt in der Nähe von Jerusalem. Als ich am Freitagmorgen auf mein Handy geschaut habe, sah ich eine Erdbebenwarnung. Offenbar wurde ganz Israel bis auf mich in der Nacht von den Alarmen des Heimatfront-Kommandos geweckt und alle haben gleichzeitig ihre Handys gecheckt. Das muss das Erdbebenerkennungssystem von Android auslöst haben.

Am Freitag bin ich zu Hause geblieben. Ich bin Krankenschwester und muss eigentlich auch in Notsituationen arbeiten. Aber alle Kliniken blieben geschlossen, die Schulen ebenso. Meine sechsjährige Tochter blieb also auch zu Hause. Da das Schuljahr nur noch zwei Wochen dauert, fühlte es sich an, als hätten die Sommerferien bereits begonnen.

"Ich hoffe, dass hier irgendwann eine Generation aufwachsen wird, die nicht weiß, was Raketen sind."

Rukhama

Meine Tochter sagte, sie sehne sich nach der Zeit, als Alarme weniger beängstigend waren. Seit Monaten werden ja viele Raketen aus dem Jemen auf Israel abgefeuert. Da 99,9 Prozent von ihnen abgefangen werden, beunruhigt das die Menschen nicht so sehr. Aber die Raketen aus dem Iran haben schwere Schäden und Opfer verursacht. Deshalb befolgen wir die Sicherheitsanweisungen jetzt sehr genau.

Blick in den Schutzraum. © Privat

Wir haben unsere Tochter im Schutzraum schlafen lassen, damit wir sie nicht wecken müssen, wenn ein Alarm losgeht. Ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich in meinem Zimmer bleiben oder zu ihr gehen soll. Ich hatte Angst, dass wieder die Sirenen losgehen. Ich war so unruhig. Und plötzlich dachte ich an die Mütter, Väter und Kinder im Gazastreifen, die seit über anderthalb Jahren auf diese Weise leben und zwar ohne Schutzräume.

Vor ein paar Monaten sind mein Partner und ich nach Polen gereist. Meine Tochter fragte besorgt, ob es dort einen Schutzraum gebe. Ich habe ihr erklärt, dass Krieg und Raketen an den meisten Orten nicht zum Alltag gehören. Ich hoffe, dass hier irgendwann eine Generation aufwachsen wird, die nicht weiß, was Raketen sind. Wie es in dieser Liedzeile heißt: 'Ich wurde für den Frieden geboren, der noch kommen wird.'"

Yonatan (38): "Die Leute sind nicht in Panik, das Leben geht weiter"

Sicherheitsexperte aus Tel Aviv
Zugang zum Schutzraum bei Yonatans Mutter in Haifa. © Privat

"Wir wohnen in Tel Aviv, aber als das alles losging, sind wir zu meiner Mutter in Haifa gefahren, wo es einen ordentlichen Schutzraum gibt. Es zehrt an einem, wenn man drei-, viermal die Nacht mit den Kindern in den Schutzraum rennen und Musik anstellen muss, um die Explosionsgeräusche zu überdecken.

Trotzdem kann man sich die Stimmung in den Straßen kaum vorstellen, wenn man sie nie selbst erlebt hat. Die Leute sind nicht in Panik, das Leben geht weiter. Wir alle – Juden, Muslime, Drusen, Christen – haben Übung darin, das Leben unter Beschuss zu managen. Vielleicht hilft das, die Opferzahl niedrig zu halten.

Israel erledigt mal wieder die schmutzige Arbeit und eliminiert im Iran ein Terrorregime, das in der Region mehr Tote auf dem Gewissen hat als alle Kriege Israels zusammen – mal zehn. Ja, das ist alles nicht toll, aber es ist notwendig. Ich möchte auch den Menschen in Deutschland danken, die so vorbehaltlos an unserer Seite stehen, auch in Zeiten von Lügen und Heuchelei."

Ido (38): "Tagsüber versuchen die Leute einfach ein bisschen zu leben"

Tech-Experte aus Givatayim

"Ich komme gerade aus dem Bunker. Das Schlimmste ist das Wissen, dass die Raketen kommen: Eingeschlossen im Schutzraum auf das Beste hoffend, während man Explosionen und Abfangvorgänge hört.

Mit dem Wissen, dass die Nachrichten am nächsten Morgen schlecht sein werden – denn dort sieht man zerstörte Orte. Man hört von Bekannten, die verletzt wurden. Deren Wohnung oder Geschäft entweder nicht mehr da ist oder beschädigt wurde. Ich habe von einer schwangeren Frau gehört, deren Hund zerfetzt wurde, weil er nicht im Schutzraum war.

Zwei Jahre Krieg haben uns abgehärtet. Tagsüber versuchen die Leute so normal wie möglich zu sein, mit den Kindern in den Park zu gehen und einfach ein bisschen zu leben. Man geht nicht weit weg und weiß immer, wo der nächste Schutzraum ist.

Im Moment bereite ich ein traditionelles persisches Gericht namens Tahdig zu. Der Safran im Glas ist so gelb, dass er aus dem Iran stammen muss."

Ido kocht ein persisches Gericht. Womöglich mit Safran aus dem Iran. © Privat

Lior (42): "Wir sind ein starkes Volk und geben so leicht nicht auf"

Personal Trainer aus Tel Aviv

"Tel Aviv ist nach wie vor lebendig, besonders tagsüber. Die Cafés sind geöffnet, die Strände voller Leben, und alle, die können, gehen ihrer Arbeit nach. Natürlich gibt es auch Herausforderungen: Fitnessstudios und Schulen sind geschlossen – was vor allem für Eltern mit kleinen Kindern schwer ist.

Aber wir sind ein starkes Volk und geben nicht so leicht auf. Ja, wir befinden uns im Krieg. Trotzdem bleiben wir Israelis hartnäckig, meistern jede Herausforderung und genießen gleichzeitig das Leben in vollen Zügen. Wir hoffen, die Bedrohung ein für alle Mal beseitigen zu können, damit bald wieder alles beim Alten ist."

Reservist der israelischen Streitkräfte: "Endlich machen wir, was wir schon vor Jahren hätten machen sollen"

Familienvater aus Holon

"Meine Frau und meine Kinder sind bei meinen Schwiegereltern im Zentrum des Landes und verbringen jeden Tag Stunden im Schutzraum. Leider müssen sie jetzt schneller erwachsen werden als die meisten Kinder ihres Alters. Meine Frau ist eine echte Heldin. Ich hätte das alles nicht leisten können, was sie seit dem 7. Oktober 2023 mit den Kindern geleistet hat.

Als ich vor zwei Wochen meinen vierten Reservisteneinsatz beendet habe, hätte ich nie gedacht, dass wir so schnell zurückgerufen werden würden. Ich hätte mir auch nicht vorstellen können, dass Israel wirklich iranische Ziele angreifen würde. Endlich machen wir, was wir schon vor Jahren hätten machen sollen.

Es ist schwer, in unserer Region Optimist zu sein. Aber die letzten Tage waren mehr als ein Hoffnungsschimmer für mich. Vielleicht verstehen unsere Feinde jetzt, dass sie uns nicht provozieren und unsere Existenz bedrohen sollten.

Wir wollen einfach nur leben, ohne dass uns jemand Schwierigkeiten macht. Deshalb kämpfen wir. Wir machen das, damit unsere Kinder und Kindeskinder hier eines Tages in Sicherheit leben können."

Redaktioneller Hinweis

  • Die Beiträge wurden zwischen dem 15. und 17. Juni 2025 auf Englisch oder Hebräisch an unsere Redakteurin Marie Schulte-Bockum geschickt und von der Redaktion übersetzt. Klarnamen und Kontaktdaten aller hier zu Wort gekommenen Personen sind der Redaktion bekannt.