Wie viel Krise steckt im deutschen Klassenzimmer – und wie groß ist die Ratlosigkeit in der Politik? Bei "Markus Lanz" wurde über Schulalltag, Sprachtests, Lehrermangel und einen streitbaren Vorschlag zur Integration diskutiert. Die neue Bildungsministerin geriet dabei sichtbar unter Druck.
Schlechte Kenntnisse im internationalen Vergleich, Lehrkräftemangel, fehlende finanzielle Mittel: Das deutsche Bildungssystem macht seit Jahrzehnten vor allem Negativschlagzeilen. Während Integrationsexperte Ahmad Mansour mit seinen Lösungsvorschlägen überraschte, geriet die neue Bildungsministerin
Das Thema der Runde
Die Bildung gehört zu den Bereichen in Deutschland mit dem größten Reformbedarf. Dass das deutsche Bildungssystem in einer tiefen Krise steckt, hat kürzlich auch der Bildungsforscher Klaus Klemm im Gespräch mit dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland" (RND) betont: "Wir haben es mit einer skandalösen Ungerechtigkeit zu tun: Die soziale Herkunft bestimmt über den Bildungserfolg und damit über die Aufstiegschancen."
Genau über diese Ungerechtigkeit debattierte Lanz am Donnerstagabend mit seinen Gästen. Dabei wollte er von der neuen Bundesbildungsministerin Karin Prien wissen, wie sie die Probleme konkret lösen will.

Die Gäste
- CDU-Politikerin Karin Prien sprach über ihre Agenda als neue Bundesbildungsministerin: "Noch nie waren die Unterschiede in den Fähigkeiten, mit denen Kinder in die Schule kommen, so groß wie heute."
- Grundschullehrerin Katja Giesler berichtete aus ihrem Schulalltag: "Wir sind komplett überlastet."
- Integrationsexperte Ahmad Mansour erläuterte seine Vorschläge für bessere Lehrmethoden und mehr Bildungsgerechtigkeit: "Die Lehrer sind zunehmend verunsichert."
- Journalist
Robin Alexander äußerte seine Bedenken mit Blick auf die Demokratie: "Die politische Mitte tut sich schwer, Lösungen zu finden."

Das Wortgefecht
Bei "Markus Lanz" berichtete die Grundschullehrerin Katja Giesler, dass an ihrer Wiesbadener Schule 80 Prozent der 550 Kinder einen Migrationshintergrund haben. Der ZDF-Moderator wollte daraufhin wissen: "Wie viele von diesen 80 Prozent sind der deutschen Sprache so mächtig, dass sie dem Unterricht vernünftig folgen können?" Giesler verriet, dass ein Großteil der Kinder Verständigungsprobleme habe.
Dennoch sei das sprachliche Problem "nur ein Teil. Wir haben auch die sozial-emotionalen Probleme mit den Kindern, die mittlerweile aus dem Boden ploppen", erklärte die Lehrerin. "Die kommen ja gar nicht mehr untereinander so richtig zurecht, die Kinder." Lanz hakte nach, wie ein Lösungsansatz aussehen könnte. Integrationsexperte Ahmad Mansour forderte daraufhin die "Kindergartenpflicht für diejenigen, die die deutsche Sprache nicht beherrschen". Lanz konterte: "Da geht Frau Prien schon mal nicht mit."
Die CDU-Politikerin und neue Bildungsministerin hielt jedoch dagegen: "Das ist nicht richtig!" Prien ergänzte, dass sich jedes Kind, "ob es in die Kita geht oder nicht", einem Sprachtest unterziehen müsse. "Und jedes Kind, das die deutsche Sprache nicht beherrscht, muss eine verpflichtende Sprachförderung bekommen", so Prien. Ahmad Mansour reagierte unbeeindruckt. Laut ihm müsse vor allem dafür gesorgt werden, "dass keine Parallelgesellschaften entstehen". Dies gelinge nur durch die gezielte Umsiedlung von Menschen.
"Zwangsumsiedlung?", fragte Lanz irritiert. Mansour nickte: "Wenn es sein muss, dann Umsiedlung!" Auch Prien gab zu: "Wir brauchen eine Stadtentwicklungspolitik, die eine stärkere Durchmischung der sozialen Milieus ermöglicht." Der ZDF-Moderator hakte nach: "Wie machen Sie das? Das klingt jetzt so wolkig und (...) schön." Während Prien über die "Frage von Wohnungsbau" sinnierte, stellte Mansour klar, dass an einer Schule nur maximal 40 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund haben dürften.
"Wenn über 40 Prozent Menschen aus dem gleichen Milieu auf der gleichen Schule sind - vor allem aus den schwachen Milieus - dann kippt die Stimmung und die Leistung und das dürfen wir nicht akzeptieren." Katja Giesler machte dazu auf den wachsenden Lehrermangel aufmerksam. Dieser habe zur Folge, dass immer mehr nichtpädagogisches Personal an den Schulen unterrichte. "Wo kommen diese Leute her?", wollte Lanz wissen. Die Lehrerin gab zu, dass es sich dabei meist um Menschen aus dem Bekanntenkreis oder um Studenten handele.
Als Lanz fragte, ob potenziell auch Fremde auf dem Spielplatz akquiriert werden könnten, antwortete Giesler mit "Ja". Prien konterte entsetzt: "Aber unterrichten dürfen die nicht!" Eine Aussage, die die Lehrerin wütend machte: "Wie stellen Sie sich das vor, dass sie das nicht dürfen? Natürlich werden die bei uns eingestellt und dürfen unterrichten." Eine Offenbarung, die auch Markus Lanz fassungslos machte: "Das ist sensationell."
Die Offenbarung des Abends
Ministerin Prien keinen Hehl daraus, dass es im Bildungsbereich "große Baustellen" gebe. "Wir haben Defizite und die kommen insbesondere daher, dass die Schülerinnen und Schüler immer unterschiedlicher sind. Das hat etwas mit Migration zu tun, aber nicht nur. Es hat etwas mit verändertem Erziehungsverhalten der Eltern zu tun", so die CDU-Politikerin.
Dem konnte Grundschullehrerin Katja Giesler nur zustimmen. Sie offenbarte, dass sie nicht mehr "die gleichen Bücher" lesen könne, die sie "vor 10, 15 Jahren noch mit den Kindern lesen konnte". Laut Giesler wisse kein Kind mehr, "was ein Bach ist, was eine Hecke ist". "Die einfachsten Wörter in der deutschen Sprache müssen wir erklären", so die Lehrerin. Markus Lanz hakte erschüttert nach: "Woran liegt das?" Giesler antwortete ehrlich: "Das liegt mit Sicherheit daran, dass wir viele sprachliche Probleme haben aufgrund von Migration." Zeitgleich sei auch die vermehrte Nutzung von Handys ein größer werdendes Problem. "Was kommt da auf uns zu?", wollte der ZDF-Moderator wissen.
Ahmad Mansour stellte klar: "Dramatisches!" Er beobachte zwei Entwicklungen, die ihm große Sorgen machten, so der Integrationsexperte: "Die Kinderkriminalität nimmt zu, weil die Empathie abnimmt. Und das kann die Schule nicht mehr nachholen, wenn das nicht zum Hauptthema wird, wenn wir nicht Empathieentwicklung betreiben." Laut Mansour könne die Empathielosigkeit auf lange Sicht sogar die Demokratie gefährden.
Katja Gielser konnte die Situation bestätigen. Sie erzählte von Debatten unter Schülern, die sie tagtäglich schlichten muss: "Meistens geht um die Beleidigung der eigenen Familie. (...) Wir haben das vor jedem Unterrichtsbeginn, wir haben das mitten im Unterricht, wir haben das in der Pause." Als die Lehrerin ergänzte, dass die Auseinandersetzungen auf deutschen Schulhöfen längst "eine neue Dimension" erreicht hätten, musste schließlich auch CDU-Politikerin Karin Prien zugeben: "Das sind dramatische Entwicklungen."
Der Erkenntnisgewinn
Bei "Markus Lanz" wurde zwar viel über den Status quo debattiert, jedoch nur wenig über wirkliche Lösungsansätze. Als der ZDF-Moderator die Frage aufwarf, ob ein allgemeines Handyverbot denkbar wäre, merkte Bildungsministerin Karin Prien an: "Wir können ja den Leuten nicht vorschreiben, ob sie am Handy sind oder nicht." Lediglich "in der Grundschule" habe "die private Handynutzung nichts zu suchen".
In Bezug auf die Einführung von Sprachtests in ganz Deutschland ergänzte Prien: "Ich bin für verpflichtenden Sprachunterricht für Kinder, die Sprachförderbedarf haben." Laut der CDU-Politikerin gehe es am Ende darum, dass Kinder die deutsche Sprache beherrschen, wenn sie in die Schule gehen. Eine konkrete Reform schien sie dabei jedoch nicht im Sinn zu haben. © 1&1 Mail & Media/teleschau