Grünen-Ministerpräsident Winfried Kretschmann stellte bei "Markus Lanz" klar, dass eine Bevölkerung in Krisenzeiten mehr und nicht weniger arbeiten müsse, um Wohlstand zu bewahren. Auf konkrete Zahlen wollte er sich jedoch nicht festlegen.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Natascha Wittmann dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

CDU-Chef Friedrich Merz forderte bereits vor Jahren eine Grundsatzdebatte über die Leistungsbereitschaft in Deutschland. Nun redete sich Grünen-Politiker Winfried Kretschmann bei "Markus Lanz" in Rage, als es um die Gewerkschaftsforderung nach mehr Urlaub ging.

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Das Thema der Runde

Mit deutlichen 84,6 Prozent hat die SPD dem schwarz-roten Koalitionsvertrag zugestimmt. Grund genug für Markus Lanz, am Mittwochabend in seiner Sendung über die Qualität des Koalitionsvertrags zu sprechen. In diesem Zusammenhang kam Runde auf die Arbeitsmoral und Leistungsbereitschaft der deutschen Bevölkerung zu sprechen. Auch nahm der ZDF-Moderator mit seinen Gästen die Krise der deutschen Automobilhersteller genauer unter die Lupe.

Markus Lanz und Gäste
Bei "Markus Lanz" ging es um den neuen Koalitionsvertrag, die Autokrise und die Mentalität der Deutschen. © ZDF / Markus Hertrich

Die Gäste

  • Grünen-Politiker Winfried Kretschmann warnt vor großer Krise in der deutschen Automobilindustrie: "2025 wird das härteste Jahr meiner Amtszeit."
  • Journalistin Sonja Álvarez sagt über die fehlende Wettbewerbsfähigkeit deutscher Autobauer: "Wer früher bei Daimler schaffte, der blieb da bis zur Rente – das ist jetzt vorbei."

Das Wortgefecht

"Was wäre denn die Alternative gewesen? Dem nicht zuzustimmen?" Als Markus Lanz nachhakte, ob der Koalitionsvertrag den nötigen Politikwechsel bringe, sagte Winfried Kretschmann: "Ich regiere jetzt fast 15 Jahre. Ich überschätze Koalitionsverträge nicht." Eine Aussage, die den ZDF-Moderator zum Lachen brachte: "Das heißt, das, was da drinsteht, ist gar nicht so wichtig?"

Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg nickte vorsichtig, merkte jedoch an, dass der im Koalitionsvertrag versprochene Bürokratieabbau für ihn am wichtigsten sei, denn: "Der Dschungel der Bürokratie, der ist inzwischen nicht mehr durchdringbar. Und mir ist manchmal schleierhaft, wie es dazu überhaupt kommen konnte." Kretschmann ergänzte, dass es jetzt eine "sehr robuste" Vereinfachung des Systems brauche. Lanz konterte skeptisch: "Sie sagen das jetzt sehr robust. Aber die Frage ist: Warum kriegen wir das so nicht hin?" Eine Frage, auf die Kretschmann hoffnungsvoll antwortete: "Das kriegen wir hin!"

Zeitgleich forderte der Grünen-Politiker einen Kulturwandel im Land: "Wir müssen das Verhältnis von Staat, Markt und Bürgergesellschaft immer wieder neu aushandeln." Laut Winfried Kretschmann bedeute dies, dass die Bürger generell mehr arbeiten müssten.

Während Kretschmann sich in Rage redete, warnte Lanz vor dem Widerstand, auf den er damit stoßen werde. "Dann kommt ver.di und sagt: 'Wir wollen jetzt aber drei Tage mehr Urlaub'. Was fällt Ihnen dazu ein?" Kretschmann schüttelte genervt mit dem Kopf: "Nichts! Da fällt mir nichts mehr ein!" Lanz nickte: "Aber das ist die Haltung." Eine Aussage, auf die der Grünen-Politiker deutlich konterte: "Und die Haltung, die müssen wir brechen." Kretschmann weiter: "Wir müssen schon versuchen, einen Mentalitätsschub hinzubekommen, dass die Leute aufwachen. Die Welt ist völlig anders."

Laut des Politikers müsse man jetzt "den Anreiz erhöhen, dass gearbeitet wird", denn: "In Krisen muss man schlichtweg mehr arbeiten!" Eine Steilvorlage für Markus Lanz, der wissen wollte, welchen Feiertag Kretschmann dafür in Baden-Württemberg streichen würde.

Eine Frage, die den Ministerpräsidenten wütend machte: "Da sind Sie jetzt bei mir nicht so an der richtigen Adresse. (...) Ich bin ein praktizierender Christ und jetzt weiß ich nicht, warum sich alle sofort auf die Feiertage stürzen!" Als der ZDF-Moderator daraufhin den Pfingstmontag vorschlug, wetterte Kretschmann weiter: "Warum denn gerade das?!" Lanz ließ jedoch nicht locker und fragte, ob er stattdessen Urlaubstage streichen würde. Davon ließ sich Winfried Kretschmann jedoch nicht locken. Er mahnte, dass dies erst ausgehandelt werden müsse: "Tut mir leid, darauf lasse ich mich jetzt wirklich nicht ein!"

Die Offenbarung des Abends

Auf die Krise der deutschen Automobilhersteller war die "Markus Lanz"-Runde ein besonderes Schlaglicht. Mercedes musste jüngst einen Gewinneinbruch von 43 Prozent vermelden. Eine Zahl, die auch Kretschmann Angst einjagt. Er gab an, vor welchen Hürden die deutsche Wirtschaft steht: "Der Markt in China ist in wenigen Jahren richtig zusammengebrochen. Und jetzt die Zölle und die Zolldrohungen aus den USA. Wir sind in einer wirklichen Zangenbewegung."

Kretschmann weiter: "Die Absatzzahlen unserer Automobilindustrie nach China, die waren ja um die 25 Prozent!" Lanz ergänzte zustimmend: "Jedes vierte Auto ging nach China." Der Ministerpräsident Baden-Württembergs deutlich: "Ja und das ist einfach vorbei." Laut Kretschmannn werde Deutschland jetzt von mehreren Seiten angegriffen "etwa von China mit sehr guten Produkten zu ganz anderen Preisen".

Ob das Ruder überhaupt noch umzureißen ist? Laut des Grünen-Politikers bestehe noch eine Chance, wenn es jetzt "um Kreativität" und "um Innovation" gehe. "Es geht darum, dass der Staat auch da investiert und auch die Unternehmen", so der Politiker deutlich. Dies sei vor allem wichtig, da die Autoindustrie für Deutschland "das Rückgrat der Wirtschaft in hohem Maße" sei, "weil da sehr viel dranhängt".

Der Erkenntnisgewinn

Bei "Markus Lanz" wurde deutlich, dass sich Deutschland in vielerlei Hinsicht an einem Wendepunkt befindet. Als Lanz fragte: "Würden Sie sagen, das Verhältnis von Staat und Bürger hat sich auf eine ungute Weise verändert?", antwortete Winfried Kretschmann: "Das hat sich tatsächlich so ein bisschen eingeschliffen. (...) Viele Bürger betrachten den Staat als Supermarkt, der tolle Angebote machen kann, die man dann quasi zu Billigpreisen holen kann. Und das ist der Staat nicht."

Der Grünen-Politiker stellte daher die klare Forderung: "Wir müssen uns auf vielen Gebieten einfach wieder anstrengen, (...) es sei denn, wir sind damit zufrieden, dass wir aus der Champions League absteigen und erhebliche Wohlstandseinbußen bereit sind, in Kauf zu nehmen."  © 1&1 Mail & Media/teleschau

Teaserbild: © ZDF / Markus Hertrich