• Putin hat in einer Rede an die Nation dem Westen die Schuld am Ukrainekrieg gegeben.
  • Der Kreml-Chef erklärte in Moskau, der Westen habe den Krieg begonnen - Russland habe nur seine "Kraft genutzt, um den Krieg zu stoppen".
  • Militärexperte Gustav Gressel ordnet die Rede ein und analysiert, was man zwischen den Zeilen lesen konnte.
Ein Interview

Putin hat in seiner Rede dem Westen vorgeworfen, aus der Ukraine ein "Anti-Russland" zu machen und versuchte seinen Krieg damit zu rechtfertigen, dass westliche Länder Russland gedroht hätten. Was war Ihr Eindruck von Inhalt und Form von Putins Rede?

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Gressel: Die Rede war langweilig, es war nichts Vernünftiges enthalten. Es war eine Durchhalterede, wie man sie aus den letzten Kriegsjahren des "Dritten Reichs" kennt. Narrative Elemente wie Selbstrechtfertigung, Beschwören der Verschwörungsmythen, ein "Jetzt oder Nie, entweder Endsieg oder Tod", soziale Vergünstigungen für Soldaten, Kriegswirtschaft, Wunderwaffen – all das hat man schon einmal gehört und in diesen Linien hat sich Putins Rede bewegt.

Welchen Zweck verfolgt Putin mit so etwas? Er hat in seiner Rede die westlichen Eliten für verrückt erklärt und behauptet, Ziel des Westens sei es, die russische Gesellschaft zu spalten. Seiner Ansicht nach will der Westen mit dem Krieg von der Korruption in den westlichen Ländern ablenken.

Putin will mit seiner Rede den Menschen Normalität vortäuschen und sie glauben lassen, dass Sanktionen sich sowieso nicht auswirken, man den Zustand überbrücken kann und nicht isoliert ist. Man will ihnen weismachen, auch wenn es hart ist und es Einschränkungen gibt: Der Endsieg ist unser.

Was zeigt die Rede zwischen den Zeilen?

Putin hält an seinen maximalen Kriegszielen fest, es geht nicht um den Donbass. Es geht um die Vernichtung der Ukraine. Das aufgetauchte Papier zu Belarus spiegelt, was eine "Wiedervereinigung" für die Ukraine bedeuten würde und worum sie kämpft. Man sieht an Putins Rhetorik, dass er der Ukraine jede Legitimität abspricht. Ukrainisches Nationalbewusstsein und Sprache sind für ihn ein künstliches Projekt der Habsburger Monarchie, um Russland zu zerstören. Das ist für ihn eine Ausgeburt einer Weltverschwörung des Westens. Für die Ukraine geht es in diesem Krieg um ihre Existenz. Wenn sie ihn verliert, wird sie physisch ausgelöscht.

Konnte man auch heraushören, wie es im Kreml weitergeht? Aus Sicht von Putin hat Russland alles getan, um den Konflikt friedlich zu lösen. Russland sei noch immer bereit für einen konstruktiven Dialog mit dem Westen. Als Ziel nannte er aber die Aufrüstung der Armee mit neuen Technologien.

Man beobachtet ein Einzementieren von völlig abstrusen, anti-westlichen Verschwörungstheorien in diesem Regime. Egal, wie der Krieg ausgeht: das anti-westliche, autoritäre, hasserfüllte Russland wird bleiben. Das wird ein Sicherheitsproblem für den Westen bleiben – über den Krieg in der Ukraine hinaus.

Ist also kein Ende des Krieges in Sicht?

Nein, Russland wird diesen Krieg nicht in absehbarer Zeit beenden oder auf Verhandlungen eingehen. Es beschwört den Durchhaltewillen, es gibt keinerlei Anzeichen, dass man sich mit irgendetwas geringerem als dem "Endsieg" zufriedengeben will. Die Rhetorik wird von Tag zu Tag schriller und von diesem Baum kommt man natürlich immer schwieriger runter, wenn man immer weiter heraufklettert.

Die Debatte über Friedensgespräche und Waffenstillstand ist entweder Schall und Rauch von naiven Menschen, die Putin nicht zuhören können oder wollen und nicht sehen, was sich in der Realität auf dem Schlachtfeld tut. Oder sie kommt von Moskaus 5. Kolonne, die ohnehin Teile des verlängerten Propagandaarms dieses Regimes sind.

Was kann der Westen aus der Rede ableiten? Angst vor einem Dritten Weltkrieg? Putin hat klargemacht: Je mehr Waffen geliefert werden, desto mehr sei Russland gezwungen, sich zu verteidigen. Aus seiner Sicht wolle der Westen Russland "ein für alle Mal erledigen".

Bei der militärischen Ertüchtigung der Ukraine legt man besser einen Zahn zu. Putin hat allerdings nicht angesprochen, was viele befürchtet haben: Etwa eine formelle Kriegserklärung. Im letzten September hat man mit der Mobilmachung und der Annexion von Gebieten eskaliert, dieses Eskalationspotenzial scheint nun erst einmal ausgeschöpft.

Wenn man sich anschaut, wie schwer sich das russische Militär tut, vermute ich, dass Russland es erst einmal bei der Ukraine belassen wird. Gegen den Westen gab es einen Haufen Rhetorik, aber keine Anzeichen, dass der Dritte Weltkrieg oder ähnliche Befürchtungen unmittelbar bevorstehen. Putin will nach wie vor die Ukraine vernichten. Ihn davon abzuhalten geht nur mit militärischen Mitteln.

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Putin hat das Ende von "New Start" angekündigt, was bedeutet das?

Er hat den Vertrag nicht gekündigt, aber er will die Implementation aussetzen. Faktisch heißt das, man wird keine amerikanischen Inspektionen zulassen und setzt die Gespräche über Doktrin und Einsatzverfahren im Bereich der strategischen Nuklearwaffen aus. Russland macht das eigentlich schon seit Beginn des Krieges. Jetzt ist bestätigt, was man vorher schon vollzogen hat. Die USA haben Russland bereits als nicht-vertragserfüllend bezeichnet. An und für sich sieht der Vertrag keine Suspensionsmöglichkeiten vor.

Werden die USA jetzt Russland für diese Vertragsverletzung anprangern?

Aus zwei Gründen eher nicht. Russland konzentriert sich aktuell mit allen Rüstungsanstrengungen auf konventionelle Streitkräfte, es ist unwahrscheinlich, dass es in der Zwischenzeit die Stückzahl seiner strategischen Atomwaffen drastisch erhöhen wird. Es ist außerdem fraglich, ob es überhaupt nach dem Krieg einen neuen Vertrag mit Russland geben wird und zu was Moskau zurückkehrt.

Über den Experten:
Gustav Gressel ist Experte für Sicherheitspolitik, Militärstrategien und internationale Beziehungen. Er absolvierte eine Offiziersausbildung und studierte Politikwissenschaft an der Universität Salzburg. Schwerpunktmäßig befasst sich Gressel mit Osteuropa, Russland und der Außenpolitik bei Großmächten.
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