Ob Schule, Kindergarten oder Freizeitaktivitäten - unter den Kindern dominiert die slowakische Sprache in der österreichischen Gemeinde Kittsee. Neuzuwanderer aus der Nachbarstadt Bratislava haben das einst verschlafene Grenzdorf radikal verändert.

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"Manche Einheimische fühlten sich auf einmal als Fremde im eigenen Dorf, weil die Veränderung so schnell und so massiv kam", erzählt Tanja Buchebner-Böhm. Die erfahrene Lehrerin ist selbst in der damals verschlafenen Grenzgemeinde Kittsee direkt am "Eisernen Vorhang" aufgewachsen.

Damals hatte man zwar die Hochhäuser von Bratislava direkt vor den Augen, aber Kontakte gab es so gut wie keine. Jetzt wird ihre Schule zu 71 Prozent von slowakischen Kindern dominiert. Und auch in den neu entstandenen Freizeiteinrichtungen wie dem von ihr selbst mitgegründeten Familienzentrum KiKi dominiert die slowakische Sprache.

Zuwandererkinder lernen deutsche Sprache schnell

Das Unterrichten von so vielen Fremdsprachigen bereitet Buchebner-Böhm keine Probleme. Die meisten Zuwandererkinder stammen aus der höheren Bildungsschicht und lernen auch die deutsche Sprache schnell. Schwieriger ist für die Lehrerin die Kommunikation mit manchen Eltern - nicht nur sprachlich: So hätten einige versucht, über Schulnoten zu verhandeln, auch mit Bestechungsangeboten. Oder sie hätten ihre Kinder krank gemeldet, um noch in der billigeren Vorsaison auf Urlaub fahren zu können.

Dass viele Neueinwohner aus der exkommunistischen Slowakei ein anderes Verständnis von Regeln und Gesetzen mitbrachten, bereitet auch Bürgermeisterin Gabriele Nabinger Sorgen. Die Tendenz zur Steuervermeidung, etwa durch Anmelden von Autos in der Slowakei statt in Österreich, stört sie auch angesichts der großen Aufwendungen an Steuergeld, die den Zuwanderern zugute kommen. Vier Millionen Euro für den Neubau des Kindergartens und 2,5 Millionen für einen Schulanbau, der womöglich schon bald nicht mehr reichen wird, nennt sie als die größten öffentlichen Ausgaben im Dorf.

Österreichische Gemeinde Kittsee
Ein Transparent mit der slowakischen Aufschrift "Staviame v Rakusku" (Wir bauen in Österreich) hängt am 02.04.2017 am Bauzaun einer Baustelle in Kittsee, Österreich. © Christoph Thanei/dpa

Viele junge Familien aus der Slowakei zugezogen

Aus der Slowakei übersiedelt sind nämlich fast ausschließlich junge Paare und Familien mit kleinen Kindern. Das vorher überalterte Dorf ist plötzlich jung und lebendig geworden. Zugleich auch ein bisschen städtischer: Dass sich alle kennen und grüßen, ist Vergangenheit, aber dafür schießen überall Geschäfte und Einkaufszentren aus dem Boden.

Und seit rund zehn Jahren gibt es einen wahren Boom an Bautätigkeit - auch durch slowakische Firmen. Die offizielle Statistik weist Kittsee als die am schnellsten wachsende Gemeinde Österreichs aus. Ein Drittel der dreitausend Einwohner ist erst in den vergangenen rund zehn Jahren aus der Slowakei übersiedelt.

Inzwischen herrsche weitgehende Einigkeit, dass das an sich wünschenswerte Wachstum "zu schnell und zu massiv" erfolgt sei, sagt Nabinger. Kindergartenleiterin Christine Schmid wundert sich auch nicht mehr, dass gerade slowakische Eltern besonders die Dominanz von Slowakisch unter den Kindern beklagen: "Wir mussten auch rein slowakische Gruppen einrichten, weil es einfach nicht genug österreichische Kinder gibt." Dabei war für viele gerade das Erlernen der deutschen Sprache eine Motivation zum Übersiedeln.

Die dreifache Mutter Adriana Patakova gehört zu den aktiven slowakischen Eltern, die noch einen Schritt weiter voraus denken: "In vier bis fünf Jahren werden die jetzt kleinen Kinder zu über 200 Teenagern herangewachsen sein, für die es im Ort keine Freizeit-Infrastruktur gibt." Schon jetzt fährt sie mit ihrer Tochter Ema jede Woche ins 30 Kilometer entfernte Neusiedl am See, damit die begabte Geigenspielerin dort in einem Kinderorchester mitspielen kann.

Der Zukunft von Kittsee sieht Patakova gespannt entgegen: "Werden die jetzigen Kinder hier bleiben und selbst Familien gründen oder für ihre Berufstätigkeit abwandern? Das wird einen extremen Unterschied ausmachen, weil der Kinderanteil jetzt so außergewöhnlich hoch ist."  © dpa

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