Seit Tagen demonstrieren Tausende Menschen in Los Angeles gegen aggressive Einwanderungsrazzien und den Einsatz von Militär auf amerikanischem Boden. Während die Regierung von Sicherheit spricht, erleben viele vor Ort Einschüchterung, Angst – aber auch Solidarität. Unsere Redaktion hat mit einigen Demonstranten gesprochen.

Eine Reportage
Dieser Text enthält neben Daten und Fakten auch die Eindrücke und Einschätzungen von Natascha Wittmann. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Seit Tagen demonstrieren Tausende Menschen in Los Angeles gegen großangelegte Einwanderungsrazzien in der Stadt sowie gegen die überraschende Entsendung der Nationalgarde. Während die einen von "Bürgerkriegsszenen" sprechen, erleben andere Momente der Solidarität, Musik und Menschlichkeit. Doch was ist Realität – und was Inszenierung?

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In Downtown Los Angeles erklärt die 25-jährige Demonstrantin Raquel im Gespräch mit unserer Redaktion: "Ich habe Angst, aber ich muss hier sein." Mit Tränen in den Augen hält sie ein Pappschild mit der Aufschrift "No human is illegal" (dt.: "Kein Mensch ist illegal") in der Hand und sagt mit zittriger Stimme: "Meine Familie kam einst selbst aus Mexiko über die Grenze. Heute sind wir alle amerikanische Staatsbürger. Aber wir wissen, was es heißt, in Angst zu leben. Deshalb bin ich hier."

Das Gefühl, das Raquel nach Downtown treibt, teilen in diesen Tagen viele. Obwohl es die US-Regierung mit der neuen Welle von ICE-Razzien (U.S. Immigration and Customs Enforcement) auf vermeintlich kriminelle Einwanderer abzielt, sind mittlerweile auch viele Familien, Arbeiter und Kinder betroffen. Über 330 Menschen wurden seit Freitag festgenommen.

Trump lässt Marines aufmarschieren – und sorgt für Empörung

Unsere Redaktion ist in Downtown Los Angeles vor Ort und sieht alles andere als gewaltvolle Szenen. Es ist laut, aber friedlich. Menschen lächeln, verteilen Wasser. Nur vereinzelt kommt es zu Eskalationen – darunter in Brand gesetzte Fahrzeuge –, die die Polizei dazu veranlassen, Tränengas gegen die Demonstranten einzusetzen. In Vierteln wie Boyle Heights ähneln die Proteste sogar Straßenfesten. "Es ist ein Protest mit Herz", sagt die 19-jährige Julieta.

Dass US-Präsident Donald Trump trotzdem rund 700 Marines nach Los Angeles entsandt hat, löst breite Kritik aus. Bürgermeisterin Karen Bass sprach kürzlich erst von einem "nationalen Experiment", bei dem die Bundesregierung prüfe, wie weit sie in einzelnen Staaten gehen könne.

Auch Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom kritisierte scharf: "Trump schützt nicht unsere Städte – er traumatisiert sie." Die eingesetzten Soldaten dürfen zwar keine Festnahmen durchführen, doch sie sichern Bundesgebäude und begleiten ICE-Einsätze. Alleine ihre bloße Präsenz schüchtert viele Bürger ein.

"Wenn du morgens zur Arbeit gehst und auf einmal stehen da Soldaten mit Schutzwesten vor deinem Supermarkt – was soll das anderes sein als Einschüchterung?", fragt die 31-jährige Jenny, die in Los Angeles als Sängerin lebt. Demonstrant Jonathan sieht das ähnlich. Er wird bald selbst beim Militär dienen. Ein Zwiespalt für ihn?

Ganz und gar nicht, denn: "Gerade weil ich bald Teil dieses Systems bin, muss ich meine Stimme erheben. Ich liebe dieses Land. Aber diese Regierung handelt nicht in meinem Namen", so der 21-Jährige.

Angst macht sich breit in Schulen, Kirchen und auf Feldern

Der Alltag vieler Angelenos ist zweifelsohne betroffen. Viele Eltern lassen ihre Kinder nicht mehr zur Schule gehen – aus Angst vor Razzien. Im Stadtteil Carson verließen mehrere Familien sogar panisch eine Schulabschlussfeier, nachdem angeblich ICE-Fahrzeuge gesichtet wurden.

Die Schulbehörde dementierte später, es habe keinen Einsatz gegeben – doch das Misstrauen bleibt. In Oxnard, im Zentrum des kalifornischen Obstanbaus, blieben Felder leer. Hunderte Erntehelfer flohen in Panik. "Wir haben diese Angst schon lange gespürt. Aber jetzt ist sie real", so Elizabeth Strater von der "United Farm Workers"-Organisation gegenüber der "Los Angeles Times".

Los Angeles – eine Stadt zwischen Hoffnung und Kontrollverlust

Die Lage in Los Angeles bleibt komplex. L.A. brennt nicht – aber es brodelt. Ja, es gibt Gewalt. Ja, es gibt Angst. Aber es gibt auch Zusammenhalt, Mut und Hoffnung. Es ist ein Protest, der so viele Facetten hat wie die Stadt selbst.

Ein Demonstrant bringt es auf den Punkt: "Wir sind nicht hier, um Chaos zu stiften. Wir sind hier, weil wir genug haben. Von Angst. Von Rassismus. Von Schweigen."

Verwendete Quellen