In Kalifornien herrscht Angst: Seit den jüngsten ICE-Razzien meiden viele Einwanderer ihre Arbeitsorte – aus Sorge vor Verhaftung und Abschiebung. Unsere Redaktion hat mit Betroffenen gesprochen.

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Sie reparieren Häuser, verkaufen Essen, verladen Möbel – doch seit Kurzem sind sie wie vom Erdboden verschluckt: Tagelöhner, Händlerinnen und Verkäufer, die in Los Angeles bislang zum Alltagsbild gehörten, bleiben ihren Arbeitsplätzen fern.

Eine Welle von ICE-Razzien hat Angst und Unsicherheit unter Einwanderern ausgelöst – sogar bei Menschen mit legalem Aufenthaltstitel. Unsere Redaktion war vor Ort, hat mit Betroffenen gesprochen und zeigt, wie hart die Razzien das soziale und wirtschaftliche Gefüge der Stadt treffen.

Es sind Szenen wie aus einem Action-Film: Binnen Minuten umstellten bewaffnete, maskierte Beamte der US-Einwanderungsbehörde in den vergangenen Wochen einzelne Fachgeschäfte in Los Angeles und nahmen Dutzende Menschen fest.

"Sie kommen einfach und nehmen dich mit"

Die Szenen wiederholten sich mehrfach in ganz Südkalifornien: vor Home-Depot-Filialen, am Gemüsemarkt in Downtown L.A. oder auf dem Los Angeles Flower Market, einem der größten Blumenmärkte der Stadt. Überall dort, wo sich früher Menschen in der Hoffnung auf einen Job oder ein Geschäft versammelten, herrscht mittlerweile gähnende Leere – aus Angst, abgeschoben zu werden.

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"Sie kommen einfach und nehmen dich mit. Ohne Fragen. Ohne Warnung", sagt Eduardo, ein 45-jähriger Blumenhändler aus Honduras, der die Razzien selbst miterlebt hat. Seine Töchter bitten ihn seither, nicht mehr zur Arbeit zu fahren.

Doch er hat keine Wahl. "Ich muss meine Miete bezahlen", sagt Eduardo im Gespräch mit unserer Redaktion. Andere Unternehmer verstecken sich derweil in der Hoffnung, unentdeckt zu bleiben. "Es fühlt sich an wie ein Kriegsgebiet", sagt Jorge Nicolás von der Hilfsorganisation Carecen.

Ein Klima der Angst

Die Folgen sind dramatisch – nicht nur für die Betroffenen, sondern für ganz Los Angeles. Viele der sogenannten "Day Laborers" (Tagelöhner) boten noch vor einigen Monaten auf örtlichen Parkplätzen ihre Dienste an – darunter Reparaturen, Warenlieferungen oder Umzugshilfen. "Wir hatten früher hunderte von Arbeitern auf dem Parkplatz. Jetzt sind es vielleicht noch fünf oder sechs", erzählt ein Home-Depot-Mitarbeiter.

Das Heimatschutzministerium (DHS) bestätigte dem amerikanischen TV-Sender NBC4, dass Bundesbeamte bei verschiedenen Razzien im Juni insgesamt 37 Personen vor drei Filialen der Baumarktkette festgenommen haben.

Händler wie Carlos, der aus seinem Van im örtlichen Playa Vista heraus Früchte verkauft, machen kaum noch Umsatz. "Früher habe ich an einem Tag 200 Dollar verdient – jetzt sind es vielleicht 20", sagt er.

Viele fühlen sich verraten – von einem Land, das ihre Arbeit braucht

Besonders beunruhigend: Selbst Menschen mit legalem Aufenthaltsstatus fühlen sich nicht mehr sicher in den USA. Bei einigen der Razzien sollen angeblich auch US-Staatsbürger festgenommen worden sein. "Ich dachte, so etwas passiert nur in Diktaturen", sagt ein besorgter Baumarkt-Kunde unserer Redaktion.

"Wir halten diese Stadt am Laufen – und werden trotzdem gejagt"

Edwin Guevara im Gespräch mit unserer Redaktion.

Edwin Guevara, ein Verkäufer auf dem Los Angeles Flower Market in Downtown Los Angeles, bringt es auf den Punkt. Unserer Redaktion sagt er mit sorgenvollem Blick: "Ohne uns gäbe es keine Restaurants, keine Läden, keine Häuser. Wir halten diese Stadt am Laufen. Und trotzdem werden wir gejagt und wie Verbrecher behandelt."

Viele Betroffene fühlen sich deshalb verraten – von einem Land, das ihre Arbeit braucht, aber ihre Existenz nicht schützt. Das Department of Homeland Security hat laut der "Los Angeles Times" mitgeteilt, dass seit Juni 1.618 Einwanderer ohne Aufenthaltspapiere festgenommen worden sind. Wie viele Menschen davon bereits abgeschoben wurden, ist unklar.

Klar ist nur: Die Angst bleibt. Und mit ihr verschwindet eine ganze Gemeinschaft – Tag für Tag ein Stück mehr aus dem öffentlichen Leben.

Verwendete Quellen