Er ist jung, laut und einflussreich: Charlie Kirk ist das Gesicht von Turning Point USA, einer der einflussreichsten konservativen Jugendbewegungen in den USA. Mit provokanten Thesen und enormer Reichweite prägt er das politische Weltbild vieler junger Amerikanerinnen und Amerikaner. Kritiker werfen ihm vor, Desinformation zu verbreiten und den rechten Kulturkampf zu befeuern. Wer ist dieser Mann – und wie groß ist sein Einfluss wirklich?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Anne-Kathrin Hamilton sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Mit T-Shirt, Jeans und Baseball-Cap gekleidet fällt der US-Amerikaner Charlie Kirk inmitten von Studierenden gar nicht auf. Lässig sitzt er auf einer Bühne, gibt jungen Menschen Ratschläge darüber, wie sie etwa zu Jesus finden, warum es nur zwei Geschlechter gibt und Sex vor der Ehe eine Sünde sei.

Kirk ist das Gesicht von "Turning Point USA"(TPUSA); einer der einflussreichsten konservativen Jugendbewegungen in den Vereinigten Staaten. Der 31-Jährige versteht es, Social Media als Werkzeug der politischen Mobilmachung zu nutzen. Dabei setzt er auf kurze, emotionale Botschaften, um komplexe politische Themen vereinfacht und polarisierend aufzugreifen.

USA: Charlie Kirk gewinnt konservative Jugend für Trump

Heute gilt er als charismatischer Anführer einer populistischen, rechten Bewegung, die sich auf den Schutz traditioneller Werte fokussiert. Der Aktivist definiert die Werte der konservativen Jugend neu, stellt sich gegen die sogenannten "Eliten“, kritisiert "Political Correctness" und inszeniert sich als Kämpfer für die Meinungsfreiheit.

"Kirk kann unter anderem darauf aufbauen, dass rechte und rechtsextreme Akteure bereits seit Jahren ununterbrochen eine Bedrohung durch vermeintliche Zensur, Cancel Culture und Wokeness heraufbeschwören“, sagt Autorin und Journalistin Karolin Schwarz auf Anfrage unserer Redaktion. Sie ist Expertin für Desinformation sowie Rechtsextremismus im Netz.

Schwarz spricht von einer gezielten Umetikettierung und Widersprüchlichkeit: "Beispielsweise wird der Einsatz gegen Rassismus oder Queerfeindlichkeit zur Zensur umdeklariert, während Akteure der extremen Rechten Bücher aus Schulen und Bibliotheken verbannen lassen.“

Als Donald Trump 2024 die Präsidentschaftswahl gewinnt, bricht Kirk vor laufender Kamera in Tränen aus. Mit Millionenreichweiten auf TikTok und Instagram, einer klaren Pro-Trump-Agenda und seinem Gespür für kulturelle Brüche hat er maßgeblich dazu beigetragen, die GenZ für die "MAGA"-Bewegung ("Make America Great Again") zu gewinnen.

"Bereits während Trumps erstem Wahlkampf und seiner ersten Amtszeit haben Influencer und Netzkultur eine einflussreiche Rolle gespielt“, betont Schwarz. Langfristig betrachtet handelt es sich demnach um keinen kurzfristigen Trend.

Charlie Kirk setzt auf Podcast und Campus-Tourneen

Kirks TPUSA ist bereits seit mehr als zehn Jahren aktiv und damit kein kurzlebiges Phänomen. Schwarz fragt sich allerdings, wie lange der politische Aktivist Einfluss auf Trump persönlich ausüben kann. "Die vergangenen Jahre haben an zahlreichen Beispielen gezeigt, dass Personen aus Trumps nahem Umfeld schnell in Ungnade fallen und damit ihren Zugang verlieren können“, führt sie aus.

Doch bisher könnte es für Kirk nicht besser laufen. Aus Sicht des US-Medienexperten Jack Z. Bratich ist er mehr als nur eine Medienpersönlichkeit oder ein Social-Media-Influencer. "Er ist seit 13 Jahren ein führender Aktivist und damit ein Veteran der rechten Szene“, sagt er auf Anfrage unserer Redaktion. Bratich ist Professor für Medienwissenschaften und Journalismus an der Rutgers Universität in New Jersey.

Er erwähnt die beträchtlichen finanziellen Mittel, über die Kirk verfügt, um junge Menschen für rechtsextreme Ideologien zu gewinnen. Bekanntheit erlangte er unter anderem durch seine dreistündige Podcast-/Radiosendung "The Charlie Kirk Show“, aber der Durchbruch gelang ihm mit seinen Aktionen auf Social Media, wie seine Campus-Tourneen "You're Being Brainwashed" (auf Deutsch etwa: "Ihr werdet einer Gehirnwäsche unterzogen") und "Exposing Critical Racism" ("Kritischen Rassismus entlarven").

Zwischen Häme und Applaus: Charlie Kirk polarisiert mit seinen Debatten

Für Bratich sticht besonders hervor, dass Kirk Universitäten während der US-Wahl als wichtige "Schlachtfelder" erkannte. "Seine Bewegung TPUSA setzte sich stetig für Trump ein, indem Mitglieder an die Türen von Studentenverbindungen klopften, Stände aufbauten, Kundgebungen als Partys veranstalteten und Studenten bei Football-Tailgate-Partys rekrutierten“, sagt der Medienexperte. Sie mischten sich also unter die jungen Leute beim Trinken und Grillen auf Stadion-Parkplätzen vor den Spielen.

Besonders viral gehen aber Kirks Wortgefechte mit Andersdenkenden. Getarnt als "politische Debatten mit Studierenden" zielen sie "letztendlich darauf ab, die ‚Woken fertigzumachen‘“, meint Bratich. Kirk ist für seine aggressive Rhetorik bekannt, um junge Menschen zu mobilisieren und eine Gegenkultur zur sogenannten "liberalen Mainstream-Politik" zu etablieren. Bei manchen löst er damit Bewunderung aus, bei anderen Gelächter und Kopfschütteln.

Denn er habe eine "erstaunliche Bilanz" darin, Unwahrheiten zu verbreiten und diese dann bei Konfrontation zurückzunehmen oder zu leugnen, meint Bratich. Er führt aus: "Kirk redet ungestraft Unsinn, in der Hoffnung, dass die rhetorische Wirkung auf sein Publikum jede kognitive Reflexion überwiegt." Darin unterscheide er sich nicht von vielen rechten Rednern, einschließlich Trump. Der Unterschied besteht aber darin, dass er es in ein "klassisches christliches Paradoxon" kleidet, meint der Experte.

Sprich: "Kirk betont die moralische Ordnung und fördert gleichzeitig einen ausschweifenden Lebensstil mit Partys“. Als einen wichtigen Faktor nennt Bratich den Aufstieg des Christlichen Nationalismus, dem sich Kirk um 2020 herum offiziell anschloss.

Charlie Kirk surft zwischen Party und Bibel auf der Welle des Patriarchats

Die religiöse Rechte in den USA kämpft um die Vorherrschaft des Christentums. Dabei soll die Bibel als Gesetzesvorlage gelten. Abtreibung, gleichgeschlechtliche Ehen und Sex vor der Ehe lehnen sie strikt ab. "Diese Gruppen waren bereits seit Jahrzehnten auf den Campus aktiv und passten ihre religiösen Botschaften an die Jugendkultur an“, sagt Bratich. In den vergangenen 15 Jahren sei vor allem der Einfluss auf junge Männer in den USA gestiegen; der sich in einem "radikalen traditionellen Maskulinismus" zeige.

“Kirk greift das mit seinem Aufruf zu einer biblischen Ordnung in Geschlechterfragen auf. Er reitet auf der wachsenden Welle des Patriarchats“, führt der US-Experte aus. Als Teil des Vorstands von "Project 2025"und des christlich-nationalistischen Projekts sei Kirk daran beteiligt, säkulare Institutionen durch parallele religiöse Institutionen zu ersetzen, mit dem Ziel, eine Theokratie zu errichten. Zum Hintergrund: "Projekt 2025" steht in der Kritik als Entwurf für einen rigorosen Staatsumbau zur Autokratie unter Trump als US-Präsident.

Aus Sicht von Bratich hat Kirk Jahre damit verbracht, sich in die breiteren MAGA- und christlich-nationalistischen Bewegungen zu integrieren – mit Erfolg. Dabei setzen er und seine Bewegung TPUSA auf Strategien, die laut Schwarz auch in Ländern wie Deutschland zu beobachten sind.

Akteure wie Charlie Kirk gewinnen an Einfluss – auch in Deutschland

Als Beispiel nennt die Expertin die sogenannte Professor Watchlist” von TPUSA, über die Studierende Hochschullehrer melden, die angeblich "linke Propaganda" im Unterricht verbreiten. Das erinnert Schwarz an die Lehrermeldeportale der AfD. "Hier geht es um die gezielte Einschüchterung einzelner Personen, die zugleich eine Botschaft für Lehrer und Pädagogen sein soll, die sich gegen Demokratiefeindlichkeit und Diskriminierung einsetzen“, führt sie aus.

Es seien die multiplen Krisen der vergangenen Jahre, die in mehreren Ländern den Aufstieg rechter bis rechtsextremer Akteure und Parteien fördern. Viele von ihnen, wie Schwarz meint, machen insbesondere jungen Männern auf der Suche nach Orientierung ein identitäts- und sinnstiftendes Angebot. Was auch in Deutschland fruchtet.

Empfehlungen der Redaktion

Bei der Bundestagswahl 2025 ist die AfD unter den 18- bis 24-Jährigen zweitstärkste Kraft und punktet vor allem bei jungen Männern. Aus Sicht der Expertin verhilft am Ende eine Vielzahl an Akteuren wie Kirk Rechtsextremen zu Wahlerfolgen und befeuert die Hinwendung zum Autoritären.

Über die Gesprächspartner

  • Karolin Schwarz ist freie Autorin, Journalistin und Expertin für Desinformation, Rechtsextremismus im Netz und Rechtsterrorismus. Sie beschäftigt sich vor allem mit digitalen Ausprägungen des Rechtsradikalismus, der Schnittstelle zwischen Digitalem, Gesellschaft und Desinformation.
  • Jack Z. Bratich ist Professor für Journalismus und Medienwissenschaften an der Rutgers University in New Jersey. Sein Fokus liegt auf der Schnittstelle zwischen Popkultur und politischer Kultur. Derzeit arbeitet er an einem Buch mit dem vorläufigen Titel "Deathstyle Media: Digitale Kulturen der extremen Rechten“.

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