Weihnachtsware taucht immer früher im Supermarkt auf – oder täuscht der Eindruck? Ein Konsumentenforscher erklärt, wer sie kauft, wer davon profitiert und was Alternativen wären.

Ein Interview

Weihnachtsüßigkeiten in Spätsommer? Davon ist die Mehrheit der Deutschen nur wenig begeistert. Laut einer aktuellen Umfrage lehnen drei Viertel den Verkauf von Weihnachtsgebäck ab August ab. Nur vier Prozent der Befragten gaben an, schon im Spätsommer zuzugreifen bei Lebkuchen & Co. Die beliebtesten Monate bleiben November und Dezember, aber der Absatz geht seit 2022 zurück.

Konsumforscher Carsten Demming erklärt, ob frühe Verkäufe der Weihnachtsstimmung schaden.

Carsten Demming
Carsten Demming beschäftigt sich mit Consumer Insights & Innovation an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW). © Carsten Demming

Herr Demming, vielen Kunden fällt auf, dass Weihnachtsartikel wie Lebkuchen immer früher im Handel auftauchen, schon im Juli, August oder September. Täuscht dieser Eindruck?

Carsten Demming: Es gibt Daten und Aussagen aus dem Handel, die diesen Eindruck relativieren: Weihnachtsgebäck steht in der Regel spätestens Mitte bis Ende August im Regal. Dieser Zeitpunkt hat sich in den letzten Jahren nicht deutlich nach vorne verschoben. Das ist oft verzerrte Wahrnehmung der Verbraucher - sie sind jedes Jahr neu überrascht, wenn saisonale Artikel schon im Sommer im Supermarkt stehen.

Es gibt aber durchaus sehr frühe Ausreißer. Entscheidet das jeder Händler individuell?

Die Handelsbranche kann so etwas nicht einheitlich beschließen. Händler agieren im Wettbewerb und treffen dementsprechend keine Absprachen. Vielmehr spielen Produktions- und Logistikgründe eine große Rolle.

Können Sie das näher erklären - müssen die Hersteller so früh produzieren?

Weihnachtsgebäck wie Lebkuchen oder Spekulatius ist stark saisonal, hochvolumig und begrenzt haltbar. Um die Nachfrage im November und Dezember zu decken, müssen Hersteller spätestens ab Juni produzieren. Es ist unökonomisch, Maschinen nur zwei bis drei Monate im Jahr hochzufahren. Daher startet die Produktion früh und die Ware wird eingelagert, das ist günstiger als zusätzliche Maschinenkapazität vorzuhalten. Zudem versucht man, Ware früh in den Handel zu bringen, weil es Lagerkosten spart.

Wie bringen die Hersteller den Handel dazu: mit Preisnachlässen oder finanziellem Druck?

Das kann unterschiedlich aussehen: Preisaktionen oder Rücknahmegarantien. Letztere sind im Weihnachtsgeschäft nicht unüblich: Händler können nicht abverkaufte Artikel zurückgeben. Und für den Lebensmittelhandel verlängert ein früher Saisonstart die Verkaufsperiode und generiert Umsatz.

"Viele Käufe sind ungeplant: Kunden sehen die Artikel und nehmen sie mit."

Konsumforscher Carsten Demming über die Käufer von Weihnachtsartikeln im Spätsommer

Aber lohnt es sich denn für die Händler? Wer kauft schon im September Weihnachtsware?

Viele Käufe sind ungeplant: Kunden sehen die Artikel und nehmen sie mit. Es lohnen sich auch geringe Anfangsumsätze, oft nur im einstelligen Prozentbereich des Saisonumsatzes. Trotzdem gibt es diese Käufer. Weihnachtsartikel weisen zudem oft eine vergleichsweise hohe Marge auf.

Das bedeutet: Die Herstellung und der Bezug sind eher günstig, der Verkaufspreis vergleichsweise hoch. Warum verkauft sich die Marke "Weihnachten" so gut?

Weihnachten ist für viele positiv besetzt: Es steht für Belohnung, Familienzeit und Geborgenheit. Kaltes oder graues Wetter verstärken die Nachfrage nach Stimmungsaufhellern wie Schokolade.

Deshalb finden viele Verbraucher den Verkauf bei sommerlichen Temperaturen ja ärgerlich. Können frühe Angebote die Lust aufs Fest verderben oder zu Konsumrückgang führen?

Empörung über frühe Saisonware ist ein jährliches Phänomen, aber selten nachhaltig. Manche ärgern sich und kaufen trotzdem. Langfristig beeinflusst Empörung das Kaufverhalten kaum.

Gibt es Unterschiede zwischen Konsumenten – empören sich eher Ältere oder Religiösere?

Tendenziell sind jüngere Verbraucher weniger an Konventionen gebunden als ältere. Ältere halten stärker an traditionellen Zeitpunkten und Empfindungen fest. Diese sind für sie eher identitätsstiftend. Weihnachten ist mittlerweile eher kulturell als religiös verankert. Die Festlegung, wann etwas "dazugehört", variiert: In einigen osteuropäischen Ländern ist Lebkuchen weniger strikt an den Winter gebunden.

Wenn etwas nur zu bestimmten Zeiten verfügbar ist, steigt die Wertschätzung und Nachfrage in dieser Zeit.

Konsumforscher Carsten Demming über Saisonalität von Weihnachtsartikeln

Produzenten und Händler profitieren aber eher davon, wenn es eine Saison für Waren gibt?

Saisonalität schafft Erwartung und Vorfreude - und einen Knappheits-Effekt: Wenn etwas nur zu bestimmten Zeiten verfügbar ist, steigt die Wertschätzung und Nachfrage in dieser Zeit.

Kann ein früher Verkaufsstart den Effekt zerstören? Gerade in Zeiten, wo alles teurer wird?

Nicht zwangsläufig. Manche Käufer greifen früher zu, andere warten - der Vorfreudeeffekt bleibt. Wirtschaftliche Krisen verändern jedoch das Kaufverhalten: Bei knappem Budget steigt Nachfrage nach preisgünstiger Massenware, während Markenartikel unter Druck geraten. Zusätzlich kann Krisenstimmung aber auch zu mehr "Belohnungskonsum" führen - sprich: Genuss als Trost.

Was passiert mit überschüssiger Weihnachtsware - wird sie vernichtet oder umgeschmolzen?

Übrig gebliebene Ware wird überwiegend verramscht. Im Januar finden Sie vieles stark rabattiert; die Produkte sind oft noch mehrere Monate haltbar. Das Umschmelzen zu Osterware ist ein Mythos - ökonomisch, lebensmittelrechtlich und hygienisch wenig sinnvoll. Bei hochwertigen Marken wird eher darauf geachtet, nicht in zu Dumpingpreisen verkaufen, aber auch nicht großflächig vernichtet.

Ist früher Weihnachts-Verkauf alternativlos? Könnte man Produktion oder Verkauf ändern?

Grundsätzlich richtet sich der Handel nach dem Konsumentenverhalten. Wenn Kunden erst später kaufen wollten, würden Händler und Hersteller reagieren. So aber ist es wirtschaftlich für sie sinnvoll. Langfristig könnten Trends zu Gesundheit, Selbstoptimierung und Nachhaltigkeit etwas ändern.

Ist das gesamte System mit saisonaler Massenproduktion überhaupt nachhaltig?

Saisonalität, etwa zu Weihnachten, Mutter- oder Valentinstag, ist ökonomisch und ökologisch problematisch. Das führt oftmals zu Überhang, der reduziert, verkauft oder vernichtet werden muss, etwa bei Blumen. Nachhaltiger wäre eine gleichmäßigere Nachfrage und Produktion übers Jahr.

Also wäre es nachhaltiger, wenn wir das ganze Jahr über Lebkuchen essen würden?

Ja, das kann man so sagen (lacht).

Über den Gesprächspartner

  • Prof. Dr. Carsten Leo Demming beschäftigt sich mit Consumer Insights & Innovation an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) in Heilbronn und begleitet Unternehmen der Lebensmittelbranche in diesen Themen.

Verwendete Quellen