Wie ähnlich ist die Beziehung zu unserem Hund der zu einem Kind? Wie entsteht eine gute Bindung – und kann man Hunde vegan ernähren? Hundeexpertin Marie Nitzschner erklärt, was die Wissenschaft dazu sagt.
Jahrzehntelange Forschung hat unseren Blick auf Hunde grundlegend verändert. Heute sehen wir sie nicht mehr als reine Befehlsempfänger, sondern als soziale Begleiter, die unsere Gesten verstehen und unsere Emotionen lesen können – mit erstaunlichen Parallelen zur Eltern-Kind-Beziehung. Daraus lassen sich ganz praktische Dinge für das Zusammenleben mit Hunden ableiten. Ein Gespräch mit der Verhaltensbiologin Marie Nitzschner.
Was ist der größte Irrtum im Umgang mit Hunden, mit dem die Forschung in den letzten Jahren aufgeräumt hat?
Marie Nitzschner: Ich würde das gar nicht an einer konkreten Sache festmachen. Das Gesamtbild hat sich verändert: Hunde werden bei uns heute viel mehr als Sozialpartner oder Familienmitglieder gesehen und deutlich weniger als Nutztiere, die Haus und Hof bewachen.
Kann der Hund dem Menschen tatsächlich ein echter Sozialpartner sein?
Ja, definitiv. Die Studienlage zu Hund-Mensch-Bindungen und dazu, wie Hunde dieses Verhältnis empfinden, zeigt sehr klar, dass es starke Parallelen zur Eltern-Kind-Beziehung gibt.
Wie zeigt sich das?
Neuere Studien, die zum Beispiel Gehirnströme von Hunden messen, zeigen, dass wenn der Hunde ein Lob von seiner Bezugsperson hört, bei ihm ganz ähnliche Bereiche im Belohnungszentrum des Gehirns anspringen wie bei Kindern – und das passiert eben nicht, wenn sie das Lob von einer fremden Person bekommen.
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Andere Parallelen zeigen sich beim sogenannten Secure Base Effect und beim Safe Haven Effect. Der Mensch dient dem Hund als Sicherheitsbasis, von der aus er die Umgebung erkunden kann. Gleichzeitig weiß er, dass der Mensch der "sichere Hafen" ist, zu dem er jederzeit zurückkehren kann, wenn ihm etwas Angst macht. Das zählt zu den Kriterien der Bindungstheorie nach Bowlby, die ursprünglich für Menschen entwickelt wurde. Doch bei Mensch-Hund-Beziehungen verhält es sich ganz ähnlich.
Wie schnell entsteht eine solche Bindung?
Dazu gibt es eine spannende Studie aus den 1990er-Jahren. Darin hat eine Experimentatorin an drei Tagen für jeweils zehn Minuten mit Tierheimhunden sozial interagiert – also mit ihnen gespielt oder sie gestreichelt. Futter spielte dabei keine Rolle. Am dritten Tag, also nach insgesamt 30 Minuten Interaktion, wurde ein Bindungstest gemacht. Dabei schaut man sich zum Beispiel an, ob der Hund die Nähe des Menschen sucht, ob er Stressanzeichen zeigt, wenn der Mensch den Raum verlässt und ob er ihn freudig begrüßt, sobald er zurückkommt. Bei den Tierheimhunden in der Studie zeigte sich dieses typische Bindungsverhalten schon nach drei Tagen.
Wie kann ich die Bindung zu meinem Hund stärken?
Bindung entsteht im Alltag. Sie hat mit Vertrauen und Schutz zu tun, mit Zuverlässigkeit und Vorhersehbarkeit. Wenn ich mich auf meine Bindungspersonen verlassen kann, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich eine sichere Bindung zu ihr aufbaue, deutlich höher. Damit ist aber nicht gemeint, dass ich immer zur exakt selben Zeit spazieren gehen muss - es geht um Zuverlässigkeit im Sinne einer sozialen Interaktion: Ich weiß, du hilfst mir da durch, wenn ich mich in einer Situation unsicher fühle.
Das gilt so auch für Eltern-Kind-Beziehungen.
Genau. Für Kinder wie Hunde ist Verlässlichkeit entscheidend. Wenn in ähnlichen Situationen mal gelobt und mal getadelt wird, entsteht Unsicherheit. Etwa, wenn der Hund heute aufs Sofa darf, am nächsten Tag aber dafür geschimpft wird, weil er schmutzige Pfoten hat – auf den Hund wirkt das unberechenbar. Ein Ausrutscher zerstört nicht sofort die Beziehung, doch auf Dauer wird das problematisch. Dagegen helfen klare Regeln, etwa: Der Hund darf nur auf Einladung aufs Sofa. Dann gibt’s auch keinen Ärger bei Matschpfoten.
Suchen Hunde unsere Nähe, wenn wir traurig sind – oder bilden wir uns das nur ein?
Ob sich Hunde tatsächlich in unsere Stimmung hineinversetzen können, also empathisch sind, ist schwierig nachzuweisen. Vielleicht ist es auch "nur" Stimmungsübertragung: Der Hund merkt, dass irgendetwas komisch ist und reagiert darauf. Dabei lernt er schnell, dass immer, wenn Frauchen oder Herrchen so oder so drauf ist, ein bestimmtes Verhalten besonders gut ankommt. Hunde können ihre Menschen sehr genau lesen und passen sich dementsprechend an.
Wie lässt sich diese Stimmungsübertragung fürs Training nutzen?
In unsicheren Situationen ist es oft so, dass Hunde zunächst einmal bei ihrem Menschen "nachfragen", wie mit der Situation zu verfahren ist und sei es nur, indem sie ein Ohr nach hinten umklappen. Wenn ich als Mensch mit Anspannung zum Beispiel in die Hundebegegnung hineingehe, dann nimmt mein Hund das als Rückmeldung und denkt: Hier stimmt was nicht – Zeit für Eskalation. Umgekehrt kann ich die Unsicherheit meines Hundes durch diese Stimmungsübertragung aber auch positiv auffangen: Wenn er sich vor etwas gruselt, kann ich sagen "Guck mal, ist das toll! Prima! Wie spannend!" und nehme so der Situation den Schrecken.
Wie viele Wörter verstehen Hunde eigentlich?
Laut einer Umfragestudie verstehen Hunde im Durchschnitt 89 Wörter. Es sind also einige. Im Alltag mit unseren Hunden verwenden wir neben den üblichen Kommandos ja unglaublich viele Begriffe, so was wie "Frauchen kommt heim" oder "Jetzt gibt’s Abendessen", die Hunde im Kontext automatisch mitlernen.
Was verstehen Hunde besser – Wörter oder Gesten?
Hunde kommunizieren untereinander mehr über Körpersprache, Körperspannung und Mimik. Gesten liegen Hunden daher näher als Wörter. Das ist wichtig zu wissen, denn im Training kann es daher ganz leicht zur sogenannten Überschattung kommen: Die meisten Leute bringen ihrem Hund "Sitz" bei, indem sie sich vor ihn stellen, den Zeigefinger heben und das Kommando sagen. Dabei kann es passieren, dass der Hund die Situation lernt und nicht das Kommando. Das ist erst mal nicht schlimm, aber viele Leute ärgern sich dann, weil sie denken, der Hund kann doch "Sitz", und jetzt macht er es nicht – aus Sturheit. Dabei hat er es einfach anders gelernt.
Lernen Hunde auch durch Beobachtung?
Hunde sind echte Spezialisten im sozialen Lernen. Sie lernen sehr schnell, indem sie andere Hunde beobachten. Dabei können sie sich natürlich auch eine Menge Quatsch abgucken, aber man kann das super im Training nutzen, indem man etwas von einem anderen Hund vormachen lässt.
Auf Instagram sieht man oft Videos, in denen Frauchen ihren Mann für ein Verhalten belohnt – und der Hund es nachmacht. Können Hunde sich also durch Beobachtung von Menschen bestimmte Verhaltensweisen abschauen?
Das nennt man Model-Rival-Methode. Dabei übernimmt der Mensch die Rolle des Rivalen, wird für ein Verhalten belohnt und der Hund lernt durch Beobachtung. Gut erforscht ist das bei Papageien, bei Hunden gibt es nur wenige Studien – meist mit anderen Hunden als Rivalen. Für den Menschen als Rivale fehlt bisher der wissenschaftliche Nachweis, aber eine solche Studie wäre spannend.
Border Collies gelten allgemein als besonders intelligent. Woran erkennt man, ob ein Hund besonders klug ist?
Grundsätzlich gilt: Der eigene Hund ist immer der schlauste! Nein, das hängt zunächst einmal davon ab, wie man Cleverness definiert. Man sollte Intelligenz nicht mit der Fähigkeit gleichsetzen, Tricks zu lernen. Manche Hunde, wie Border Collies, haben von Natur aus Freude an solchen Aufgaben und kooperieren gerne. Andere Rassen, zum Beispiel Herdenschutzhunde oder viele Windhunde, haben einfach weniger Interesse daran – das bedeutet aber nicht, dass sie weniger intelligent sind. Sie wurden einfach nicht für diese Art der Kooperation gezüchtet.
Wir suchen uns Hunde gerne nach bestimmten Rassen aus – mit konkreten Erwartungen an ihre Eigenschaften. Wie viel lässt sich tatsächlich von der Rasse über das Verhalten ableiten?
In wissenschaftlichen Studien werden meist nicht einzelne Rassen, sondern Rassegruppen verglichen – etwa Hunde, die für Kooperation gezüchtet wurden, wie Hütehunde, versus solche, die für selbstständige Arbeit gezüchtet wurden, wie Herdenschutzhunde. Explizit selektierte Eigenschaften wie Hütetrieb oder Jagdverhalten haben dabei tatsächlich eine genetische Grundlage und hängen mit der Rassegeschichte zusammen. Andere Merkmale wie Kinderfreundlichkeit dagegen lassen sich daraus nicht zuverlässig ableiten. Selbst wenn eine Studie signifikante Unterschiede zeigt, bedeutet das nicht automatisch, dass sich das auf jedes einzelne Tier übertragen lässt. Individuelle Unterschiede wiegen oft stärker als rassespezifische Merkmale.
Es gibt immer mehr vegetarische und vegane Futtermittel für Hunde auf dem Markt. Das ist bei vielen umstritten - der Hund sei schließlich ein kleiner Wolf. Was sagt die Forschung dazu?
Das stimmt auf vielen verschiedenen Ebenen nicht. Hunde und Wölfe leben in komplett unterschiedlichen ökologischen Nischen. 75 Prozent der Hunde sind freilebend und müssen sich aber einen Großteil ihrer Nahrung selbst organisieren – und da macht Fleisch tatsächlich nur einen geringen Anteil aus. Das Nahrungsspektrum der Hunde hat sich durch das Zusammenleben mit Menschen einfach angepasst, auch auf genetischer Ebene. Dazu gibt es viele Studien. Hunde haben zum Beispiel eine deutlich höhere Anzahl an Genkopien für Amylase, also ein Enzym, das Stärke verstoffwechseln kann. Hunde können Stärke deutlich besser verdauen können als Wölfe – und damit sind sie eben nicht nur auf Fleisch in ihrer Ernährung angewiesen.
Das heißt, Hunde können durchaus vegetarisch oder vegan ernährt werden?
Es gibt noch keine Langzeitstudien dazu, aber theoretisch schon – allerdings muss man darauf achten, dass die Ernährung bedarfsdeckend ist und alle Nährstoffe enthält. Einfach das Fleisch wegzulassen und nur noch Nudeln mit Gemüse zu füttern, wäre sicher nicht ausreichend. Genauso wie es nicht ausreicht, nur bestes Rindfleisch zu servieren. Inzwischen gibt es einige Alleinfuttermittel für Hunde, die zu 99,9 Prozent vegan und bedarfsdeckend sind. Wer selbst für seinen Hund kochen will, sollte das aber unbedingt mit einer Tierärztin oder einem Tierarzt mit Spezialisierung auf Ernährung besprechen. Ob vegan oder nicht: Man kann dabei sehr viel falsch machen.
Viele schwören auch auf die Rohfütterung, weil es angeblich die natürlichste Fütterungsart ist.
Egal, bei welcher Fütterungsform: Die Frage ist immer, ob das Futter den Nährstoffbedarf des Hundes deckt. Rohfütterung kann funktionieren, wenn man einen ordentlichen Ernährungsplan hat, der idealerweise mit einer Fachperson abgesprochen ist. Bei der Rohfütterung besteht allerdings das relativ hohe Risiko, dass man sich irgendwelche Keime in den Haushalt trägt. Wenn kleine Kinder oder immunsupprimierte Personen im Haushalt leben, würde ich von Rohfütterung abraten, weil sie eine Quelle für viele verschiedene Keime sein kann. Selbst wenn der Hund keine Symptome zeigt, kann er über den Kot potenziell andere Hunde anstecken.
Ähnlich kontrovers wird diskutiert, ob der Hund Nass- oder Trockenfutter bekommen sollte. Was ist besser?
Wenn "Alleinfuttermittel" draufsteht, muss alles drin sein, was der Hund braucht – egal, ob Trocken- oder Nassfutter. Das ist allerdings nicht bei jedem Futter so. Wenn zum Beispiel "ohne Zusätze" draufsteht, dann klingt das zwar gut, es kann aber nicht bedarfsdeckend sein. Beim Erhitzungsprozess werden verschiedene Vitamine zerstört und müssen danach wieder zugesetzt werden, damit alle Nährstoffe enthalten sind.
"Wenn ich zu hoch einsteige, kann ich mir das Training auch kaputtmachen – und der Hund arbeitet dann nur noch für Leberwurst."
Wie wichtig ist das richtige Leckerli beim Training?
Das kommt sehr auf den Hund und seine Mitmachbereitschaft an. Ich würde immer dafür plädieren, es erst einmal mit einfachen Leckerchen zu probieren. Wenn ich zu hoch einsteige, kann ich mir das Training auch kaputtmachen – und der Hund arbeitet dann nur noch für Leberwurst. Man ist im Training aber auch nicht nur auf Leckerchen angewiesen.
Das heißt: Belohnen mit Lob statt Futter?
Bei vielen Hunden hat Lob tatsächlich einen ähnlich hohen Belohnungseffekt. Nicht bei allen Hunden, aber es gibt es viele Hinweise darauf, dass Lob die Motivation eher aufrechterhält, während Leckerchen die Motivation bei Hunden ein bisschen untergraben. Dann arbeitet der Hund vielleicht nicht mehr mit, weil er Bock darauf hat, sondern weil er Leckerchen dafür kriegt. Es gibt auch immer wieder mal Hunde, die gar nicht futtermotiviert sind – und die springen oft erstaunlich gut auf ein echtes, ernst gemeintes Lob an.
Wie sieht ein solches echtes, ernst gemeintes Lob aus?
Das ist tatsächlich etwas, das ich Leuten im Training ganz oft beibringen muss. Sie freuen sich zwar, wenn der Hund mitarbeitet – aber zeigen es nicht. Einfach mal nicht direkt in die Leckerli-Tasche greifen, sondern sagen: "Das hast du toll gemacht! Prima!" Manche Hunde können sehr hochdrehen, wenn man zu überschwänglich lobt. Wie euphorisch man lobt, muss man einfach bei sich und seinem Hund testen.
Über die Gesprächspartnerin
- Dr. Marie Nitzschner ist promovierte Verhaltensbiologin und hat zehn Jahre am Max-Planck-Institut in Leipzig über die kognitiven Fähigkeiten von Hunden geforscht. Sie ist Mitbegründerin von KynoLogisch, die wissenschaftlich fundierte Aus- und Weiterbildungen für Hundehalterinnen und -halter und Hundetrainerinnen und -trainer anbieten, und gibt als freischaffende Dozentin Vorträge und Seminare zu verschiedenen hundewissenschaftlichen Themen.
Hundeforschung trifft Alltag: KynoKon 2025
- Von 6. bis 8. Oktober 2025 dreht sich bei der "KynoKon – Wissenschaft für die Praxis" alles um aktuelles Wissen rund um den Hund. Expertinnen und Experten aus der Hundeforschung geben Einblicke in Themen wie Futtermythen, Epilepsie oder Kommunikation. Die Konferenz richtet sich nicht nur an Fachleute, sondern auch an interessierte Laien.