Wie spricht man mit Kindern angemessen über schreckliche Nachrichten? Das ist für Familien ein ständiges wichtiges Thema. Wenn wie im Fall Luise Kinder Opfer und Täter sind, stellen Kinder besondere Fragen. Wie wir behutsam mit solchen Themen umgehen.

Ein Interview

Die zwölfjährige Luise wurde vor knapp zwei Wochen von zwei Freundinnen mit einem Messer erstochen. Der Fall erschütterte das Land. Ob und wie Eltern mit ihren Kindern und Jugendlichen darüber sprechen können, erklärt Kinder- und Jugendpsychiaterin Renate Schepker im Interview.

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Sind im Fall Luise aus Freudenberg tatsächlich Kinder zu Mördern geworden?

Renate Schepker: Ob der Begriff "Mörder" hier zutrifft, ist fraglich. Die typischen Mordmerkmale Heimtücke, niedrige Beweggründe oder kaltblütig vorbereitet, dürften auf Taten von Kindern gerade nicht zutreffen. Es sind eher Merkmale wie "nicht kontrollierte Emotionen, zu wenig Vorausschau und Situationsüberblick". Aber dass Kinder auch die Fähigkeit haben zu töten, ist in der Welt verbreitet – in Kriegen haben wir es an vielen Orten mit "Kindersoldaten" zu tun. Und Kinder können daraus auch lernen, vorsichtig mit gefährlichen Gegenständen wie Messern umzugehen. Kinder können eine sehr durchgreifende Wut entwickeln, die eben auch "mörderisch" sein kann.

Wie Kinder auf schreckliche Nachrichten reagieren

Wühlt dieser Fall Kinder in besonderer Weise auf?

Jeder Tod greift in das Sicherheitsgefühl von Kindern ein. Aber es ist auch illusionär, Kinder nur im heilen Kokon groß werden zu lassen. Glücklicherweise ist eine Tötung eines Kindes durch ein anders Kind oder mehrere sehr, sehr selten. Je nach Alter des Kindes und Entwicklungsstand berührt es ein Kind mehr oder auch weniger. Kinder im Grundschulalter können zum Beispiel die Welt sehr sachlich auch ohne viel Emotionen zur Kenntnis nehmen – was nicht heißt, dass sie nicht auch traumatisiert werden können.

Sollten wir versuchen herauszufinden, ob unser Kind von solchen schrecklichen Nachrichten mitbekommen hat, um entsprechend sensibel darüber mit ihm zu sprechen? Oder sollte man warten, bis Kinder das selbst ansprechen?

Generell sollte man Kinder nie in Fragen "hineinreden", sondern sich einfach offen zeigen für Fragen aller Art. Dann kommen Kinder von selbst mit Fragen zu einem Zeitpunkt, an dem es ihnen wirklich passt.

Wie sprechen wir mit unserem Kind, wenn es uns danach fragt?

Ruhig, nicht verurteilend, nicht dramatisierend, denn wir waren nicht dabei und kennen die Vorgeschichte nicht. Auch sollten Eltern nichts verleugnen oder abwiegeln. Kinder haben ein Recht darauf, die Realität vermittelt zu bekommen. Allerdings kindgerecht, in verarbeitbaren Portionen – das heißt nur so viel, wie ein Kind Fragen stellt.

Kinder haben Fragen: "Sind diese Mädchen noch im Wald?"

Was könnten typische Fragen von unseren Kindern sein?

Wieso ist sie einfach tot? Warum haben die Kinder keine Hilfe geholt? Wieso hatten die ein Messer dabei? Sind die Eltern von Luise jetzt traurig? Ist Luise jetzt im Himmel? Sind die Mädchen jetzt im Gefängnis? Laufen die immer noch mit einem Messer durch den Wald?

Auch Jugendliche werden womöglich untereinander darüber sprechen. Wie rede ich als Elternteil mit ihnen darüber?

Mit Jugendlichen kann man viel besser über normale Wege der Streitschlichtung sprechen und über das Kontrollieren von eigener Gekränktheit und Wut – oder was immer man als Auslöser für die Tat annehmen könnte. Auch darüber, dass ab dem Alter von 14 Jahren in unserer Gesellschaft erwartet wird, dass man einer Freundin eine dumme Idee ausreden sollte und auf keinen Fall bei der Ausführung mitmachen sollte.

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Sollte ich dann auch das Thema Mobbing ansprechen? Und sollte ich dazu ermutigen, sich in solchen Fällen immer einem Erwachsenen anzuvertrauen?

Das hinge davon ab, was Kinder und Jugendliche über Mobbing in diesem Fall oder allgemein wissen. Vielleicht sollte man sich dem Thema vorsichtig annähern durch die Bemerkung: Wenn Opfer und Täter beziehungsweise Täterinnen sich kennen, geht es oft um die Beziehung von beiden. Vielleicht war da ein Problem zwischen denen. Vielleicht hat Luise die Probleme der anderen aber auch einfach nur "abbekommen". Sicher ist es immer gut, erst mit einem Erwachsenen des Vertrauens zu sprechen, anstelle "zur Tat zu schreiten".

Über die Expertin:
Prof. Renate Schepker ist Verstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Außerdem ist sie Chefärztin in der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters im ZfP Südwürttemberg in Ravensburg.
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