"Der Euro-Schreck stellt sich" – so hatte Günther Jauch das Live-Gespräch mit Griechenlands Finanzminister Gianis Varoufakis angekündigt. Doch am Sonntagabend zeigte sich Gianis Varoufakis von seiner zahmen Seite: Bei seinem Auftritt versuchte er, die Wogen zu glätten und für Sympathie zu werben. Für Aufregung sorgte jedoch ein Video des Politikers von 2013.

Mehr News zum Thema Wirtschaft

Was ist das Thema?

Nach einer besonders lauten Woche des Euro-Zanks zwischen Deutschland und Griechenland hätte Günther Jauch kaum einen besseren Gesprächspartner finden können: Per Video-Schalte aus Athen diskutiert der griechische Finanzminister Gianis Varoufakis erstmals live im deutschen Fernsehen. Und er nutzt die Zeit vor allem, um für sein Land und seine Regierung zu werben. Da stört es ihn auch wenig, dass er manchen Fragen ausweicht – etwa ob Griechenland noch vor Monatsende zahlungsunfähig sein könnte. Seine Antwort: "Diese Sorgen um unsere Finanzen berühren uns."

Varoufakis beschwört stattdessen lieber die europäische Einheit, häufig streut er Sätze ein wie: "Es ist Zeit, dass wir es in Europa schaffen, als ein Volk zu sprechen." Oder: "Europa sollte unzertrennlich sein, unteilbar." Man kann das als Ablenkung abtun, einerseits. Aber man merkt auch: Varoufakis möchte sich abgrenzen vom Krawall der vergangenen Wochen. Er wählt seine Worte sorgsam und betont mehrmals, wie wichtig es ihm sei, "präzise zu antworten". Hier spricht ein Mann, der die Gelegenheit nutzt, sich sachlich und ruhig den deutschen Zuschauern zu präsentieren.

Wer sind die Gäste?

Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) sagt in der Sendung das, was man von ihm kennt. "Es geht am Ende zu weit, wenn Griechenland Schulden gemacht hat und Deutschland die Schulden bezahlen soll". Und: "Wir sind wirklich hilfsbereit, aber sorry: Naiv sind wir auch nicht." Mit dem Politiker-Sprech sichert sich Söder zwar regelmäßig Applaus, trägt aber kaum zu einer konstruktiven Diskussion bei.

Anders hingegen Ulrike Herrmann. Die Wirtschaftskorrespondentin der "taz" versucht die komplexe Schuldenkrise realistisch zu erklären: "Selbst wenn man die Reichen besteuert, wird Griechenland seine Schulden nicht zurückzahlen können." Sie stößt sich vor allem an dem Vorwurf, die bisherigen Hilfen hätte wenig gebracht. Vielmehr sieht sie "eine Art Kreisverkehr", in dem Athen neue IWF-Gelder beständig dafür nutzen müsse, alte Kredite zu bezahlen: "In Griechenland ist nur ganz wenig Geld angekommen."

Dieser Kommentar gilt im Speziellen dem dritten Gast im Studio: Ernst Elitz. Der Kolumnist der "Bild" und Gründungsintendant des Deutschlandradios moniert, viel Geld sei in "schwarze Löcher geflossen". Bis auf ein paar plakative Phrasen ("Der Finanzminister hat heute wohl Weichspüler geschluckt") ist von Elitz allerdings nichts zu hören.

Was war der Moment des Abends?

Für Aufsehen sorgt vor allem ein Einspieler, in dem Gianis Varoufakis den Stinkefinger zeigt – gegen Deutschland, auf einer Konferenz in Zagreb 2013. Der Minister hingegen beteuert vehement, die Bilder seien montiert: "So etwas habe ich nicht gemacht, das Video ist getürkt", sagt Varoufakis empört (O-Ton: "doctored"). Ob das Material echt oder gefälscht ist, kann auch am Ende der Sendung nicht aufgelöst werden.

Ansonsten kommt es wegen der verzögerten Live-Übersetzung kaum zu Rede-Duellen. Nur einmal sprechen Söder und Varoufakis miteinander und nicht übereinander. Söder zitiert ein Interview mit Martin Schulz (Präsident des Europäischen Parlaments), das auf den Syriza-Partner Anel abzielt: "Beenden Sie die Koalition mit diesen Rechtsradikalen." Söder dazu: "Wo Herr Schulz recht hat, da hat er einfach recht." Varoufakis tadelt den Bayer sogleich: Kein ausländischer Politiker habe das Recht, "Instruktionen abzugeben gegenüber einer souveränen Nation".

Was war das Zitat des Abends?

Jauch fragt Varoufakis, ob die Regierung manche Wahlversprechen zum Unmut der griechischen Bevölkerung vielleicht nicht einhalten können wird. Der Minister holt daraufhin zu einer langen Antwort aus: "Schauen Sie in unser Programm, das ist ein Minimalprogramm. Wir haben nie einen Euro versprochen für Menschen, die oberhalb der Armutsgrenze leben. Das ist wichtig. Bei uns greift der Hunger um sich, Kinder werden in der Schule ohnmächtig wegen Mangelernährung, Tausende von Griechen leben auf der Straße – an die richten wir uns. Wir werden nichts tun, was unseren Primärüberschuss zu einem Primärdefizit macht."

Wie hat sich Günther Jauch geschlagen?

Jauch muss einen schwierigen Spagat meistern: Auf der einen Seite erwarten die Zuschauer, dass er die Chance nutzt und Varoufakis mit allen Streitigkeiten konfrontiert. Zugleich will der Moderator aber nicht der Oberlehrer sein, der Hellas anprangert. Diese Aufgabe scheint Jauch zu liegen. Er ackert viele Punkte ab wie Steuern, die Forderung nach deutschen Reparationen oder die griechische Drohung, Europa mit Migranten zu überfluten. Jauch lässt Varoufakis ausreden, unterbricht ihn aber auch, etwa wenn dieser von "unbedeutenden kleinen Liquiditätsproblemen" spricht.

Was ist das Ergebnis des Abends?

Zwar bringt der Abend wenig neue Fakten, aber einen versöhnlichen Ton. Die Migranten-Drohung seines Anel-Kollegen aus dem Verteidigungsministerium kommentiert Varoufakis eindeutig: "Ich habe es selbst nicht gehört. Aber wenn er das so gesagt hat, distanziere ich mich davon."

Auch beim Thema Reparationen gibt er sich offen: Ulrike Herrmann regt an, dass Deutschland den Zwangskredit der Nationalsozialisten zurückzahlen solle – die elf Milliarden Euro aber nicht in den Athener Haushalt fließen, sondern in eine Stiftung für ein deutsch-griechisches Jugendwerk, um die Verständigung beider Länder zu verbessern. Und Varoufakis scheint nicht abgeneigt. "Wir sollten die Schulden Griechenlands trennen von dieser moralischen Frage, die zurückreicht in die 1940er-Jahre", sagt er.

Wie ernst gemeint die sanften Worte an diesem Abend aber tatsächlich sind, werden die Gespräche der kommenden Wochen zeigen müssen.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.