Eidechsenpulver für volleres Haar, zermahlene Pfirsichkerne gegen Migräne? Bei einem Zufallsfund haben Forschende herausgefunden, dass sich die Menschen im Mittelalter bereits intensiv mit ihrer Gesundheit auseinandersetzten – und dass einige der Anwendungen auch heute noch im Trend liegen.
Das Mittelalter war in der Vorstellung vieler Menschen eine düstere Zeit: Hexenverbrennungen, brutale Folter und Kriege waren an der Tagesordnung, die Menschen rückschrittlich und unwissend. Doch jetzt hat ein internationales Forschungsteam herausgefunden, dass die Menschen damals zumindest viel mehr an ihrer Gesundheit interessiert waren, als bisher angenommen.
Medizinische Anleitungen zwischen anderen Texten
Das Team fand etwa Anleitungen für medizinische Anwendungen oder Schönheitsbehandlungen, von Saftkuren über spezielle Haarmasken, auf die sie zufällig bei der Sichtung nicht-medizinischer Bücher stießen – beispielsweise an den Rand von Manuskripten geschrieben, in denen es um Grammatik, Theologie oder Poesie ging.
Der Fund umfasst inzwischen knapp 200 Manuskripte, in denen medizinische Inhalte entdeckt wurden. Dadurch verdoppelte sich die Anzahl bisheriger bekannter Schriften zu medizinischen Themen aus dieser Epoche. Das Forschungsteam verbrachte die letzten zwei Jahre damit, Manuskripte aus ganz Europa zu sichten und ihre Ergebnisse zusammenzufassen, die online verfügbar sind.
Rezept für Eidechsenshampoo gefällig?
Diese zusätzlichen Schriften zeigen, dass die Menschen im Mittelalter bereits versuchten, Krankheiten vorzubeugen, und wie kreativ und alltagsnah mittelalterliche Medizin offenbar schon war.
"Es finden sich fantastische Dinge darunter – Superdrinks für jeden Monat des Jahres, Diättipps, Mittel zur Haut- und Haarpflege und jede Menge Hausrezepte für alle möglichen Alltagsleiden (ja, auch gegen Hämorrhoiden)", sagt Carine van Rhijn, Dozentin für mittelalterliche Geschichte an der Universität Utrecht, in einem Blog-Eintrag.
So fanden sie beispielsweise ein Rezept für Eidechsenshampoo am Rand eines Priesterbuchs. Darin heißt es: "Für wallendes Haar. Bedecke den ganzen Kopf mit frischem Sommerbohnenkraut und Salz und Essig. [Dann] reibe ihn mit der Asche einer verbrannten grünen Eidechse, vermischt mit Öl."
Für van Rhijn war dies äußerst interessant, wie sie in einem Interview sagte: "Das regte meine Fantasie an: Hat sich dieser Priester etwa Sorgen um seine Haare gemacht, während er seine Predigt vorbereitete?" Je nach Kontext könnte das Rezept auch als ein Heilmittel gegen Haarausfall gewertet werden – auch heute noch ein bewegendes Thema für viele.
Gesundheitstipps aus dem 9. Jahrhundert
Bei vielen der Rezepte geht es um Körper- und Gesundheitsprobleme, mit denen wir uns auch heute noch beschäftigen. So finden sich beispielsweise heute auf TikTok Anleitungen zu Saftkuren, wie bereits in vielen Handschriften im 9. Jahrhundert. Dort nennt es sich "Zwölfmonats-Regime" und empfiehlt den Verzehr von aufgegossenen oder zerstampften Substanzen wie Zimt im November oder Sellerieblüten und Weinblüten im Juli.
Auch gegen die Volkskrankheit Kopfschmerzen finden sich damals Anleitungen: Zerriebene Pfirsichkerne vermischt mit Rosenöl auf der Stirn sollen helfen. Und tatsächlich: 2017 hat eine Studie nachweisen können, dass Rosenöl bei Migräneschmerzen unterstützen kann.
"Viele Dinge, die man in diesen Manuskripten findet, werden derzeit online als alternative Medizin beworben, aber es gibt sie schon seit Tausenden von Jahren", bestätigt auch Meg Leja, Mitglied des Forschungsteams von der Binghamton University.
Empfehlungen der Redaktion
Mittelalter-Medizin wirksamer als gedacht
Dass bereits im Mittelalter erforschte und angewandte Heilmittel bei gesundheitlichen Problemen wirksam sind, wurde in den letzten Jahren immer wieder nachgewiesen. So entdeckten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei der Untersuchung eines tausend Jahre alten Rezepts von Augensalbe, dass diese deutlich wirksamer gegen einige Bakterienstämme war als unsere heutigen Antibiotika.
"Sie waren auf der Suche nach Heilmitteln, wollten die Natur beobachten und in dieser als 'dunkles Zeitalter' bekannten Epoche alle Informationen notieren, die sie finden konnten", fasst Leja zusammen.
Verwendete Quellen
- Studie zu Augensalbe: Anti‑biofilm efficacy of a medieval treatment for bacterial infection requires the combination of multiple ingredients
- Studie zu Rosenöl: Efficacy of topical Rose (Rosa damascena Mill.) oil for migraine headache: A randomized double-blinded placebo-controlled cross-over trial
- Blogeintrag Carine van Rhijn
- Interview mit Carine van Rhijn: Lizard shampoo in a priest's book: Medieval medical texts in unexpected places
- Pressemitteilung: Medieval medicine was smarter than you think – and weirdly similar to TikTok trends
- Katalog Corpus of Early Medieval Latin Medicine