Eine Frage, mehrere Antworten: Manchmal hilft es, ein Problem aus mehreren Perspektiven zu betrachten. In unserem Format "... und jetzt?" beantworten Menschen mit ganz unterschiedlichen Expertisen die intimen Fragen unserer Leserinnen und Leser. Diesmal geht es darum, wie man Liebe und Sex außerhalb einer Beziehung finden kann.

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Es gibt mehr als schwarz und weiß, richtig oder falsch. Eigentlich wissen wir das. Doch wir haben uns daran gewöhnt, laute, einfache Antworten zu akzeptieren oder nur die Meinung zu hören, die uns unser Algorithmus vorgibt. Doch die Welt ist komplexer. Und das, was für jede und jeden von uns richtig sein kann, ist es auch.

Hier finden Sie auch frühere Ausgaben von "... und jetzt?"

Unsere Leserinnen und Leser haben uns für dieses Format intime Fragen geschickt, die sie beschäftigen. Wir haben diese Fragen mit unterschiedlichen Menschen besprochen und unterschiedliche Antworten erhalten, die sich mal ergänzen, mal widersprechen.

Eine Frage – verschiedene Antworten

In unserer neuen Ausgabe hat sich eine Person Antworten auf die folgende Frage gewünscht:

"Seit über 20 Jahren verheiratet, zwei Kinder, beide Partner berufstätig. Keine Lust auf Sex, auf den Partner, auf gar nichts mit dieser Person. Muss man ehrlich zu sich selbst sein, einen Schlussstrich ziehen und sich trennen? Das Einzige, was noch zusammenhält, sind die Kinder."

Hier lesen Sie die Antworten, die uns Expertinnen und Experten auf die Frage gegeben haben:

Simon B. Eickhoff: Was das Gehirn mit Liebe macht

"Mit konkreten Ratschlägen können besser die Paartherapeuten unterstützen, aber ein, zwei Gedankenanregungen kann ich aus dem neurowissenschaftlichen Bereich gerne einbringen. Hier spielt das Belohnungssystem eine entscheidende Rolle, in den frühen Phasen einer Partnerschaft dominieren die Glückshormone.

Simon Eickhoff
Simon Eickhoff © FZJ/Sascha Kreklau

Das ist aber ein Effekt, der sich mit der Zeit, rein neurobiologisch, reduziert, da Dopamin, ein zentraler Neurotransmitter für Glücksgefühle, eng an die Erwartungshaltung und an Überraschungsmomente gekoppelt ist. Es ist also nachvollziehbar, dass dieser 'Kick-Aspekt' nach einer gewissen Zeit in der Beziehung nachlässt. Die Partnerschaft wandelt sich dann von den sehr dynamischen Glücksmomenten zu einer Beziehung, in dem die sozialen Aspekte wie Vertrauen und Vertrautheit eine größere Rolle spielen als die kurzfristigen Emotionen.

Wie genau dieser Übergang abläuft, ist individuell verschieden und hängt auch von der jeweiligen Paardynamik ab. Grundsätzlich kann man aber aus neurobiologischer Sicht nicht erwarten, dass dieses 'Schmetterlinge-im-Bauch-Gefühl', dieses Kribbeln, das mit der Erwartungshaltung und akuten Dopaminausschüttungen zusammenhängt, über Jahre oder gar Jahrzehnte unverändert bestehen bleibt."

Zur Person

  • Prof. Dr. Simon Eickhoff leitet das Institut für Systemische Neurowissenschaften am Universitätsklinikum Düsseldorf und das Institut für Neurowissenschaften und Medizin am Forschungszentrum Jülich.
  • Seine Forschungsschwerpunkte sind die Gehirnorganisation und neue diagnostische Ansätze für neurologische und psychiatrische Erkrankungen. Dabei setzt er auf Künstliche Intelligenz.

Torsten Geiling: Drei Fragen, die man sich stellen sollte

"In einer solchen Situation sollte man sich zuerst mit sich selbst beschäftigen, bevor man sich die Frage stellt, ob der Partner noch passt. Ich arbeite oft mit einem Dreischritt:

  1. Wer bin ich eigentlich? Habe ich mich im Laufe der Jahre verändert? Bin ich noch der, der ich einmal war? Wahrscheinlich nicht, denn Kinder und andere Entwicklungen im Leben haben vieles verändert.
  2. Was will ich noch in meinem Leben? Oft kommt dann die Erkenntnis: Die gemeinsame Zeit war wertvoll, aber die sexuelle Anziehungskraft ist weg. Vielleicht fragt man sich morgens, warum dieser Mensch noch neben einem im Bett liegt. Und dann muss man ehrlich zu sich selbst sein und sich fragen, ob man mit diesem Menschen noch sein Leben verbringen möchte.
  3. Wie geht es weiter? Wenn noch Gefühle da sind, kann man gemeinsam daran arbeiten, sich wieder anzunähern. Dazu gehört eine offene Kommunikation, man kann zum Beispiel das Gespräch suchen und sagen: 'Ich finde dich nicht mehr attraktiv, du hast dich verändert – ich mich vielleicht auch. Wollen wir etwas dagegen tun?'
Torsten Geiling
Torsten Geiling © Torsten Geiling

Aber wenn man merkt, dass man inzwischen völlig unterschiedliche Lebensvorstellungen hat, dann muss man ehrlich sein. Der eine sitzt lieber zu Hause und schaut Fußball, der andere geht gerne aus - dann passen die Lebensvorstellungen nicht mehr zusammen.

Eine Trennung kann dann die bessere Lösung sein, weil sie beiden die Chance gibt, etwas Neues zu beginnen."

Zur Person

  • Torsten Geiling ist Kommunikationswissenschaftler und systemischer Coach. Er berät und begleitet Menschen, die sich trennen wollen, vor, während und nach einer Trennung.
  • Er schreibt Ratgeberbücher wie "Ich will mich trennen". Sein neues Buch trägt den Titel "Du wusstest doch, dass ich Kinder habe!".

Michael Kühler: Will ich noch, dass es meinem Partner gut geht?

"So allgemein lässt sich das nicht sagen. Unter Umständen kann es die richtige Entscheidung für alle Beteiligten sein, die Ehe zu beenden. Man muss sich fragen, was in der eigenen Biografie, vor allem in der Partnerbiografie noch da ist.

Prof. Dr. Michael Kühler
Prof. Dr. Michael Kühler © Fachhochschule Dortmund/Florian Freimuth

Ein Kernbestandteil der Liebe, ist, zu wollen, dass es der anderen Person gutgeht. Will ich selbst noch dazu beitragen? Wenn ich merke, ich will das nicht mehr, spricht vieles dafür, dass keine Liebe mehr vorhanden ist. Es ist immer eine Entscheidung, eine Partnerschaft zu führen. Die Frage ist: Habe ich noch Gründe dafür, diese Partnerschaft fortzuführen? Und das liegt unter anderem daran, ob mir die Person erstens noch am Herzen liegt, ob ich also will, dass es ihr gut geht. Und inwiefern ich selbst noch dazu beitragen will.

Nehmen wir mal an, die Kinder sind auch aus dem Haus. Diese Verantwortung gibt es nicht mehr. Dann ist die allgemeine Frage: Wie will ich mein eigenes Leben gestalten und stelle ich es mir noch mit dieser Person vor?"

Zur Person

  • Prof. Dr. Michael Kühler hat die Professur für "Angewandte Ethik in der gesellschaftlichen Verantwortung" an der Fachhochschule Dortmund.
  • Einer seiner Arbeitsschwerpunkte ist die Philosophie der Liebe.

Tanja Hoyer: Mit Abstand hinschauen

"Ich würde immer erst zu einem Paartherapeuten oder einem Berater raten und in zwei, drei Sitzungen gemeinsam auf die Beziehung schauen. Soll es noch was Gemeinsames geben für die Zukunft oder eben nicht.

Tanja Hoyer
Tanja Hoyer © privat

Es ist schwierig eine Antwort zu finden, wenn man in einer Beziehungsdynamik steht, die sich wie ein Teufelskreis anfühlt. Es ist immer gut, wenn man jemanden hat, der von außen mit auf die Beziehung guckt und neue Perspektiven ermöglicht.

Manchmal kann man bewusst mit dem arbeiten, was noch da ist, und schauen, warum man keine Lust mehr auf den Partner hat. Das kann dafür sorgen, dass die Partner nochmal neu neugierig aufeinander werden. Es kann aber auch für ein Bewusstsein sorgen dafür, dass die Ehe gescheitert ist, wenn man mit einer Paarbegleitung ehrlicher wird.

Kinder allein sind kein Grund, um zusammenzubleiben. Die Kinder bekommen mit, dass die Eltern unzufrieden sind, und lernen in einer solchen Situation dann maximal, dann man es aushalten muss, wenn man unglücklich ist. Kinder tragen dann sehr viel Verantwortung."

Zur Person

  • Tanja Hoyer führt eine eigene Praxis im Bereich Sexual- und Paarberatung, Körperarbeit und sexueller Aufklärarbeit.
  • Sie leitet Workshops, gibt Vorträge und Interviews zum Thema Sexarbeit, der sie selbst zehn Jahre lang nachgegangen ist.

Paula Lambert: Ehrlich sein, wenn die Liebe vorbei ist

"Viele Leute denken, sie müssten der Kinder wegen zusammenbleiben. Doch wenn man die Kinder fragt, wenn sie erwachsen sind, sagen sie oft: 'Eigentlich hätten sich meine Eltern schon viel früher trennen sollen – das wäre besser für uns alle gewesen.'

Paula Lambert
Paula Lambert © Lydia Gorges

Ich finde, man sollte ehrlich leben. Wenn eine Beziehung vorbei ist, dann ist sie vorbei. So traurig das für alle Beteiligten auch sein mag: Es ist immer besser, ehrlich damit umzugehen und der alten Beziehung positiv und vor allem auch wertschätzend gegenüber zu stehen. Schließlich gab es einmal eine große Zuneigung. Vielleicht hat die Entwicklung der letzten Jahre dazu geführt, dass man sich auseinander bewegt hat, aber trotzdem kann man diese alte Beziehung durchaus würdigen und dementsprechend auch würdevoll beenden.

Niemand verdient es, in einer Beziehung gehalten zu werden, obwohl er oder sie nicht mehr geliebt oder begehrt wird. Das ist einfach unfair. Erstens allen Beteiligten gegenüber und zweitens ist es eine unglaubliche Lebenszeitverschwendung."

Zur Person

  • Die Journalistin und Podcasterin Paula Lambert ist Expertin für Liebes- und Sexfragen.
  • Sie hat mehrere Bücher über Beziehungen geschrieben und gibt in ihrem Podcast "Paula Lieben Lernen" sowie auf Instagram (@therealpaulalambert) Tipps zu Liebe, Sex und Partnerschaft.

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