Nach dem Knalleffekt am Freitag ist klar: Österreich muss seinen Bundespräsidenten erneut wählen. Doch zum Verdauen bleibt dem Wähler wenig Zeit, denn die nächsten offenen Fragen stehen bereits im Raum: Wird es künftig keine Hochrechnungen mehr geben? Die Verfassungsrichter haben die Wahl nämlich nicht nur durch nachgewiesene Unregelmäßigkeiten bei der Stimmauszählung aufgehoben, sondern auch aufgrund der Vorabinformierung von Medien.

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Jahrzehntelang hat das Innenministerium ausgewählten Redaktionen bereits vor Wahlschluss Teilergebnisse übermittelt. Die Medien und Wahlforscher hatten damit ihre Hochrechnungen kalkuliert. Das Verfassungsgericht macht dieser Praxis nun einen Strich durch die Rechnung. Bei der Wiederholungswahl ist damit Schluss: Das Innenministerium darf bis zum Wahlschluss keine einzige Zahl zur Verfügung stellen, lautet der Spruch der Verfassungsrichter. Ihre Begründung: "Es verletzt den Grundsatz der Freiheit der Wahl, wenn staatliche Stellen (das Innenministerium) Informationen über eingelangte Auszählungsergebnisse vor Wahlschluss an ORF, APA, andere Medien oder Forschungsstellen weitergeben, gleich, unter welchen Auflagen."

Gemeint ist damit die sogenannte Sperrfrist, unter der Wahlergebnisse zur Erstellung von Hochrechnungen vorab weitergegeben wurden. Ein Durchsickern an die Öffentlichkeit kann damit nicht ausgeschlossen werden. Die Richter setzen damit ein Zeichen: "Dass dies eine jahrzehntelange Praxis war, ändert daran nichts."

Droht jetzt das Aus für Hochrechnungen?

Nein, denn Hochrechnungen sind nach wie vor ein Akt der freien Meinungsäußerung und demnach durch die Verfassung abgesichert. Selbst der FPÖ-Anwalt Dieter Böhmdorfer hält dies in der offiziellen Wahlanfechtung der Partei fest. Doch die Vorab-Herausgabe der Teilergebnisse sei ungesetzlich. Der Vorwurf der Blauen, diese Praxis könnte das Wählerverhalten beeinflussen, wurde nun durch die Verfassungsrichter bestätigt. An den Wahlschluss um 17:00 Uhr wird sich die Wahlleitung auch künftig halten, bestätigte Innenminister Wolfgang Sobotka am Freitag der Presse.

Bei der Wiederholungswahl heißt es also "Bitte warten!". Das Innenministerium selbst wird ein Ergebnis dann erst am Montag mitteilen, so Sobotka. Das ist das Aus für das vorläufige Endergebnis am Wahlabend. Hochrechnungen wird es dennoch geben, bestätigen Journalisten kurz darauf auf Twitter. Die Redaktionen könnten, falls das Ministerium keine Zahlen weiterleitet, ebenso den direkten Weg über die Wahlbeisitzer gehen, um mit deren Resultaten ein mögliches Endergebnis hochzurechnen.

Allerdings dürfen auch die Beisitzer kein amtliches Ergebnis vor Wahlschluss verlautbaren.

Christoph Hofinger, der Chef des Meinungsforschungs-Instituts SORA, das üblicherweise die Hochrechnungen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ORF) durchführt, sieht das anders: "Wenn das Innenministerium das streng umsetzt, wird es um 17.00 Uhr keine Hochrechnungen mehr geben können". Hofinger zeigte sich dennoch "gelassen" und unbeeindruckt vom Richterspruch. Es wäre "gut, wenn alle Hochrechner um 16:30 Uhr Daten bekommen. Das beeinflusst die Wahl nicht". Die erste Hochrechnung wäre dadurch aber präziser, so Hofinger am Freitag im Interview mit der Austria Presse Agentur (APA).

Welche Alternativen gibt es?

Alternativ zu den Hochrechnungen können auch sogenannte Exit Polls zur Wahlforschung herangezogen werden. Dabei werden die Wähler direkt nach der Stimmabgabe anonym und schriftlich zu ihrem Wählerverhalten befragt. Auch da kann ein Durchsickern der Prognosen vor Wahlschluss um 17 Uhr passieren, wie die Bundestagswahl 2009 gezeigt hat.

Der österreichische Blogger und Journalist Martin Thür kritisiert die mangelhafte Übermittlung von Daten in der Behördenpraxis. "Es fehlt an Standards, Infrastruktur und Transparenz", so Thür. "Die Infrastruktur dafür stammt noch aus dem vorigen Jahrtausend, eine Modernisierung ist zurzeit nicht in Sicht, es fehlt dem Ministerium an Geld. Auch Landeswahlbehörden geben Wahldaten in unterschiedlichsten Formaten aus."

Nur transparente und zuverlässige Übermittlungsmethoden könnten den Verschwörungstheorien, wie jeder von der Stichwahl zur Bundespräsidentenwahl, entgegenwirken, versichert Thür.

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