Wer unter toxischer Produktivität leidet, hat das Gefühl, ständig etwas leisten zu müssen. Pausen und Erholung kommen zu kurz. Auf lange Sicht ist das schädlich.

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Schon wieder eine Aufgabe erledigt – und weiter zur nächsten: Produktiv zu sein, fühlt sich gut an. Viele Menschen genießen es, Dinge zu schaffen. Doch bei manchen kippt dieses positive Gefühl in eine toxische Produktivität.

Laut Steffen Häfner, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, spricht man davon, wenn Menschen ständig den Drang haben, etwas zu erledigen. "Es geht nicht mehr nur darum, gerne zu arbeiten oder Ziele zu erreichen, sondern darum, sich pausenlos zu beschäftigen – selbst auf Kosten der eigenen Gesundheit."

Teufelskreis aus Überforderung und Erschöpfung

Produktivität an sich ist positiv: Sie stiftet Sinn, steigert die Zufriedenheit und setzt Dopamin frei, was zufrieden macht. Doch ob dieses Gefühl nachhaltig ist, hängt davon ab, ob Produktivität gesund oder toxisch ist, erklärt Häfner.

Gesunde Produktivität bedeutet, sich realistische Ziele zu setzen, Pausen einzuplanen und ein Gleichgewicht zwischen Arbeit und Erholung zu finden. "Diese Art der Produktivität ist langfristig erfüllend und fördert das Wohlbefinden", sagt der Psychologe.

Toxische Produktivität dagegen führt zu dem Gefühl, nie genug zu leisten. Wer betroffen ist, arbeitet wie getrieben, gönnt sich keine Erholung und empfindet Schuldgefühle, wenn er doch einmal nichts tut. Pausen erscheinen als Zeitverschwendung. "Statt eine gesunde Balance zwischen Anstrengung und Erholung zu finden, geraten Betroffene in einen Teufelskreis aus Überforderung, Erschöpfung und dem Gefühl, nie genug zu leisten", warnt Häfner.

Besonders gefährdet sind Menschen mit hohen Ansprüchen an sich selbst und Personen, die sich über ihre Leistung definieren oder unter starkem Druck stehen – etwa Studierende, Selbstständige oder Menschen in anspruchsvollen Berufen. "Dazu kommen Personen, die Angst vor Stillstand haben und sich nur wertvoll fühlen, wenn sie produktiv sind", sagt der Psychologe.

Betroffene ignorieren Warnsignale

Das Problem: Wer sich ständig überfordert, gönnt sich keine Pausen und ignoriert Warnsignale des Körpers wie Müdigkeit oder Konzentrationsprobleme. Dauerhafter Stress kann zu Burnout, Schlafstörungen, Angstzuständen und Depressionen führen. Zudem leiden oftmals auch persönliche Beziehungen, weil die Arbeit über allem steht.

Toxische Produktivität bringt also auf lange Sicht nichts. Wer sich darin wiedererkennt, sollte bewusst Pausen einlegen, Prioritäten überdenken – und lernen, sich auch ohne ständige Leistung wertzuschätzen. "Echte Produktivität braucht ein gesundes Gleichgewicht zwischen Arbeit und Erholung", sagt der Psychologe.

Toxische Produktivität: 6 Fragen zum Selbstcheck

Woran erkennt man, dass man selbst zu toxischer Produktivität neigen könnte? Wenn die Antwort auf die meisten der folgenden Fragen "Ja" lautet, könnte das ein Hinweis sein:

1. Vermeiden Sie Pausen, weil Sie das Gefühl haben, immer etwas tun zu müssen? Haben Sie Angst, Zeit zu verlieren oder faul zu sein, und essen deshalb Ihr Mittagessen nebenbei am Schreibtisch?

Es ist wichtig, sich Zeit für sich selbst zu nehmen und sich zu entspannen. "Ohne ausreichende Erholung sinkt die Leistungsfähigkeit und das Immunsystem wird geschwächt", warnt Häfner. "Langfristig kann Stress das Wohlbefinden beeinträchtigen und das Risiko für ein Burnout sowie für chronische Krankheiten stark erhöhen."

2. Arbeiten Sie auch außerhalb der regulären Arbeitszeiten, checken Sie ständig E-Mails oder fühlen Sie sich verpflichtet, nach Feierabend weiterzuarbeiten?

Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen, die Anspannung bleibt hoch – und die Erholung fehlt. "Weil auch das Sozialleben für die Arbeit vernachlässigt wird, wachsen Isolation und Einsamkeit", sagt der Psychologe.

3. Fühlen sich Dinge, die Ihnen früher Spaß gemacht haben, wie Hobbys oder Zeit mit Freunden, jetzt wie Zeitverschwendung an, weil Sie sich nur noch auf die Arbeit fokussieren?

"Hobbys und soziale Aktivitäten sind wichtig für das psychische Gleichgewicht", sagt der Experte. Ohne einen Ausgleich steigt das Risiko für emotionale Erschöpfung und Depressionen.

4. Arbeiten Sie, selbst wenn Sie krank sind?

Das verzögert die Genesung und schwächt das Immunsystem. "Wer krank arbeitet, ist zudem meist weniger effizient und macht mehr Fehler", warnt Häfner. Daher helfe eine Ruhephase langfristig viel mehr.

5. Haben Sie zu hohe Ansprüche an sich selbst und sind nie zufrieden mit der Qualität Ihrer Arbeit? Und versuchen Sie, jedes Detail zu optimieren?

Es ist fast unmöglich, immer perfekte Ergebnisse zu erzielen. Daher führt Perfektionismus zu einer starken Belastung. "Er verzögert Entscheidungen und sorgt für unnötigen Stress", sagt der Experte.

6. Verknüpfen Sie Ihren Selbstwert direkt mit Ihrer Produktivität und fühlen Sie sich schlecht, wenn Sie nicht ständig etwas erreichen?

Wer sich nur über die Leistung definiert, hat oft den Eindruck, dass es nicht reicht. "Solange die Chance besteht, noch mehr zu erreichen, haben Betroffene meist weiterhin das Gefühl, nicht gut genug zu sein – selbst, wenn sie 100 Prozent geben", sagt Häfner. Menschen mit einem geringen Selbstwertgefühl neigen dazu, weit über die eigenen Belastungsgrenzen hinausgehen. "Dadurch können mentale Gesundheitsprobleme wie Angstzustände und Depressionen entstehen", warnt der Experte.

Über den Gesprächspartner

  • Steffen Häfner ist Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und Ärztlicher Direktor der Klinik am schönen Moos.