Schlank werden ohne Spritze? Das erhoffen sich viele durch eine neue "Abnehmpille". Eine Expertin erklärt, wie Orforglipron im Vergleich zu "Abnehmspritzen" abschneidet, welche Risiken Fachleute sehen und wann eine Zulassung realistisch ist.

"Abnehmspritzen" wie Ozempic haben in den letzten Jahren Schlagzeilen gemacht, weil viele Prominente damit schlagzeilenträchtige Abnehmerfolge feiern konnten. Dabei sind die Präparate in erster Linie zur Behandlung von Adipositas und Diabetes gedacht.

Für Betroffene wird es wohl bald noch ein weiteres Produkt geben: In den USA soll im nächsten Jahr die "Abnehmpille" mit dem Wirkstoff Orforglipron zugelassen werden. Doch wie funktioniert dieser Wirkstoff eigentlich, was sind die Vorteile gegenüber den bekannten "Abnehmspritzen" – und was die Risiken?

Was ist Orforglipron?

Der Wirkstoff Orforglipron gehört zur Klasse der sogenannten GLP-1-Rezeptoragonisten. Diese ahmen körpereigene Darmhormone (Inkretine) nach, die nach dem Essen ausgeschüttet werden. Inkretine aktivieren den GLP-1-Rezeptor, der mehrere Prozesse steuert: Er regt die Insulinausschüttung an, verlangsamt die Magenentleerung und sorgt im Gehirn dafür, dass wir uns satt fühlen.

Pharmakologin Annette Schürmann zählt zu den renommiertesten Expertinnen für Diabetes- und Adipositasforschung in Deutschland. © /David Ausserhofer

Die Pharmakologin Annette Schürmann erklärt im Gespräch mit unserer Redaktion: "In der Praxis hat man dadurch weniger Hunger, das Verlangen nach Essen reduziert sich und es wird mehr Insulin ausgeschüttet." Im Gegensatz zu den bekannten "Abnehmspritzen" Ozempic und Wegovy mit dem Wirkstoff Semaglutid muss Orforglipron nicht gespritzt werden, sondern kann als Tablette eingenommen werden.

Zudem wirkt der Stoff etwas anders: Während Semaglutid den Rezeptor voll aktiviert, handelt es sich bei Orforglipron um einen partiellen Rezeptoragonisten. Er dockt ebenfalls an den GLP-1-Rezeptor an, sorgt aber dafür, dass dieser länger an der Zelloberfläche aktiv bleibt. Dadurch halten die gewünschten Effekte, wie zum Beispiel die Zügelung des Appetits, länger an.

Wie effektiv ist die "Abnehmpille"?

In einer Phase-III-Studie mit rund 560 Teilnehmenden führte Orforglipron über einen Zeitraum von 40 Wochen, je nach Dosis, zu einem Gewichtsverlust von durchschnittlich 4,5 Prozent bis 7,6 Prozent des Körpergewichts. Bei einem Ausgangsgewicht von 130 Kilo entspricht das etwa sechs bis zehn Kilo weniger. Ein weiterer positiver Effekt: Auch der Langzeitblutzuckerwert (HbA1c) verbesserte sich deutlich (von 8 auf Werte zwischen 6,5 und 6,7). "Das entspricht einer klinisch relevanten Senkung", sagt Schürmann.

"Das sind sehr schöne Erfolge."

Pharmakologin Annette Schürmann über Studien zu Orforglipron

In einer anderen Phase-III-Studie mit über 3.100 Teilnehmenden über 72 Wochen nahmen Personen, die die höchste Dosis erhielten, im Schnitt 12,4 Prozent Gewicht ab. Bei einem Ausgangsgewicht von 130 Kilo entspricht das etwa 16 Kilo weniger. Die Placebogruppe verlor dagegen nur 0,9 Prozent Gewicht.

"Das sind sehr schöne Erfolge", so Schürmann. Allerdings betont sie, dass man noch mehr Langzeit-Studien benötigt, um wichtige Daten über Langzeiteffekte – wie die Auswirkungen von Orforglipron auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen – oder seltene Nebenwirkungen zu sammeln.

Wie schneidet die Abnehmpille im Vergleich zu Ozempic und Co. ab?

Auch wenn die Effekte der Abnehmpille klinisch gesehen relevant und erfreulich sind, verzeichnen Injektionen mit Semaglutid (Ozempic/Wegovy) deutlich größere Erfolge. Sie erreichen in Studien meist 10 bis 20 Prozent Gewichtsverlust innerhalb eines Jahres. Bei einem Ausgangsgewicht von 130 Kilo entspricht das 13 bis 26 Kilo.

Ein direkter Vergleich der Wirkstoffe in Studien steht noch aus, aber Schürmann betont: "Einen Gewichtsverlust von 15 bis 20 Prozent innerhalb eines Jahres schafft man mit Orforglipron sicherlich nicht."

Wann könnte Orforglipron zugelassen werden?

Laut US-Hersteller Eli Lilly sollen die Zulassungsunterlagen noch 2025 bei den zuständigen Behörden eingereicht werden. In den USA könnte der Wirkstoff 2026 zugelassen werden. Bis die Abnehmpille in Europa erhältlich ist, dürfte es, ähnlich wie bei Ozempic, noch etwas länger dauern.

"Wenn wir Glück haben, wird es uns Ende 2026 zur Verfügung stehen", schätzt Schürmann. Voraussichtlich wird die Zulassung zunächst für Menschen mit Typ-2-Diabetes und Übergewicht erfolgen, später wohl auch für Adipositas allgemein.

Was sind Risiken und Nebenwirkungen von Orforglipron?

Wie bei anderen GLP-1-Medikamenten können Magen-Darm-Beschwerden auftreten. Dazu gehören Übelkeit, Durchfall oder Verstopfung. Positiv ist, dass bisher keine lebertoxischen Effekte beobachtet wurden. Allerdings fehlen noch Daten zu Langzeitrisiken oder seltenen Nebenwirkungen. Aktuell laufen Studien, die darüber mehr Klarheit bringen sollen.

Von vielen Fachleuten wird außerdem das hohe Missbrauchsrisiko kritisch gesehen. Schürmann ist eine von ihnen. "Das Medikament soll in erster Linie für Menschen mit Typ-2-Diabetes beziehungsweise Adipositas gedacht sein. Nicht für Normalgewichtige oder leicht Übergewichtige, die schnell ein paar Kilos loswerden wollen", warnt sie.

Gerade weil Orforglipron als Tablette verfügbar ist, sei die Gefahr groß, dass es als Lifestyle-Produkt zum schnellen Gewichtsverlust gesehen werde: "Es klingt verlockend: Einfach eine Tablette nehmen und schon wird man schlanker. Aber jedes Medikament belastet den Körper, vor allem Leber und Niere, die es wieder abbauen müssen."

Was sind die Vorteile von Orforglipron?

Zweifellos der größte Pluspunkt: Orforglipron muss nicht wie Ozempic und Wegovy gespritzt werden, sondern ist als Tablette erhältlich. Das erleichtert die Einnahme und senkt auch die Abbruchraten bei einer Therapie. Denn: Sich selbst eine Spritze zu setzen, ist nicht für alle Patientinnen und Patienten leicht zu bewerkstelligen. "Viele Menschen haben da eine Hemmschwelle", bestätigt Schürmann.

"Das Medikament soll in erster Linie für Menschen mit Typ-2-Diabetes beziehungsweise Adipositas gedacht sein. Nicht für Normalgewichtige oder leicht Übergewichtige, die schnell ein paar Kilos loswerden wollen."

Annette Schürmann

Sie betont auch den Wert eines erweiterten Behandlungsportfolios: "Es ist immer hilfreich, nicht nur eine, sondern mehrere Substanzen zur Verfügung zu haben, weil Patientinnen und Patienten unterschiedlich reagieren oder auch Nebenwirkungen auftreten können."

Ebenfalls positiv: Pillen sind im Vergleich zu den Injektionslösungen leichter herzustellen, zu transportieren und zu lagern. So könnten auch einige der Lieferprobleme vermieden werden, zu denen es bei Wegovy und Ozempic immer wieder gekommen ist.

Für welche Menschen ist Orforglipron geeignet?

Je nach Zulassung kommt das Präparat für Menschen mit Adipositas oder Typ-2-Diabetes infrage, die bisherige Therapien nicht vertragen oder eine Spritze ablehnen.

Gibt es vergleichbare Alternativen?

Der Wirkstoff Semaglutid (Ozempic/Wegovy) ist ebenfalls in einer oralen Einnahmeform erhältlich, unter dem Produktnamen Rybelsus. Bislang ist das Präparat allerdings nicht zur Gewichtsreduktion zugelassen, sondern nur zur Behandlung von Typ-2-Diabetes.

Im Gegensatz zu Orforglipron muss Rybelsus sehr genau eingenommen werden: Morgens auf nüchternen Magen mit einer definierten Menge Wasser, danach mindestens 30 Minuten nichts essen oder trinken. "Wird das nicht korrekt gemacht, senkt das die Wirksamkeit deutlich. In der Praxis ist das für viele Menschen schwer umsetzbar", so Schürmann. Orforglipron kann unabhängig von den Mahlzeiten eingenommen werden.

Empfehlungen der Redaktion

Aktuell sind auch weitere orale GLP-1-Rezeptoragonisten in der Entwicklung, beispielsweise bei Novo Nordisk, Roche, AstraZeneca oder Merck. Orforglipron gilt aber aktuell als das am weitesten fortgeschrittene Präparat.

Über die Interviewpartnerin

  • Prof. Dr. Annette Schürmann zählt zu den renommiertesten Expertinnen für Diabetes- und Adipositasforschung in Deutschland. Nach ihrem Biologiestudium in Münster und Göttingen schloss sie 1991 ihre Promotion ab, 1997 folgte die Habilitation in Pharmakologie an der RWTH Aachen. Seit 2002 arbeitet sie am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) und leitet dort die Abteilung Experimentelle Diabetologie. Parallel dazu ist sie Professorin an der Universität Potsdam und seit 2014 Sprecherin des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD).
  • Im Mittelpunkt ihrer Studien stehen genetische und epigenetische Faktoren, die die Entstehung von Typ-2-Diabetes und Fettleibigkeit beeinflussen. Für ihre Verdienste erhielt sie zahlreiche Preise, zuletzt 2025 die Paul-Langerhans-Medaille der Deutschen Diabetes-Gesellschaft.

Verwendete Quellen

Teaserbild: © Getty Images/celsopupo