Gesund alt werden, davon träumen viele Menschen. Wie kann es uns also gelingen, den Alterungsprozess nicht nur zu verlangsamen, sondern sogar umzukehren? Darüber haben wir mit dem Ayurveda- und Longevity-Experten Ulrich Bauhofer gesprochen.
Als Longevity-Experte weiß Ulrich Bauhofer: Unser Organismus hat eingebaute Heil-, Regenerations- und Reinigungsmechanismen, die wir sozusagen als Werkseinstellung mitbringen. Die Frage, ob wir demnach quasi rückwärts altern können, beantwortet er mit einem klaren Ja. Im Interview spricht Bauhofer über den Mehrwert der ayurverdischen Medizin und erklärt, warum Ayurveda für ihn nichts damit zu tun hat, Räucherstäbchen anzuzünden.
Sie widmen sich in Ihrer Arbeit auf Basis von Ayurveda der Frage, wie wir mit einfachen Routinen, die sich ganz nebenbei in den Alltag integrieren lassen, unseren Alterungsprozess aktiv beeinflussen können. Warum hat Ayurveda für Sie so viel mit Langlebigkeit zu tun?
Ulrich Bauhofer: Ayurveda steht für das Wissen vom Leben und die ayurvedische Medizin ist die älteste Medizin der Menschheit. Im Ayurveda geht es nicht nur darum, eine längere Lebensspanne zu meistern, sondern auch die Gesundheitsspanne auszudehnen. Insofern richtet sich Ayurveda gewissermaßen an jene, die nach einem langen, gesunden und erfüllten Leben streben. Dafür gibt es in der ayurvedischen Medizin eine Spezialdisziplin, die Rasayana-Therapie. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um die Longevity-Disziplin des Ayurveda, die seit Jahrtausenden existiert.
"Ayurveda hat nichts damit zu tun, Räucherstäbchen anzuzünden"
Es fasziniert mich, dass die moderne Longevity-Forschung das ayurvedische Heilwissen nahezu 1:1 nachweist. Man kann fast von einer wunderbaren Vermählung von neuem und altem Wissen sprechen. Früher ging man davon aus, dass die Gene festlegen, wie alt ein Mensch wird. Heute wissen wir, dass nur 10 bis 30 Prozent des Alterungsprozesses auf genetische Faktoren zurückzuführen sind und 70 bis 90 Prozent auf unsere Lebensweise.
Ayurveda gilt als eines der ältesten Medizinsysteme der Welt – trotzdem denken viele Menschen bei Ayurveda an Räucherstäbchen, Yoga und Esoterik.
Ayurveda ist eine medizinische Wissenschaft und hat mit Esoterik nichts zu tun. Die antiken Texte – das älteste Medizinkompedium der Welt ist etwa 3.500 Jahre alt – sind ungeheuer genau und präzise. Wir sprechen hier von einer personalisierten und ganzheitlichen Medizin. Jeder Mensch wird in seiner individuellen Persönlichkeit erkannt, wertgeschätzt und behandelt. Ein zarter, nervöser Typ etwa braucht völlig andere Maßnahmen als ein robuster, widerstandsfähiger Mensch. Die Schulmedizin ist bei akuten Symptomen sicherlich das Mittel der Wahl, bei chronischen Erkrankungen und Prävention ist sie weniger stark. Im Ayurveda behandelt man immer den ganzen Menschen, nicht nur die Erkrankung. Ayurveda hat also nichts damit zu tun, Räucherstäbchen anzuzünden.
Ayurveda hat aber eine Schwesterdisziplin: Yoga, auch ein jahrtausendealter Aspekt innerhalb der vedischen Wissenstradition, steht für deutlich mehr, als einen Kopfstand zu machen und sich zu dehnen. Vielmehr beschreibt Yoga einen Bewusstseinszustand. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass Yoga sich neben den körperlichen Aspekten mit der mentalen Gesundheit befasst. Also hat Ayurveda nichts mit Esoterik, sondern vielmehr mit einem tiefen, spirituellen Aspekt des Lebens zu tun.
In Ihrem Buch sagen Sie, man könne den Alterungsprozess nicht nur verlangsamen, sondern sogar umkehren. Bedeutet das also wirklich, dass wir quasi rückwärts altern können?
Grundsätzlich können wir das, ja. Es hängt entscheidend von unserer Lebensweise ab, wie wir älter werden. Man könnte es auf die Formel bringen: Jungbleiben geht mitten durch den Alltag. Werden wir immer langsamer und schwächer oder gesund und energetisch älter, das ist die Frage. Wir haben es selbst in der Hand, wir können unsere Vitalität und Lebensfreude bewahren. Aus diesem Grund sprechen wir in der Rasayana-Disziplin davon, das Alter zu bewahren. Unser Organismus hat eingebaute Heil-, Regenerations- und Reinigungsmechanismen, die wir sozusagen als Werkseinstellung mitbringen. Wir können sie behindern, unterstützen oder bewusst aktivieren. Wir entscheiden selbst.
Wie funktioniert das konkret, gemessen an unserem kalendarischen Alter?
Stellen wir uns das Ganze am Beispiel eines 50 Jahre alten Menschen vor: Anhand von bestimmten physiologischen und biochemischen Parametern lässt sich sein biologisches Alter messen, das sich von dem kalendarischen erheblich unterscheiden kann. Durch unsere Lebensweise sind wir in der Lage, epigenetische Muster des Körpers zu verändern. Wir können zum Beispiel aktiv Langlebigkeitsgene anschalten. Forschende des Max-Planck-Instituts haben herausgefunden, dass junge Menschen, die chronisch gestresst sind, ein epigenetisches Alter haben können, das bis zu 30 Jahre über ihrem chronologischen Alter liegt. Wird aber die Resilienz erhöht oder gezieltes Stressmanagement in Form von Meditation praktiziert, kann das biologische Alter erheblich reduziert und der Körper so verjüngt werden. Ernährung, Bewegung, Schlaf oder Licht sind Schlüsselfaktoren, wenn es darum geht, das eigene System zu regenerieren.
Können Sie ein paar alltagstaugliche Strategien nennen, die den Alterungsprozess verlangsamen?
Man könnte es auf einen ganz einfachen Nenner bringen: Sie müssen Alltagsgewohnheiten, die Sie ohnehin durchführen, in Gesundheitsstrategien umwandeln. Diese müssen alltagstauglich, praktikabel und umsetzbar sein – sonst funktioniert es nicht. Das ist meine nunmehr 40-jährige Erfahrung als Arzt. Wir brauchen sanfte Routinen und Rituale, die vor allem in unserem beruflichen Alltag und unter Stress bestehen müssen.
Lesen Sie auch
Im Wesentlichen sprechen wir von sechs Longevity-Säulen: Ernährung, Schlaf, Bewegung, Stressmanagement, Entgiftung sowie Sinn und Glück. Gerade im Bereich Bewegung spielt beispielsweise Krafttraining eine zentrale Rolle, weil wir bereits ab dem 30. Lebensjahr Muskelmasse verlieren. Außerdem sendet unsere Muskulatur Botenstoffe aus, die entzündungshemmend wirken. Neben Ausdauertraining ist es aber auch wichtig, unsere Beweglichkeit zu fördern, zum Beispiel mit nicht überfordernden Yogaübungen. Regelmäßiger, moderater Sport ist ein absoluter Longevity-Booster. Die Harvard-Universität hat herausgefunden, dass 8.000 Schritte am Tag unser Herzinfarktrisiko um 50 Prozent minimieren, aber mehr als 10.000 Schritte keinen deutlichen Mehrwert bringen.
Die von Ihnen angesprochenen sechs Säulen gleichermaßen in den Alltag zu integrieren, stelle ich mir dennoch nicht ganz so einfach vor …
Ein Keyword lautet Micro-Steps. Es nützt nichts, das Leben von jetzt auf gleich grundsätzlich ändern zu wollen – dieses Vorhaben scheitert in der Regel. Es macht deutlich mehr Sinn, ungesunde Gewohnheiten Schritt für Schritt durch gesunde zu ersetzen: in kleinen, gut umsetzbaren Micro-Steps. Sie fühlen sich dann plötzlich besser und gehen ganz freiwillig den nächsten Step an. Trinkt ein Mensch beispielsweise acht Tassen Kaffee am Tag, ist es kontraproduktiv, den Kaffeekonsum sofort komplett einzustellen. Es macht viel mehr Sinn, den Konsum Schritt für Schritt zu reduzieren. Auch das Intervallfasten ist ein erprobtes Longevity-Tool, das die Selbstreinigung unserer Zellen anregt und das es zu beherzigen gilt.
Lassen Sie uns über die Bonusjahre sprechen, die uns die Longevity-Lebensweise schenken kann: Was tun mit den Jahren, die uns geschenkt werden?
Eine Antwort auf diese Frage zu finden, war mir im Entstehungsprozess des Buches ein sehr wichtiges Anliegen. Denn hier sind wir schnurstracks bei der Gretchenfrage: Was hat mein Leben eigentlich für einen Sinn? Der Philosoph Platon hat einmal gesagt: "Es gibt einen Platz, den du füllen musst, den niemand sonst füllen kann und es gibt etwas für dich zu tun, das niemand sonst tun kann." Es geht also im Wesentlichen darum, seine Rolle und Aufgabe im Leben zu finden. Diese Aufgabe beinhaltet nicht nur eine gehörige Portion Selbstfürsorge – Selfcare, wie man heute sagt –, sondern man soll auch etwas zur Gemeinschaft beitragen – immerhin sind wir alle soziale Wesen. Nicht jeder Mensch bringt die gleichen Fähigkeiten und Talente mit. Wer aber für sich seine Rolle gefunden hat, erkennt, wofür es sich lohnt, morgens aus dem Bett zu springen und voller Freude in den Tag zu starten.
Longevity geht also mit der Frage nach dem Sinn des Lebens einher?
So ist es. Ein entscheidender Punkt für die Langlebigkeit ist die Antwort auf die Frage, warum wir überhaupt hier sind. Mark Twain (US-amerikanischer Schriftsteller; Anm.d.Red.) hat einmal gesagt: "Die beiden wichtigsten Tage deines Lebens sind der Tag, an dem du geboren wurdest, und der Tag, an dem du herausfindest, wofür." Die Sinnfrage für sich selbst zu erkennen, wird in der vedischen Tradition Dharma genannt. Im Wesentlichen ist hiermit die Berufung gemeint. Wir Menschen suchen unsere Freude und unser Glück häufig im Außen. In unserer schnelllebigen Zeit sind wir nahezu ständig online mit dem Außen. Die vedische Medizin und auch Yoga hingegen stehen dafür, auch mal offline mit Außen und online mit unserem tiefsten Inneren zu gehen.
Ist es irgendwann zu spät, gemäß dem aktiven Verjüngungsprozess zu leben? Wann sollte man spätestens damit anfangen?
Es ist nie zu spät. Unser Körper ist in der Lage, sich aus sich selbst heraus zu verjüngen. Wir müssen jedoch die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen und genau das tun wir in Form unserer Lebensweise. Unsere Ernährung, Bewegung, unser Schlaf – all diese Dinge wirken auf unsere Lebensweise ein. Man kann in jedem Alter, auch im höheren, anfangen, den Körper aktiv zu verjüngen. Wichtig ist, sich die Neugierde für das Leben zu bewahren. Es gibt Menschen, die mit 85 Jahren begeistert einen Computer-Kurs besuchen – eben diese Offenheit für das Neue sollten wir uns alle bewahren.
Über den Gesprächspartner:
- Dr. med. Ulrich Bauhofer zählt zu den führenden Experten für ganzheitliche Gesundheit. In den 1980er-Jahren lernte er als einer der ersten westlichen Schulmediziner Ayurveda direkt von Indiens bedeutendsten Vaidyas. Er leitete über zehn Jahre lang die größte Ayurveda-Klinik Deutschlands, hat inzwischen eine Praxis in München und berät Unternehmen im Gesundheitsmanagement. Mit seinen YouTube-Tipps erreicht er über eine Million Menschen.