FDP-Politiker Andrew Ullmann hat gefordert, dass die Behandlung mit neuen Abnehmspritzen wie Ozempic oder Wegovy von den Krankenkassen übernommen wird. Das löst scharfe Kritik aus.

Mehr zum Thema Gesundheit

Zunächst waren Ozempic und Wegovy in das Licht der breiten Öffentlichkeit gerückt, als sie im vergangenen Jahr von Influencern und Stars wie Kim Kardashian beworben worden. Als Wundermittel gegen überschüssige Pfunde würden diese Diabetes-Spritzen helfen, in kürzester Zeit die eigene Traumfigur zu erreichen, so der Tenor. Die Werbung löste einen Hype um die Mittel aus und die Aktienkurse der produzierenden Unternehmen Novo Nordisk (Dänemark) und Eli Lilly (USA) schnellten im Laufe des vergangenen Jahres in die Höhe.

Nun werden die angeblichen Wundermittel zum Thema einer politischen Debatte. Sollen Adipositas-Patienten die Abnehmspritzen bezahlt bekommen?

FDP-Gesundheitspolitiker Andrew Ullmann fordert gegenüber dem "Handelsblatt", dass die Krankenkassen die Kosten der Behandlung übernehmen: "Abnehmspritzen sollten nicht als Lifestyle-Medikament betrachtet werden, sondern als Teil eines umfassenden Ansatzes zur Behandlung schwerer Adipositas und zur Verhinderung ihrer Folgeerkrankungen."

Krankenkassen warnen vor hohen Kosten

Die Krankenkassen warnen dagegen vor Kosten in zweistelliger Milliardenhöhe, wenn jeder in Deutschland, der einen Body Mass Index (BMI) über 30 auf die Waage bringt, eine Behandlung finanziert bekäme. Gegenüber dem MDR erklärte der Sprecher des AOK-Bundesverbands, Kai Behrens: "Wenn wir mal berechnen, wie viele Personen in Deutschland einen Body Mass Index über 30 haben, das sind rund 20 Prozent, und dann die Jahrestherapiekosten zugrunde legen, die für diese sogenannte Abnehmspritze zurzeit gelten, das ist bis zu 4.000 Euro, und das multiplizieren mit dem Anteil der Personen, die in der GKV versichert sind, und diesen Body Mass Index von über 30 haben, das sind 45 Milliarden Euro."

FDP-Politiker Ullmann verteidigt seinen Vorschlag hingegen gegenüber dem MDR und erklärt: "Hier geht es um Menschen, die schwer erkrankt sind, mit schweren Adipositas-Erkrankungen." Abnehmspritzen könnten auch nur ein Teil der Therapie sein. Ernährungsumstellung und Bewegungsprogramme könnten die Medikamente ergänzen.

In Großbritannien werden Abnehmspritzen in bestimmten Fällen von Krankenkassen übernommen

In anderen Ländern ist man da schon weiter. Das Gesundheitswesen in Großbritannien beispielsweise kam zu dem Schluss, dass eine Behandlung mit Abnehmspritzen bei Menschen mit einem BMI ab 35 finanzierbar sei. Wenn bereits andere Behandlungsformen ausprobiert wurden und nicht wirksam waren, übernimmt der Nationale Gesundheitsdienst NHS auch bei Menschen mit einem BMI ab 30 die Kosten für die Abnehmspritze.

Selbst in den USA, wo das staatliche Medicare-Gesundheitssystem wenig spendabel ist, werden die Wegovy-Spritzen erstattet – zumindest teilweise und für manche Risikopatienten. Das hat nicht direkt mit der Behandlung von Übergewicht zu tun, sondern soll primär gegen andere Krankheiten helfen: Laut einer Studie hilft die Spritze die Gefahr für Herzinfarkt und Schlaganfall zu senken.

Adipositas führt zu vielen Todesfällen

Diese Reduktion möglicher Folgeerkrankungen von Übergewicht wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes Typ 2, Arthrose, Gallensteine oder Krebserkrankungen, könnten ein Anreiz sein, die Therapie mit den Abnehmspritzen für übergewichtige Menschen auch hierzulande zu finanzieren. Denn die Folgeerkrankungen kosten unser Gesundheitssystem jährlich viel Geld und führen zu zahlreichen Todesfällen.

Die aktuellen Daten der World Health Organisation (WHO) zeigen, dass Übergewicht und Adipositas alleine in Europa jedes Jahr für über 1,3 Millionen Todesfälle verantwortlich sind. In England hat Übergewicht seit 2014 mehr Tote gefordert als das Rauchen. Laut einer Studie der OECD entfallen 8,4 Prozent der Gesundheitsausgaben in den OECD-Ländern auf die Behandlung von Krankheiten, die mit starkem Übergewicht in Zusammenhang stehen. In Deutschland sind es sogar 10,7 Prozent der Gesundheitsausgaben, die für die Behandlung von Adipositas oder deren Folgeerkrankungen ausgegeben werden.

Gesundheitsökonom hält Vorschlag von Ullmann prinzipiell für richtig

Gesundheitsökonom Wolfgang Greiner von der Universität Bielefeld hält den Vorschlag von Andrew Ullmann daher prinzipiell für richtig, allerdings sieht er die hohen Kosten für die Krankenkassen als ein Problem an. Hier müsse die Stabilität der Krankenkassenfinanzierung im Auge behalten werden und der Zugang zu Abnehmspritzen restriktiv gehalten werden.

Gegenüber unserer Redaktion erklärt Greiner: "Denkbar wäre ein relativ hoher BMI als Voraussetzung, der Nachweis vorheriger Bemühungen, auf anderem Wege Gewicht zu verlieren, ähnlich wie beim Magenband, oder eine ärztliche Zweitmeinung." Außerdem wäre ihm zufolge auch eine Zuzahlung der Patienten eine mögliche Option der Finanzierung, wobei auch hier die Sozialklausel gelten würde. Demnach darf die Zuzahlung maximal ein Prozent des Einkommens bei chronisch Kranken betragen.

Die Wirksamkeit von Abnehmspritzen wie Wegovy hält Greiner für "unstrittig". Allerdings müsste die Spritze nach Stand der Dinge lebenslang verabreicht werden und wäre in ihrem Einsatz auch mit möglichen Risiken verbunden wie ernsthafte Nebenwirkungen.

Laut Hersteller könnten das sein: Entzündungen der Bauchspeicheldrüse oder der Gallenblase und Gallensteine, die eine Operation erforderlich machen können. Möglich seien ernste allergische Reaktionen, Nierenversagen, Herzrasen, Unterzuckerung und Sehstörungen bei Menschen mit Diabetes Typ 2 sowie Depressionen und Selbstmordgedanken unter der Therapie mit Wegovy.

"Es muss also ärztlich abgewogen werden, ob die Medikamentengabe im Einzelfall angezeigt ist", so Gesundheitsökonom Greiner.

Gesundheitsministerium: Werden die Studienlage verfolgen

Die Bundesregierung hat noch keine endgültige Haltung zum Vorschlag der FDP, Abnehmspritzen in bestimmten Fällen von den Krankenkassen bezahlen zu lassen. Auf Anfrage unserer Redaktion erklärt das Bundesministerium für Gesundheit: "In Deutschland werden Arzneimittel, die ausschließlich dem äußerlichen Körperbild – das heißt, dem Abnehmen – dienen, nicht von den gesetzlichen Krankenversicherungen bezahlt."

Allerdings lässt die Erklärung eine Möglichkeit offen dafür, dass Abnehmspritzen doch noch von den Kassen bezahlt werden, nämlich dann, wenn deren Nutzen gegen schwerwiegende Folgeerkrankungen belegt ist:

"Wenn diese Wirkstoffe allerdings in langfristigen Studien belegen, dass sogenannte harte Endpunkte wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Diabetesentwicklung etc. durch diese Wirkstoffe im Rahmen des Gewichtsverlustes positiv beeinflusst werden, erfolgt die Kostenübernahme." Man werde daher die Studienlage sehr genau verfolgen.

Über den Experten:

  • Wolfgang Greiner ist ein Gesundheitsökonom. Er hat an der Universität Bielefeld den Lehrstuhl für "Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement" inne.

Quellen:

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.